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Theorie und Praxis. Kruso (Albrecht Schuch, links) will Ed (Jonathan Berlin) zu den „Wurzeln der Freiheit“ führen. Aber vorher steht Zwiebelschneiden auf dem Programm.

© MDR/UFA Fiction/Lukas Salna

"Kruso" als TV-Verfilmung: Was ist Freiheit?

Hiddensee im Herbst 1989: Der ARD glückt die Verfilmung von Lutz Seilers DDR-Roman „Kruso“.

Die ARD-Verfilmung des Romans „Kruso“ von Lutz Seiler beginnt wie ein letzter Traum in der DDR. Die Sonne glänzt, das Meer glitzert, die Fremdenführerin doziert. Der Hänfling Ed (Jonathan Berlin), ein 24-jähriger Germanistikstudent aus Leipzig, schaut trotzdem verloren. Ihm geht es nicht um Erholung, sondern um alles – den Sinn seines Lebens. Edgar („Ed“) Bendler will wohl fliehen. Seine Freundin hat sich umgebracht. Er ist auf dem Weg zu sich selbst.

Leicht wird nichts werden in diesem Sommer 1989 auf Hiddensee. Eine Frage nach der Nähe einer dänischen Ostseeinsel – sie ist bei gutem Wetter als westlicher Vorposten erkennbar – alarmiert die DDR-Aufpasser. Der Fährenkapitän geht den Fragensteller an, die Stasi nimmt die Hiddensee-Ankömmlinge ins Visier. Geschichte vertreibt den Traum von Idylle.

Das Wiedervereinigungsgedenken in diesem Fernsehherbst sucht eine Feriengaststätte mit dem Namen „Zum Klausner“ auf, in dem lauter schräge Vögel, ob Koch, Kellner, Abwäscher oder Hotelleiter das tun, wofür die DDR-Gastronomie („Die Tische sind reserviert“) nicht gerade berühmt war: unter bescheidensten Verhältnissen leidenschaftlich einsatzbereit für die Gäste da zu sein. Diese Fleißkanonen sind nicht von Normen angetrieben, sondern von ursozialistischen Idealen. Ihnen geht es um innere Freiheit.

Abwaschschlacht mit Lyrik

Über triefenden Tellern stapeln sich in der DDR nur schwer erwerbbare Bücher. Eine Schwärmerei über den österreichischen Lyriker Georg Trakl („Lachen in purpuner Laube“) erleichtert die Abwaschschlacht. Die Betreuung eines Netzwerks von versteckten Aussteigern, dessen Mittelpunkt der „Klausner“ ist, schmiedet die Angestellten zusammen.

Sie fühlen sich als hilfreiche Elite, denn sie versuchen, fluchtwillige Aussteiger von dem Wahnsinn abzubringen, über die Ostsee in den Westen zu entkommen. Besser sei, eine Reise zur inneren Freiheit zu versuchen, für die man sich eine Ausreisegenehmigung selbst holen kann.

Ed stößt zum Spiritus rector dieses Therapieprogramms vor: zu Alexander Krusowitsch, genannt Kruso (Albrecht Schuch). Dessen Vater ist sowjetischer General, seine Mutter verunglückte Artistin. Bei einem Pflegevater ist er auf Hiddensee aufgewachsen. Im Gasthof „Klausner“ tut Kruso, was Daniel Defoes Held Robinson Cruseo auch tat: fürs Überleben sorgen und sich nicht von gefährlichen Fluchtsehnsüchten überwältigen lassen. Kruso organisiert Gemeinschaftsgefühl und betreibt die „Vergabe“, die listenreiche Besorgung von eigentlich unerlaubten Unterkünften auf Hiddensee für die jungen Aussteiger, um ihnen ein „Wir bleiben hier“ trotz allem näherzubringen.

Der Ufa-Fiction-Film (gedreht in Litauen, Kamera: Nikolai von Graevenitz) zeigt ohne Spott die Rituale der inneren Stärkung. Da tanzen die DDR-Schiffbrüchigen am Strand, die Grenzer schauen verdutzt auf die Szene. Da trinken sie, da lieben sie sich. Da entdecken sie die Kraft des Trotzes gegen das DDR-Hier und ihre Sehnsucht hört auf, im trüben Drüben zu fischen. Krusos Guru-Einsatz beruht wie das von Ed auf einem Trauma. Er musste erleben, wie seine geliebte Schwester im Meer verschwand, als sie in den Westen schwimmen wollte. Ed und Kruso werden beste Freunde. Sie fühlen sich als verantwortungsvolle Friedensarbeiter.

Dann kommt der 9. November, die Mauer geht auf und die Tür zur inneren Freiheit zu? Die ersten verlassen den „Klausner“, die Schiffbrüchigen zieht es nach Ungarn und nicht in die Abgründe der Seele. Trakl und Nietzsche verlieren gegen Bananen.

Verfilmung vermeidet jede Überhöhung

Der 1963 in Gera geborene Lyriker Lutz Seiler hatte mit seinem 2014 erschienenen Roman „Kruso“ durch seine magische Sprache imponiert. Eine Epik, die keine Wirklichkeitsgrenze zu respektieren schien. Ed philosophierte im Buch mit einem verwesenden Fuchs, die Beschreibung der Romanszenen im Abwasch spritzten vor sprachlicher Gischt. Die in der Ostsee Ertrunkenen ließ Seiler über die Postitionslichter des Schiffsverkehrs die Lebenden grüßen. Von Nähe zu einem „Strandweihespiel“ sprach ein Verriss angesichts der Weisheitslehren Krusos.

Die Verfilmung ((Regie: Thomas Stuber, Buch: Thomas Kirchner) geht erfolgreich gegen alle Überhöhung an. Thomas Kirchner ist es wie in der Fernsehumsetzung von Uwe Tellkamps Dresden-Roman „Der Turm“ gelungen, den richtigen Weg durch diesen genialen Inseltraum zu finden. Was im 100-Minuten-Film auf der Strecke bleiben muss, Eds Vorgeschichte in Leipzig und den Epilog mit der Erkundung einer surrealen Sammlung von Überresten der in der Ostsee ertrunkenen anonymen Flüchtlinge, kann man verschmerzen. Die Fernseh-Inszenierung gibt dem Romanstoff eine bezwingende jugendliche Unschuld zurück.

„Kruso“, ARD, Mittwoch, 20 Uhr 15

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