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Sprachakrobatik. Schauspieler Heikko Deutschmann (re.) liest im RBB-Studio eine Episode aus „Ulysses“ ein, Regisseur Ralph Schäfer gibt Anweisungen. Foto: RBB

© rbb/Hanna Lippmann

Literatur: Der doppelte Ulysses

Mammut-Lesung oder Hörspiel? James Joyce’ Meisterwerk, wohl das bekannteste ungelesene Buch überhaupt, kommt ins Radio.

„Stattlich und feist erschien Buck Mulligan am Treppenaustritt, ein Seifenbecken in Händen, auf dem gekreuzt ein Spiegel und ein Rasiermesser lagen. Ein gelber Schlafrock mit offenem Gürtel bauschte sich leicht hinter ihm in der milden Morgenluft. Er hielt das Becken in die Höhe und intonierte: - Introibo ad altare Dei.“ Der berühmte Anfang aus James Jocye’ Roman „Ulysses“. Was diesem Satz folgt sind 18 schwierigste Episoden, reich an Sprachakrobatik und Erzähltechniken. Selbst profunde Liebhaber der Weltliteratur haben es damit nicht bis zum Ende geschafft. Grund genug für den Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), mit der ersten Lesung des Romans als ungekürzte deutsche Hörfassung eine Handreichung zu geben.

Ein Mammut-Projekt, eines der größten Radio-Events des RBB dieser Art, dessen Anfänge bis ins Jahr 1984 zurückreichen. Erst 2011, 70 Jahre nach Joyce’ Tod, wurden die Rechte des 1922 erschienenen und von Hans Wollschläger kongenial übersetzten Romans für den RBB frei. 45 Sprecher, 80 Folgen Aufzeichnung, rund 40 Stunden, 2400 Minuten Joyce pur, beim Kulturradio verteilt über zwei Blöcke im Frühjahr und Herbst. Von Montag bis Freitag, ab 16. April, von halb drei bis drei ist dann immer Bloomsday; benannt nach Leopold Bloom, Joyce’ Protagonisten, der an jenem 16. Juni 1904 eine Irrfahrt durch Dublin erlebt. Das Ganze inspiriert von Homers „Odyssee“.

„Wer hat Angst vor ,Ulysses’?“, fragt Claus-Ulrich Bielefeld, Literatur-Redakteur beim RBB. Die meisten, leider. „Es wäre schön, wenn wir ein paar von denen über die Hörfassung an den ,Ulysses’ heranführen könnten.“ Keine Angst hatten und haben Schauspieler wie Gerd Wameling, Adam Nümm oder Gerd Grasse, die bei einem Werkstattgespräch diese Woche an der Masurenallee eine Kostprobe ihres Könnens abgaben. Nümm liest die berühmte Bordell-Szene, Kapitel 15. „Das war für mich eine große Freude, eine Möglichkeit, sich auszutoben, fast wie ein Trip.“ Wameling dachte zuerst, was sind das denn für komische Szenen. „Ich brauchte Zeit und die Regie-Anweisungen von Ralph Schäfer, um da reinzukommen.“ Zeit, die sich auch die Hörer des Kulturradios nehmen werden müssen. Literatur-Redakteur Bielefeld rechnet mit 20 000 bis 30 000 Hörern täglich. Am Ende einer jeden Sende-Woche wird eine Sieben-Tages-Zusammenfassung auf RBB online abzurufen sein.

Es bleibt nicht das einzige „Ulysses“-Projekt im Jubiläumsjahr. Parallel zum RBB hat der SWR ein 20-stündiges Hörspiel in Auftrag gegeben, inszeniert von Klaus Buhlert, der sich auch schon an Klassikern wie „Moby Dick“ abgearbeitet hat. „Der Reiz für eine Hörspielbearbeitung des ,Ulysses’ besteht wohl darin, diesen Schreibmustern im Roman, ihrer Poesie und ihrem Rhythmus und nicht zuletzt diesem Jonglieren mit Stilistik und Form nachzuspüren und dafür akustisch-sinnliche Entsprechungen zu finden“, sagt Buhlert. Das sei seines Erachtens mittels Lesung dieses Romans schwerlich zu erreichen. Buhlerts Werk wird am 16. Juni in einem Schwung von acht Uhr morgens bis vier Uhr nachts bei SWR 2 durchgesendet.

Werkgetreue Lese-Fassung oder Nonstop-Hörspiel? „Ulysses“ ist wohl das bekannteste ungelesene Buch überhaupt, und wenn es über öffentlich-rechtliche Anstrengungen erhört wird – selbst an einem unattraktiven Sendeplatz am Nachmittag – kann das nur gut sein. Das Buch galt lange Zeit für jegliche Übertragung auf andere Medien als denkbar ungeeignet. Der Hörbuch-Verlag wird beide Versionen herausbringen. Es gibt also genug Möglichkeiten, „Ulysses“ auf die Spur zu kommen, mit Buck Mulligan und Leopold Bloom feist durch Dublin zu ziehen – mit Ulrich Matthes, Matthias Brandt oder Anna Thalbach beim RBB, sowie mit Dietmar Bär, Corinna Harfouch oder Manfred Zapatka bei Klaus Buhlert.

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