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Jeannine Koch ist seit Jahresanfang Vorstandsvorsitzende des media.net Berlin-Brandenburg. Davor war sie Direktorin der re:publica.

© Emely Timm - Die Hoffotografen/Promo

Ein Jahr Corona in der Medien-, Kreativ- und Digitalwirtschaft: „Man kann nicht alles wegdigitalisieren“

Welche Folgen hat die Corona-Pandemie für die Medien-, Kreativ- und Digitalwirtschaft in der Hauptstadtregion? Ein Interview mit media:net-Chefin Jeannine Koch.

Frau Koch, bis zum Jahresende 2020 waren Sie Direktorin der re:publica, seit Anfang Januar sind Sie Vorstandsvorsitzende von media:net Berlin-Brandenburg. Welche Schwerpunkte haben Sie sich für ihre neue Aufgabe vorgenommen?
Wir befinden uns immer noch in dem großen Transformationsprozess und Paradigmenwechsel zum Thema Digitalisierung. Ich möchte die Digitalbranche in Berlin und der Metropolenregion weiterhin stärken. Dieses Jahr steht aber natürlich alles auf dem Kurs Instandhaltung des Netzwerkes. Besonders wichtig ist es mir, im Austausch mit den Mitgliedern zu bleiben, auch wenn das in der Pandemie besonders herausfordernd ist. Darüber hinaus möchte ich das media.net in den nächsten Jahren stärker in den Fokus rücken und die Vernetzung mit der Wirtschaft und der Politik ausbauen.

Hat es durch die Auswirkungen der Pandemie im media:net Mitgliederschwund gegeben?
Ein paar Kündigungen gab es, aber insgesamt ist die Größe des Netzwerkes erstaunlicherweise fast gleich geblieben. Es gab stets einen regen Austausch mit den Mitgliedern, viele Diskussionsformate konnten in der Pandemie digital weitergeführt werden. Da gibt es kein Ende des Netzwerkens.

Am Dienstag wird das Medienbarometer 2020/21 zum Thema „Die Folgen der Corona-Pandemie für die Medien-, Kreativ- und Digitalwirtschaft“ in der Hauptstadtregion vorgestellt. Was ist aus Ihrer Sicht die zentrale Kernaussage?
Es mag etwas nach Hybris klingen, aber die zentrale Aussage ist für mich, dass alle Unternehmen, die wir zwischen Ende August und Ende Oktober befragt haben, in der Situation auch eine enorme Chance gesehen haben.

Auch dazu: wo sehen Sie die größten Chancen?
Eindeutig die Erschließung neuer Geschäftsfelder. Speziell dort sind die Unternehmen der Medien-, Kreativ- und Digitalwirtschaft sehr kreativ geworden. Ebenso bei der Umstrukturierung der betriebsinternen Strukturen und Workflows. Fast alle befragten Unternehmen sind zudem im Homeoffice oder haben solche Möglichkeiten zur Verfügung gestellt. Und diese Möglichkeiten werden auch in die Zukunft nach Corona übernommen.

Ist die Branche wendig genug?

Ein Viertel der befragten Unternehmen sagt sogar, dass Homeoffice zu einer Steigerung der Produktivität geführt hat. Erstaunlich ist aber auch das Ergebnis bei der Erschließung neuer Geschäftsfelder. Die ist 79 Prozent der kleinen Firmen besonders wichtig, aber nur 47 Prozent der Unternehmen ab 100 Beschäftigten. Sind diese nicht wendig genug?
Diese Vermutung habe ich auch, aber um das genauer zu beurteilen, müsste man direkt nachfragen. Das war nicht Teil der 24 Fragen. Großunternehmen ähneln manchmal großen Tankern, die sich auf solche Agilität erstmal einstellen müssen. In den Gesprächen am 2. Februar nach der Vorstellung des Medienbarometers werden wir aber genau das hinterfragen.

[Am Dienstag, den 2. Februar um 10 Uhr wird das diesjährige medien.barometer bei Alex Berlin offiziell vorgestellt und kann online im Livestream kostenlos verfolgt werden. Daran schließt sich ein Gespräch mit vier Vertreter*innen der jeweiligen Branchen an zur aktuellen Lage und was sich seit der Umfrage für die Unternehmen verändert hat. Mehr dazu finden Sie hier ]

Der Tenor der jährlichen Studie, insbesondere der Geschäftsklimaindex für die Medien- und Kreativwirtschaft ist trotz teilweise massiver Einbrüche immer noch vergleichsweise positiv. Wie erklären Sie sich das?
Mit einem Wert von 103 sind wir immer noch in einem optimistischen Bereich. Das hat möglicherweise auch etwas damit zu tun, dass im Spätsommer und Herbst noch kein zweiter Lockdown sichtbar war. Durch die Umstrukturierung hatte sich die Entwicklung bis dahin deutlich positiver ausgestaltet als zunächst erwartet. Es gab sozusagen Licht am Ende des Tunnels. Auch hier müsste man die Frage durch den zweiten Lockdown wiederholen.

[Wie sah die Lage vor einem Jahr aus? Das Medienbarometer wird seit 2004 erhoben, so sahen die Ergebnisse für 2019/20 aus.]

Vielen Unternehmen scheint im zweiten Lockdown die Puste auszugehen. Welche Möglichkeiten gibt es, die Ergebnisse der Befragung vor der nächsten regulären Umfrage zu aktualisieren?
Ich denke darüber nach, inwiefern wir das möglichst unkompliziert wiederholen könnten. Ein Auftakt wird das Panelgespräch am Dienstag sein. Ich meine, der Bedarf ist groß.

Welche Signale bekommen Sie aktuell von den Mitgliedsunternehmen?
Ganz unterschiedlich. Die Unternehmen mit Schwierigkeiten bei der Umstellung – interessanterweise gehört auch die Games-Branche dazu (die sich zuvor erstaunlich gut behauptet hatte, Anmerk.d.Red.) – stehen weiter vor der Aufgabe, die Fixkosten bei Zero-Einnahmen zu halten. Auch da wollen wir auf der Veranstaltung herausfinden, ob der Status noch so ist wie zum Zeitpunkt der Befragung.

Um welche Sparten muss man sich Sorgen machen?
Die Musikwirtschaft hat besonders großen Unterstützungsbedarf. Da ist alles eingebrochen. Und auch die Filmwirtschaft liegt brach, speziell die Kinos, die komplett ohne Einnahmen sind. Dieser Branche geht es schlecht, das kann man gar nicht anders sagen.

Die Lage: ernst, aber nicht aussichtslos?

Die 25. Frage an die Unternehmen habe ich im Medienbarometer vermisst, Die Frage, ob die Unternehmen um ihre Existenz fürchten müssen?
Da haben Sie Recht, aber aus dem Geschäftsklimaindex ließe sich das herauslesen, wenn der aktuelle Zustand und die Erwartung so schlecht wären. Dann wäre der Index nicht bei 103 sondern deutlich niedriger.

Wie wichtig die Förderhilfen waren, hat sich unter anderem bei den Radiosendern gezeigt.
Dadurch geht es diesen Unternehmen vergleichsweise gut. Allerdings werden die Radios nicht nur von der Pandemie beschossen. Es sind neue Medien wie Podcasts oder eben Plattformen wie Clubhouse, die ihnen den Rang ablaufen könnten.

Vieles an Förderung hat gut gewirkt. Wo braucht es zusätzliche Hilfen?
Die Umfrage zeigt, dass vor allem Investitionsförderung und steuerliche Anreize benötigt werden. Die Soforthilfen und das Kurzarbeitergeld wurden sehr gut angenommen. Insofern geht es auch um den Ausbau der bestehenden Fördermaßnahmen. Noch nicht richtig umgesetzt wurde der fiktive Unternehmerlohn für Solo-Selbstständige.

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Was kann das media:net da bewirken?
Wir sind die Schnittstelle hinein in die Politik. Dazu fragen wir die Situation der Mitgliedsunternehmen wie ein Seismograph ab, bündeln das und versuchen dann, möglichst viel Aufmerksamkeit in der Politik, aber auch in den Medien zu bekommen.

Im vergangenen Jahr haben Sie die re:publica, immerhin Europas größte Digital- und Gesellschaftskonferenz – in einer Hauruckaktion in eine rein digitale Veranstaltung umgebaut. Was können Sie davon für ihre neue Aufgabe mitnehmen?
Mit der digitalen re:publica wollten wir herausfinden, was unter den neuen Bedingungen möglich ist. Die größte Herausforderung ist heute, dass wir uns in einer „Zoom-Fatigue“ befinden. Wir sind etwas müde, was diese Online-Formate angeht. Eine Konferenz kann noch so gut digitalisiert sein, mit noch so tollen Tools, es ersetzt nicht die zwischenmenschliche Begegnung. Netzwerken ist ein Format, wo Menschen auf Menschen treffen, um auch Zwischentöne herauszuhören. Mit dieser Erkenntnis gehe ich auch in die Gestaltung meines neuen Jobs. Anders gesagt: Ich bin kein Fan davon, dass man alles wegdigitalisiert, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.

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