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Schöne Bilder, zur richtigen Zeit gesetzt. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und Ehefrau Carla Bruni-Sarkozy bei einer Weihnachtsfeier im Elysee-Palast. Foto: dpa

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Politik und Medien: Präsident am Apparat

Während Deutschland über Wulffs Anruf beim "Bild"-Chefredakteur diskutiert, werden unliebsame Journalisten in England, Frankreich und Italien regelmäßig Ziel höchsten Zorns.

Die Einflussnahme von Spitzenpolitikern auf die Medien, beziehungsweise die Instrumentalisierung von Politikern durch Großmedien – dieser Komplex ist nicht ganz neu, erfährt aber durch den Droh-Anruf des Bundespräsidenten bei der „Bild“-Zeitung eine eigene Dynamik und wirft die Frage auf, wie es um die Pressefreiheit, die Souveränität und den politisch-medialen Stil in anderen Ländern verhält.

IM CLUB DER GENTLEMEN

In Großbritannien ist es selbstverständlich, dass sich Presse und Politiker gegenseitig benutzen. Ein wütender Anruf eines Premiers oder hohen Sekretärs des Buckingham Palastes würde hier keine großen Schlagzeilen machen. Bisher jedenfalls. Beide Seiten würden ihren Einfluss wohl etwas realistischer einschätzen als der Bundespräsident. Seit der Hacker-Skandal um die Machenschaften der eingestellten Murdochzeitung „News of the World“ so viel Wirbel macht, sind Politiker auf der Insel vorsichtiger geworden. Premier David Cameron führt seit Neuestem penibel über jeden Kontakt mit Chefredakteuren Buch und macht alles öffentlich. Wie wenig zimperlich man im Umgang war, zeigt ein Bericht der Zeitung „Independent“, wonach von Zeitungen angeheuerte Privatdetektive die Mail von Ex-Premier Brown gehackt haben sollen. Andersherum ist Cameron nicht der einzige Premier, der sich enge Beziehungen zu Verleger Rupert Murdoch vorwerfen lassen musste. Es galt als ausgemachte Sache, dass man ohne Unterstützung von Murdoch nicht Premier werden könnte. Für Cameron kam die Wende, als die „Sun“ sich 2009 mit der Schlagzeile „Labour’s lost it“ gegen Premier Brown aussprach. In Großbritannien ist es selbstverständlich, dass Zeitungen Wahlempfehlungen aussprechen, das ist Teil ihrer Unabhängigkeit und ihrer Macht, wie sie es verstehen. Andersherum nutzen Politiker Zeitungen für ihre Zwecke aus, nicht nur, indem Chefredakteuren Nachrichten zugespielt werden. Politiker können sich darauf verlassen, dass die Presse sich in nationalen Fragen dem „News Management“ der Regierung beugt. Bisher fielen solche Arrangements unter die Rubrik „Gentlemen’s Agreement“ und wurden beim Tee mit Chefredakteuren in der Downing Street besprochen. Je mehr sich die Nachrichtenhoheit von dieser Clique der Mächtigen ins diffuse Netz der sozialen Medien verschiebt, desto mehr wächst der Druck, die „inoffiziellen“ Arrangements transparent zu machen. In Großbritannien soll die „Leveson Kommission“ förmliche Empfehlungen aussprechen. Matthias Thibaut, London

ANRUF VON SARKOZY

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy pflegt zu den Medien ein zwiespältiges Verhältnis. Er weiß, dass er, wie jeder Politiker, auf sie angewiesen ist. Zu Martin Bouygues, dem Mehrheitsaktionär des größten französischen Privatsenders TF1, hat er schon vor Jahren eine enge Beziehung aufgebaut, die ins Privatleben reicht. An die Spitze der Gruppe öffentlich-rechtlicher Sender von France Télévisions ernannte er als Präsidenten Rémy Pflimlin, einen Vertrauensmann, der sensible Dossiers diskret in seinem Sinne zu entscheiden versteht. Für Journalisten hat Sarkozy nicht viel übrig. Er duzt sie wie alle, für die er wenig Achtung empfindet. Das täuscht eine Vertraulichkeit vor, die den Angesprochenen verunsichert und in offene Feindschaft umschlagen kann, wenn sich der Betroffene der herablassenden Kameraderie des Präsidenten als unwürdig erweist. Franz-Olivier Giesbert, Chefredakteur der Wochenzeitung „Le Point“ und Autor schöngeistiger Romane und enthüllender Biografien der Staatspräsidenten Francois Mitterrand und Jacques Chirac, bekam dies zu spüren. In einem bissigen Buch über den Präsidenten, das im vergangenen Jahr erschien, schildert Giesbert die Reaktion eines vor Wut kochenden Sarkozy auf eine Glosse in „Le Point“, in der sich der Schriftsteller Patrick Besson 2008 über das voreheliche Liebesleben der heutigen Präsidentengattin Carla Bruni ausgelassen hatte. Während eines Telefonanrufs, der Giesbert an einem Wintersonntag beim Schneiden seiner Olivenbäume in der Provence erreichte, habe Sarkozy den satirischen Artikel als „unwürdig, ekelhaft und schweinisch“ bezeichnet. Über „faschistische Methoden“ habe sich Sarkozy in dem 40-minütigen Gespräch empört, berichtet Giesbert. An dem Tag, an dem er nicht mehr Präsident sei, werde er dem Autor „die Fresse polieren“, notierte sich Giesbert nach dem Gespräch. Dann habe Sarkozy von ihm verlangt: „Weißt Du, was Du jetzt tun wirst, mein kleiner Franz? Einen Entschuldigungsbrief an Carla verfassen.“ Auf Giesberts Einwand, dass Sarkozy das bald vergessen haben werde, habe dieser gedroht: „Nie! Nie! Bis zu meinem Tod werde ich nicht vergessen, dass dieser Artikel unter Deiner Verantwortung erschienen ist.“ Unter allen Präsidenten Frankreichs sind unliebsame Journalisten zum Ziel höchsten Zorns geworden. Sie wurden von Informationen abgeschnitten, im schlimmsten Fall stellte man sie kalt. Doch so brutal wie Giesbert traf es keinen. Auch die angedrohte Sanktion blieb nicht aus. Wohl auf Druck des rachsüchtigen Sarkozy wurde Giesberts TV-Magazin „Semaine critique“ inzwischen aus dem Programm des Staatssenders France 2 gestrichen. Hans-Hagen Bremer, Paris

KÖNIG GIORGIO HÄLT SICH ZURÜCK

An Interventionen von ganz oben hat sich das italienische Staatsfernsehen RAI gewöhnt. In der Ära Berlusconi verging kaum ein Monat, in welchem der Regierungschef nicht höchstpersönlich in Talkshows anrief, um Moderatoren zu beschimpfen. Normal war, dass missliebige RAI-Mitarbeiter aussortiert oder Sendungen aus dem Programm gekippt wurden. Berlusconi nahm sogar auf die Werbung Einfluss. So sorgte der Premier dafür, dass der Trailer für den Film „Dracquila“ auf keinem der drei RAI-Sender ausgestrahlt wurde. Der Film stellte den Bluff der Regierung beim Wiederaufbau nach dem Erdbeben in den Abruzzen bloß. Dass der Trailer auf Berlusconis drei Mediaset-Privatkanälen nicht zu sehen war, versteht sich von selbst. Doch in der chaotischen italienischen Politik schwebt ein Akteur seit Jahren erhaben und unangreifbar über den Niederungen des Tagesgeschäfts: Staatspräsident Giorgio Napolitano. Das 86-jährige Staatsoberhaupt ist die personifizierte Integrität; eine Intervention bei einer großen Tageszeitung unvorstellbar. Er hätte sie auch gar nicht nötig: „Re Giorgio“ ist in Italien der mit Abstand populärste Politiker; in Umfragen erhält er 90 Prozent Zustimmung. Berlusconis Medien hatten nach dem Sturz des Cavaliere im November eine Kampagne gegen Napolitano inszeniert und dem Staatspräsidenten unterstellt, mit der Einsetzung der Notstandsregierung von Mario Monti einen „Staatsstreich“ durchgeführt zu haben. Das ist noch stärkerer Tobak als der Vorwurf, von einem Freund einen günstigen Kredit angenommen zu haben. Doch deswegen gleich die Chefredakteure anrufen? Per carità – du meine Güte. Dominik Straub, Rom

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