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Verdächtig? Ben Nenbrook (Lutz Pfaff) war der beste Freund des ermordeten Profifußballers Kevin Faber. Kommissarin Lindholm (Maria Furtwängler) fragt sich, ob Nenbrock nicht auf Faber neidisch war, der eine Karriere in der Nationalmannschaft vor sich hatte. Foto: NDR

© NDR/Marc Meyerbröker

"Tatort" am Ball: Tore und Tabus

Lieber tot als schwul? Kommissarin Charlotte Lindholm will dem Profi-Fußball die homophoben Vorurteile austreiben.

Ein „Tatort“ dauert 90 Minuten. Wie ein Fußballspiel. Kurz vor der Halbzeit, in der 44. Minute küssen sich zwei Männer. Im Fußball ist das ein Tabu. Im Fernsehen längst nicht mehr.

Also macht es sich das Fernsehen zur Aufgabe, die Fußball-Tabus zu knacken. Aus diesem Grund zählt Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) brav auf: „Wir haben einen schwulen Außenminister, einen schwulen Oberbürgermeister“ und fragt entnervt: „Wie muss er denn sein, der Mann im Fußball?“ und „Warum darf ein Fußballer nicht schwul sein?“ Ja, warum? Die Antwort gibt der glühende Fan, aber etwas bräsige, örtliche Kommissar Paul Näter (Fritz Roth). Schließlich heiße es ja „Hannover 96“ und nicht „Hannover 69“. Da ermittelt das ungleiche Duo aber schon in der 62. Minute.

Es geht um den Mord am Stürmer-Jungstar Kevin Faber (Stephan Waak). Dessen Leiche ist sofort in den ersten Spielminuten zu sehen. So schreiben es die Regeln des „Tatort“ vor. Anfangs deutet vieles darauf hin, er könne – gezwungenermaßen – ein schwules Doppelleben geführt haben.

Aber in Tornähe gibt es noch viel mehr Probleme und Tabus: Neben der Homophobie gehört die Hooligan-Gewalt ebenso dazu wie das skrupellose Geschäftsgebaren von Spielerberatern und Managern. Sehr verdächtig ist ein Hooligan – tätowiert wie im Bilderbuch – aber „Hooligans sind ja nicht nur besoffene Faschisten“, sondern ebenso gesittete Apotheker oder Bankangestellte, die in ihrer Freizeit über die Stränge schlagen. Das haben wir schon in der 34. Minute gelernt. Und sind die nicht viel gefährlicher? Erst recht, wenn sie das Internet bedienen können? Und der Spielerberater Leo Biller (Alexander Held) sinnt zwar auf finstere Geschäfte, durch die er sogar seine Lizenz verlieren könnte, aber selbst er hat ein Herz. Bilder von einem früheren Kindergeburtstag bezeugen, dass er dem Toten ein Ersatzvater war.

Diesmal will der „Tatort“ dem Fußballermilieu ganz nah sein. Optisch gelingt das auch. Es wurde mit begeisterten Fans im vollen Stadion gedreht; in der Umkleidekabine wird ermittelt; bedeutende Dialoge finden auf der Tribüne statt; wir sehen Ball und Beine aus einem Bundesliga-Derby und Eingeweihte können auf dem Trainingsgelände sogar den dribbelnden Hannover-96-Spieler Mo Idrissou im Hintergrund erkennen.

Aber wie im Katalog werden die Probleme des Profifußballs durchgegangen, die sich als Handlungsstränge über der Fußballerleiche kreuzen. Zu groß ist die Absicht, um auch einen großen Film hervorzubringen. Obwohl sie in der Schlusssequenz ein schwules Fußballmärchen inszenieren, haben sich Regisseur Nils Willbrandt und Drehbuchautor Harald Göckritz ein richtiges „Brokeback Mountain am Maschsee“ nicht zugetraut. So werden Tabus zwar benannt, aber stets im Rahmen der üblichen Ästhetik. Der Film bleibt verhalten, überschreitet nie Grenzen des Gewohnten, obwohl das beim tatsächlichen Tabubrechen doch nötig wäre.

Entsprechend statisch besteht die Handlung zunächst vor allem aus einer Serie von Vernehmungen und Gesprächen. Erst in düsteren Hooligan-Treffs kommt Dynamik auf. Denn da beschert das Drehbuch der kühlen Blondine Charlotte Lindholm endlich wieder erotisches Flimmern. Dafür sorgt der mindestens ebenso coole, gut gebaute, under cover recherchierende Journalist Jan Lindemann (Benjamin Sadler). Was aus diesem Handlungsstrang wird, bleibt zum Glück so offen wie die Blicke der beiden zum Schluss.

„Tatort: Mord in der ersten Liga“; ARD, 20 Uhr 15

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