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Weibliche Selbstermächtigung. Die Auftritte der mexikanischen Wrestlerinnen haben auch eine gesellschaftspolitische Bedeutung.

© ZDF und Patrick Jasmin

TV-Doku „Luchadoras“: Wrestling als Widerstand

Der ZDF-Dokumentarfilm feiert die Kraft und den Lebensmut der Frauen in Ciudad Juárez, einer der gewalttätigsten Städte der Welt.

Die Frauen schleudern sich gegenseitig auf die Ringmatte, treten, schlagen, rollen in eingeübten Choreographien über den Boden, federn aus den Seilen gekonnt zurück auf die Gegnerin oder kämpfen auch mal zur Gaudi des Publikums außerhalb des Rings weiter: Wrestling ist eine Mischung aus Show und Sport – und selbst im Macho-Staat Mexiko nicht nur Männersache.

In der Stadt Ciudad Juárez, in der in den vergangenen Jahrzehnten so viele Frauen vergewaltigt und ermordet wurden wie an kaum einem anderen Ort der Welt, haben die Auftritte von Wrestlerinnen auch eine gesellschaftspolitische Bedeutung: als Zeichen des Widerstands gegen die Gewalt und das Patriarchat. Weibliche Selbstermächtigung („Empowerment“) auf die harte Tour.

Der Dokumentarfilm „Luchadoras“ taucht ein in die Szene des traditionellen mexikanischen Wrestling-Stils Lucha Libre und erzählt gleichzeitig vom Leben in einer Stadt mit enorm hoher Kriminalitätsrate. Bereits seit den 1990er Jahren kämpfen Aktivistinnen und Angehörige der Opfer gegen die Welle an Femiziden.

Der Film von Paola Calvo und Patrick Jasim zählt keine Fakten auf, geht nicht detailliert auf die Macht der Drogenkartelle und die Verstrickung der Behörden ein und schildert auch nicht Entwicklung und Bedeutung des Widerstands. Dafür entsteht mit den persönlichen Geschichten von drei „Luchadoras“ ein Gefühl vom Leben und vom Alltag der Frauen in Ciudad Juárez.

Die Gewalt ist hier Gewohnheit. Das Fernsehen berichtet ständig, und wenn ein Mord im direkten Umfeld geschieht, stehen die Nachbarn beisammen und diskutieren darüber, warum die Leichentücher immer weiß sind.

Angst und Verunsicherung sind insbesondere für Frauen Teil des Alltags. Gleich zu Beginn fährt man in der Dunkelheit mit einem Bus voller Frauen hinaus in die Wüste, wo die Fabriken stehen. Diese Busse sind berüchtigt, viele Opfer wurden auf dem Weg zur Arbeit entführt.

Aus dem Off schildert eine weibliche Stimme die Erlebnisse einer Frau, die überlebt hat. Mit einem sarkastischen „Willkommen“ beendet sie ihren Bericht. In der Stadt sieht man eine Vielzahl von „Vermisst“-Plakaten mit Fotos von verschwundenen Frauen. Und auf der Straße demonstrieren Frauen und Männer gegen den Vorschlag einer Abgeordneten, zum Schutz vor Femiziden eine Ausgangssperre für Frauen zu verhängen.

Im Mittelpunkt aber stehen drei Luchadoras mit den klangvollen Kampfnamen Lady Candy, Baby Star und Mini Sirenita. Lady Candy arbeitet in einer der Montagefabriken, hilft bei einem Bestatter aus und will mit ihren Auftritten nicht zuletzt ein Visum für die Einreise in die USA finanzieren. Denn ihre beiden Töchter leben auf der anderen Seite des Grenzzauns beim Vater, in El Paso, Texas. Sie ließ sich scheiden, nachdem sie von ihrem Mann geschlagen wurde. Seit Monaten hatte sie keinen Kontakt mehr mit den Kindern.

Baby Star, die ihr Markenzeichen, die kunstvolle Gesichtsmaske, auch bei den Dreharbeiten im privaten Umfeld nicht absetzt, sieht man dagegen im innigen Spiel mit ihrer kleinen Tochter. Eigentlich hatte sie sich schon in Mexico City einen Namen als Lucha-Libre-Star gemacht.

Während eines Urlaubs verliebte sie sich in einen Mann aus Ciudad Juárez, bekam ein Kind und blieb. Nun ringt sie mit der Frage, ob sie das Angebot zur Rückkehr in die Hauptstadt annehmen und die Tochter in der Obhut des Vaters zurücklassen soll. Auch die kleinwüchsige Mini Sirenita ist Mutter und hat einen kleinen Sohn. Ihr Traum ist es, einmal in der Hauptstadt aufzutreten.

Die Kamera dokumentiert intime Momente, ohne dass sich ein peinliches Gefühl einstellt, und begleitet mit eindrucksvollen Bildern die Auftritte der Frauen. Sie teilen aus und stecken ein, dass es beim Zusehen schmerzt, und werden von einem erstaunlich gemischten Publikum gefeiert.

So feiert „Luchadoras“, 2021 bei den Internationalen Filmtagen in Hof als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet, die Kraft und den Lebensmut der Frauen aus Ciudad Juárez. Das ZDF war als Koproduzent mit an Bord und strahlt dieses „Kleine Fernsehspiel“ leider wie üblich mitten in der Nacht aus. Immerhin ist der Film noch bis zum 23. Februar 2023 in der Mediathek abrufbar.

„Luchadoras“, ZDF, Montag, 0 Uhr 55

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