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Medien: Wanderer, kommst du nach...

In „Matusseks Reisen“ wird der frühere „Spiegel“-Kulturchef zum TV-Reporter

Ein schöner Zufall, zumindest für die ARD: Das dreiteilige Debüt von Matthias Matussek als Fernsehreporter weckt durch die Turbulenzen beim „Spiegel“ zusätzliche Neugier. Der konfliktfreudige Matussek war Anfang Dezember seiner Position als Kulturchef beim „Spiegel“ enthoben worden, angeblich wegen seines Hangs zu cholerischen Ausbrüchen. Man glaubt das gerne, zumal Matussek bei einigen Fernsehauftritten etwa im ARD-„Presseclub“ entsprechende Spuren hinterlassen hat. Und wirklich: Es fällt nicht schwer, Matthias Matussek unsympathisch zu finden. Der groß gewachsene Reporter macht in Gesprächen einen fahrigen, nassforschen Eindruck, wirkt bei den Antworten ungeduldig und verfällt manchmal in ein joviales, großspuriges Duzen. „Lass uns mal die Mäntel ausziehen“, sagt er zum Professor, „Mach mal“ zu einem Oberstufenschüler. Und rechnen kann er auch nicht: Von einem Moslem lässt er sich aufzählen, wie oft man sich im Gebet gen Mekka verbeugt, 36 Mal pro Tag. Matussek rechnet hoch und kommt auf die erstaunlichen Zahlen von 380 Mal in der Woche und 20 000 Mal im Jahr. Muss der Mann denn immer so übertreiben?

Dennoch hat der 53-jährige Matussek gute Voraussetzungen für eine Fernsehkarriere. Er will gar nicht erst sein wie so viele Aushängegesichter: sympathisch, glatt, mehrheitsfähig. Matussek verfügt dank einer pointierten Sprache über Meinungs- und Ausdruckskraft, nicht zu vergessen seine Lust zur Selbstdarstellung. Bei seinem erfolgreichen Videoblog, den „Kulturtipps“ bei Spiegel Online, hat das gut funktioniert, auch dank gelegentlicher Selbstironie. Für die vom SWR in Auftrag gegebene Reportage-Reihe „Matusseks Reisen“ begleitete ihn Grimme-Preisträger Volker Heise („Schwarzwaldhaus 1902“) bei Recherchen zum Schönheitswahn („Unheimlich schön!“, heute, 23 Uhr 30), zur Renaissance des Glaubens („Mein Gott!“, 13. Januar, 23 Uhr 30) und der Romantik („Wir Romantiker!“, 20. Januar, 23 Uhr 45). Matussek lässt sich als konservativer Wanderer durch „die aufgeklärte, aber unglückliche Moderne“ treiben.

Doch ganz so viele Ausrufezeichen, wie die Untertitel versprechen, vermag Matussek nicht zu setzen. Der Reporter klappert eine Station nach der anderen ab, zeigt im ersten Teil auch vollen Einsatz, stolziert mit seinen Storchenbeinen ins Fitnessstudio und hält als Zuschauer einer Schönheitsoperation trotz weicher Knie tapfer durch. Aber intellektuell springt bei dieser Reise quer durch Deutschland wenig heraus. Dass Schönheit ein Milliardengeschäft ist und das Schönheitsideal zum Terror werden kann, sind nicht gerade bahnbrechende Erkenntnisse.

Spannender wird es in Folge zwei, in der sich der bekennende Kirchgänger und Katholik Matussek mit dem Thema Religion auseinandersetzt. Es ist ein persönliches Glaubensbekenntnis, die Reisestationen sind Orte seiner eigenen Biographie. In Duisburg schaut er beim Kirchensterben zu, in seinem alten, einst streng katholischen Internat staunt er über „eine Art religiöser Wellness-Atmosphäre“, und auf dem Bonner Marktplatz findet er nur Ungläubige – bis auf den „Mann am Olivenstand“, einen Moslem. Mit Martin Walser schlägt er am Ende einen nachdenklichen Ton an. Einige starke Szenen hat dieser Film, doch Matussek steht sich selbst im Weg, drängelt sich mit Meinungen nach vorne, wo er Gesprächspartnern Raum lassen müsste, eigene Gedanken zu entwickeln. So sieht mancher wie Staffage aus neben einem Reporter, der gerne auch mal laut wird – bei diesem Filmprojekt aber nur, wenn er selbst etwas nicht gut gemacht habe, teilt SWR-Redakteurin Martina Zöllner mit. Da habe er im Schneideraum „schon mal aufgeschrien“. Matussek ist eben stets „anschnauzbereit“, wie der Schriftsteller Thomas Brussig im Wenderoman „Wie es leuchtet“ über dessen Alter Ego Leo Lattke geschrieben hatte – offenbar auch sich selbst gegenüber.

„Matusseks Reisen: Unheimlich schön!“, 23 Uhr 30, ARD

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