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Süß mit Fuchs. Die "Quelle" setzt auf den Tiereffekt.

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Zeitungen an Berliner Hochschulen: Mal mit Genderstern, mal mit süßen Tieren - fast immer politisch

Nirgends gibt es mehr Studierendenzeitungen als in Berlin. Inhalt und Optik variieren, aber Herzblut fließt überall. Drei Beispiele.

Corinna Segelken macht sich Sorgen. „Der nächste Monat wird wieder hart.“ Sie spricht aus Erfahrung. Zweimal im Jahr läuft alles auf ein Wochenende hinaus, Arbeit und Stress nehmen dann kontinuierlich zu. „Dann sperren wir uns von Freitag bis Sonntag mit Fertiggerichten und Bier ein und bringen es zu Ende“, sagt Segelken und lächelt. Sie tut sich das gerne an. „Das ist schließlich unser Baby.“ Segelken ist Chefredakteurin von „Furios“, einer von vier studentischen Zeitungen an der Freien Universität (FU) – „die einzig richtige Uni-Zeitung“, sagt die 21-Jährige und grinst.

Nirgendwo in Deutschland gibt es mehr Universitäten und Hochschulen als in Berlin. 183 000 Studierende waren zum Semesterstart vor zwei Wochen eingeschrieben, wie der Senat am Freitag mitteilte. Die studieren nicht nur, sondern lassen auch etliche Zeitungen und Magazine entstehen. Sie heißen „UnAuf“, „Obacht_“, „OSI-Zeitung“, „Spree“ oder „Quelle“. Mal sind die Blätter politisch, mal skurril, mal verschnarcht. Manche achten strikt auf redaktionelle Unabhängigkeit und legen sich mit Studentenvertretungen an, andere werden von Fachschaften herausgegeben. Was alle jungen Zeitungsmacher eint, ist das Herzblut, das in ihre Produkte fließt – und oft die Hoffnung auf eine Zukunft im Journalismus.

"Am wichtigsten ist uns die Unabhängigkeit"

Auch Corinna Segelken kann sich vorstellen, nach dem Studium journalistisch weiterzuarbeiten. „Als ich vor zwei Jahren angefangen habe, hatte ich noch keine Erfahrung, aber es begeistert mich“, sagt die Publizistik-Studentin. Zusammen mit dem Politik-Student Theo Wilde leitet sie seit diesem Semester die „Furios“.

Die Studentenzeitung „Furios“ erscheint an der FU Berlin. Die Auflage beträgt 5000 Exemplare.
Die Studentenzeitung „Furios“ erscheint an der FU Berlin. Die Auflage beträgt 5000 Exemplare.

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Ein kleines, schmuckloses Büro stellt ihnen die Uni dafür zur Verfügung. Darin ein Aktenschrank mit alten Ausgaben, eine orange Kaffeemaschine aus den 80er Jahren, neben dem Tisch stehen leere Mate-Flaschen. Abgesehen vom Raum ist die „Furios“ vollkommen unabhängig. „Das ist für uns das Wichtigste“, sagt Wilde und erklärt, dass sich das Magazin mit einer Auflage von 5000 Stück deshalb komplett über Anzeigen und einen Förderverein finanziert. Wenn die Einnahmen mal geringer sind, wird das Heft eben ein paar Seiten dünner.

Ein Zeichen gegen den linken Mainstream

Seit zehn Jahren gibt es die „Furios“. Gegründet wurde sie von einer liberalen VWL-Fraktion, die ein Zeichen gegen den linken Mainstream-Diskurs an der FU setzen wollte. Inzwischen schreiben jedoch hauptsächlich geisteswissenschaftliche Studierende für das Magazin. Seit einem Beschluss vor einem Jahr werden alle Artikel mit einem Sternchen gegendert. „Wir haben uns eben weiterentwickelt“, sagt Segelken und ergänzt: „Ich werde mich dafür einsetzen, dass das so bleibt.“

Für ihre erste Ausgabe in verantwortlicher Position wollen die beiden inhaltlich erst einmal nichts verändern. „Wir möchten zeitlos sein und trotzdem nah an studentischen Themen“, sagt Wilde. Regelmäßig werden Hochschulpolitik, Wohnungsnot und BVG-Chaos beleuchtet. In der letzten Ausgabe gab es auch einen Bericht über ungewöhnliche Studentenjobs (Sargträger), die Hassliebe zwischen einer Studentin und dem Semesterticket und ein Interview mit der früheren FU-Studentin Ska Keller, die heute für die Grünen im Europaparlament sitzt.

Ein Magazin ist nach der Stammkneipe des Gründers benannt

Ein bisschen „langweilig“ findet Robert Hofmann die „Furios“. Ganz unvoreingenommen kann er aber nicht sprechen, schließlich ist er der Gründer des studentisch-gesellschaftlichen Magazins „Zur Quelle“, das seit 2013 viermal im Jahr erscheint. Benannt ist es nach der Stammkneipe von Hofmann in Moabit. In der verrauchten Spelunke finden noch immer regelmäßig Redaktionskonferenzen zwischen Jukebox und Billardtisch statt. Ursprünglich wollte Hofmann eine Alternative zum „Schwarz-Weiß-Blättchen mit Mensa-Plan“ gestalten. Doch das Potsdamer Studierendenmagazin hat sich längst von der Uni emanzipiert. „Wir definieren uns als Mix zwischen ,Dummy‘, ,ZeitCampus‘, ,Vice‘ und ,Titanic‘ “, sagt er. Die Beziehung zur Potsdamer Uni sei immer sehr ironisch gewesen, sagt Hofmann, der nach 16 Semestern gerade seinen Geschichts-Bachelor abgeschlossen hat. „Wir wollen nicht wie andere Studierendenzeitungen beim Studieren helfen, sondern motivieren, das Studium abzubrechen.“ Passenderweise plant die „Quelle“ gerade ihre erste eigene Preisverleihung – für die schlechteste studentische Hausarbeit. „50 Einsendungen haben wir schon“, sagt Hofmann.

Dass die „Quelle“ ein etwas anderes Studierendenmagazin ist, zeigt sich auch optisch. Immer quietschbunt, immer mit einem süßen Tier auf dem Cover. Die Release-Party der letzten Ausgabe fand in einem Erotikladen statt, es gab Bier, Workshops und Vibratoren-Wettrennen. Auch bei der Finanzierung suchen Hofmann und seine Kollegen, die aus Platzmangel alle Ausgaben in WG-Küchen produziert haben, neue Wege. Sie verkaufen ihre Ausgaben, organisieren Partys und waren zuletzt auf der Frankfurter Buchmesse. „Als Nächstes wollen wir mit Leserreisen nach Brandenburg Geld verdienen“, sagt Hofmann. Der Markt für ein Heft wie die „Quelle“ sei da, glaubt er. Nur bekannter müsse man werden.

"Erste freie Zeitung der DDR"

Das wünscht sich auch Vilma-Lou Sinn. „Es ist immer wieder schade, wie viele Menschen überrascht sind und uns nicht kennen“, sagt die VWL-Studentin, die zur dreiköpfigen Chefredaktion der „UnAufgefordert“, kurz „UnAuf“, gehört. Die Zeitung der Humboldt-Universität gibt es seit Herbst 1989, die „erste freie Zeitung der DDR“, heißt es auf der Homepage. In dieser Tradition sieht sich die „UnAuf“ weiterhin. In der aktuellen Ausgabe kritisieren drei Autoren die undurchsichtige Ämtervergabe im Studierendenparlament (Stupa). „Nicht alle waren über den Artikel glücklich, aber das hält uns nicht davon ab, auch in Zukunft weiter zu recherchieren und über die Arbeit in Stupa und Ref-Rat zu berichten. Denn es ist unsere Aufgabe, solche Vorgänge öffentlich zu machen.“

Die "UnAuf" war die erste freie Zeitung der DDR.
Die "UnAuf" war die erste freie Zeitung der DDR.

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Das sei jedoch schwieriger geworden, weil der Anzeigenmarkt umkämpft ist. Im letzten Jahr wurde deshalb die Auflage von 5000 auf 4000 Stück gesenkt. Sinns Motivation tut das keinen Abbruch. „Es ist einfach ein tolles Gefühl, für eine fertige Ausgabe positives Feedback zu bekommen“, sagt sie. Diese Erfahrung teilt sie mit allen Zeitungsmachern – nicht nur mit denen an der Universität.

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