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Eine Muslima mit Kopftuch holt ihre Kinder von der Schule ab.

© imago/Winfried Rothermel/Winfried Rothermel

Migrantische Eltern fragen sich: Wird Deutschland noch das Land unserer Kinder sein?

Der Rechtsruck bei den Bundestagswahlen besorgt unseren Autor. Wird dies eine Gesellschaft, in der Herkunft, Name und Hautfarbe darüber entscheiden, wer dazugehört – und wer nicht?

Ein Gastbeitrag von Asif Malik

Stand:

Deutschland steht an einem Wendepunkt. Die Bundestagswahl 2025 und der dramatische Anstieg der AfD-Unterstützung markieren mehr als nur eine politische Verschiebung.

Sie offenbaren tieferliegende gesellschaftliche Risse, die mich als Vater von drei Töchtern und viel meiner Freunde, die wie ich Migrationsgeschichte haben, schmerzlich berühren. Wir fragen uns: In welchem Deutschland werden unsere Kinder aufwachsen? In einem Land, das seine Vielfalt als Stärke begreift? Oder in einer Gesellschaft, in der Herkunft, Name und Hautfarbe darüber entscheiden, wer dazugehört – und wer nicht?

Mich beschäftigen diese Fragen schon länger. Ich bin in Berlin aufgewachsen, habe in Hamburg studiert, Deutschland war immer mein Zuhause. Doch in letzter Zeit spüre ich eine Veränderung. Mein Name, meine Herkunft – Merkmale, die ich früher als selbstverständlichen Teil meiner Identität empfand – scheinen zunehmend zu einem Stigma zu werden.

Schon fange ich an, bei Mails an Dienstleister und Institutionen meine Signatur mit Diplom-Hinweis mitzuschicken, um mögliche Vorbehalte auszuräumen. Auch in Gesprächen mit Freunden höre ich so etwas. Subtil, aber spürbar vergrößert die Mehrheitsgesellschaft den Abstand wieder, und Menschen mit ausländisch klingenden Namen erfahren wieder mehr Ablehnung

Warum bleiben, wenn man anderswo nicht ständig erklären muss, warum man dazugehört?

Was, wenn diese Subtilität eines Tages offen ausagiert wird? Wenn der Abstand für gesellschaftsfähig und für rechtfertigenswert gehalten wird?

Auch wenn man das alles nicht so gerne hört oder wahrhaben möchte, stellt sich die Frage immer lauter: Warum bleiben, wenn man anderswo nicht ständig erklären muss, warum man dazugehört? Aber wohin soll man auswandern, wenn man doch seine Wurzeln hier hat und nicht bereit ist, alles hinter sich zu lassen.

Diese Gedanken verfolgen mich und viele Freunde von mir besonders, wenn es um die Kinder geht, die ihre ganze Zukunft in diesem Land noch vor sich haben. Was wird ihnen blühen, wenn das Klima der Ausgrenzung weiter um sich greift?

Werden sie erklären müssen, dass sie „trotz ihres Namens“ hierhergehören? Werden sie doppelt so gut sein müssen, um die Hälfte der Anerkennung zu erhalten?

So schmerzlich es ist, diese Fragen zu stellen, fühle ich mich durch den gesellschaftlichen Diskurs der vergangenen Jahre dazu regelrecht gezwungen. Der Aufstieg der AfD ist mehr als nur ein politisches Signal. Er ist das Symptom eines tiefen Misstrauens in der Gesellschaft.

Die Rhetorik der Ausgrenzung, die Normalisierung des „Wir gegen Die“-Denkens, Deutsche ohne Migrationshintergrund gegen Menschen mit Migrationshintergrund, hat leider inzwischen auch Teile der sogenannten Mitte erreicht, ist von den rechtsextremen Randgruppen ausgehend in die Parlamente eingezogen.

Die Frage ist: Hält die Brandmauer?

Diese Entwicklung vergiftet nicht nur die politische Kultur, sondern gefährdet auch das soziale Miteinander.

Genauso besorgniserregend ist die Frage, ob die Brandmauer gegen rechts tatsächlich standhält. Können wir sicher sein, dass die CDU – unter dem wahrscheinlichen neuen Kanzler Friedrich Merz – nicht dem Druck eines erstarkten extremrechten Lagers nachgibt?

Was, wenn die nächste Koalition brüchig ist, vorzeitig scheitert und bei einer Neuwahl die AfD womöglich sogar eine Regierung anführt? Ein Szenario, das einst unvorstellbar schien, wirkt plötzlich erschreckend real. Was bedeutet das für die nächste Generation, für unsere Kinder?

Diese Unsicherheit nistet sich bereits in das gesellschaftliche Fundament ein. Sie erzeugt Misstrauen und Distanz, wo Vertrauen und Zusammenhalt nötig wären. Deutschland ist längst ein Einwanderungsland. Doch während die wirtschaftliche Lage real von der Vielfalt der Bevölkerung profitiert, hinkt die gesellschaftliche Anerkennung hinterher.

Alles so schön bunt hier: Ein Haus flaggt Multikulti.

© ullstein bild

Studien zeigen, dass Bewerber mit ausländischen Namen bei gleicher Qualifikation seltener zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Wohnungsbesichtigungen werden abgesagt, sobald der Nachname „fremd“ klingt. Es sind keine Einzelfälle – es ist ein Muster. Und dieses Muster droht sich zu verfestigen, wenn die politische Stimmung weiterhin von Ausgrenzung und Angst geprägt wird.

Ich frage mich: Was bleibt von diesem Land, wenn wir uns nicht mehr als eine Gemeinschaft verstehen, sondern nur noch als Gruppen, die sich misstrauisch beäugen? Wenn Zugehörigkeit nicht mehr selbstverständlich ist, sondern zur Verhandlungssache wird?

Für meine Kinder wünsche ich mir ein anderes Deutschland. Ein Land, in dem Vielfalt nicht als Bedrohung wahrgenommen wird, sondern als Chance. Ein Land, in dem kein Kind erklären muss, warum es dazugehört. Doch diese Hoffnung braucht gesellschaftliche Entschlossenheit. Es reicht nicht, sich mit dem Status quo abzufinden. Wir müssen die Stimmen der Vernunft und des Miteinanders stärken, bevor es zu spät ist.

Vor allem muss Friedrich Merz jetzt Wahl beweisen, dass seine teils migrationsfeindliche Rhetorik des Wahlkampfes nicht zur Regierungsrealität wird. Es braucht den ernsthaften Willen, nach dem Gemeinsamen zu suchen – und nicht nach dem Trennenden.

Es geht um mehr als politische Mehrheiten. Es geht um das Selbstverständnis dieses Landes. Wollen wir ein Deutschland, das sich von Angst und Ausgrenzung leiten lässt? Oder ein Land, das seinen Reichtum in der Vielfalt erkennt und daraus Stärke schöpft?

Die Entscheidung liegt bei uns allen. Die Bundestagswahl 2025 mag vorbei sein. Doch die Weichen für die Zukunft werden jeden Tag neu gestellt. Ich hoffe, dass meine Kinder eines Tages in einem Deutschland leben, das die richtigen Entscheidungen trifft. Ein Deutschland, das Heimat bleibt – für alle, die hier leben.

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