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Mehrere Tote nach Amoklauf an Grazer Schule: Auch Pläne für Sprengstoffanschlag gefunden – was wir bisher wissen
Es ist einer der schlimmsten Amokläufe in der Geschichte Österreichs: An einer Schule in Graz sind elf Menschen durch Schüsse getötet worden. Die Polizei findet einen Abschiedsbrief – ohne Erklärung.
Stand:
Am Wohnort des Amokläufers von Graz sind neben einer nicht funktionstüchtigen Rohrbombe auch Pläne für einen Sprengstoffanschlag gefunden worden. Diese Pläne seien offenbar verworfen worden, teilte die österreichische Polizei am Mittwoch mit.
Der 21-jährige Österreicher hatte am Dienstag in seinem ehemaligen Gymnasium zehn Menschen getötet und Suizid verübt. Am Tatort wurden eine Schrotflinte und eine Faustfeuerwaffe gefunden. Zudem gibt es elf Verletzte, manche davon schwer. Mittlerweile sind sie alle in stabilem Zustand, wie der Krankenhausbetreiber Kages am Mittwoch mitteilte. Aus den Abschiedsnachrichten des jungen Mannnes ging kein Motiv hervor.
Was ist in Graz passiert?
An dem Bundesoberstufenrealgymnasium (BORG) Dreierschützengasse in Graz waren am Vormittag gegen zehn Uhr Schüsse gefallen, in zwei Klassenräumen wurde offenbar das Feuer eröffnet, berichten die Zeitungen „Krone“ und „Kurier“.
Zum zeitlichen Ablauf der Tat sagte Franz Ruf, Direktor für Öffentliche Sicherheit, am Dienstagabend im ORF, um 10.00 Uhr und einer Sekunde sei ein Notruf eingegangen. Um 10.06 Uhr sei eine erste Streife eingetroffen, dann die schnellen Reaktionskräfte und das Einsatzkommando Cobra.
Um 10.17 Uhr hätte die Lage freigegeben werden können, sodass Notärzte und Rettungsteams erste Rettungsmaßnahmen hätten vornehmen konnten.
Ein Vater schilderte in einem Video des Senders Puls24, was sein Sohn ihm am Telefon erzählt habe, während dieser in der Schule gewesen sei. Der Amokläufer habe in einem Klassenzimmer auf Schülerinnen und Schüler geschossen. Sein Sohn habe berichtet, dass er sich auf den Boden geworfen und tot gestellt habe.
„Ich habe mit eigenen Augen gesehen: drei Kollegen sind getötet worden in der Schule“, berichtete der Vater dem Sender, was sein Sohn am Telefon erzählt habe. Er sei unverletzt geblieben.
Sein zweiter Sohn sei erst nicht zu erreichen gewesen, berichtete der Vater, dem mehrfach die Stimme brach. Er habe große Sorge gehabt. Der Sohn habe sich dann aber aus der Halle gemeldet, in die alle überlebenden und nicht verletzten Schülerinnen und Schüler gebracht worden waren.
Dutzende Spezialeinheiten waren vor Ort, das Gymnasium wurde evakuiert. Schüler und Lehrer wurden zu einem sicheren Treffpunkt geleitet. Für die Eltern wurde ein Sammelplatz eingerichtet. Wie ein Sprecher des örtlichen Roten Kreuzes der Deutschen Presse-Agentur sagte, waren mehr als 160 Retter im Einsatz.

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Sie seien mit 65 Fahrzeugen angerückt. Auch mehrere Rettungshubschrauber waren im Einsatz. Ein spezieller Alarmplan des Landes für die Versorgung zahlreicher Verletzte sei aktiviert worden. Gegen 11.30 Uhr gab die Polizei Entwarnung: „Die Lage ist gesichert. Es wird von keiner weiteren Gefahr ausgegangen“, hieß es auf X. Die Polizei geht von einem Einzeltäter aus.
Die Behörden baten eindringlich darum, keine Videos in den sozialen Netzwerken zu posten, um die Privatsphäre der Betroffenen zu wahren.
Was ist über den Angreifer bekannt?
Der mutmaßliche Täter ist nach Angaben der Polizei ein 21-jähriger Österreicher aus dem Raum Graz. Es handelt sich um einen ehemaligen Schüler des Gymnasiums in der Grazer Dreierschützengasse, der jedoch keinen Abschluss gemacht habe, sagte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) am Dienstagnachmittag. Er lebte zusammen mit seiner Mutter, hieß es von der Polizei. Sein Vater lebte getrennt von ihm und der Mutter.
Laut Polizei nahm er sich in einer Schultoilette das Leben. Ersten Ermittlungen zufolge handelte der Täter offenbar allein. Den Behörden war er bislang nicht bekannt.
Welches Motiv hatte der Angreifer in Graz?
Am Mittwochabend wurde bestätigt, dass der Angreifer einen Abschiedsbrief hinterlassen hat. Die Polizei habe ein in analoger und digitaler Form vorliegendes Dokument sichergestellt, in dem sich der junge Mann von seinen Eltern verabschiede, sagte der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, im ORF-Fernsehen. „Es kann aber aus dem Abschiedsbrief kein Motiv entnommen werden. Das ist Gegenstand der weiteren Ermittlungen.“ Medien hatten spekuliert, dass der junge Mann in seiner Schulzeit wohl gemobbt worden sei.
Auch in den Augen von Experten gewinnt die These, dass jahrelanges Mobbing zu Rachegelüsten geführt hat, an Plausibilität. Grundsätzlich sei an Schulen zu beobachten, dass eine steigende Zahl an jungen Menschen sich nicht mehr ausreichend wahrgenommen fühle, was zu latenter oder offener Gewalt führen könne, sagte der Leiter des Schulärztlichen Dienstes der Steiermark, Josef Zollneritsch. Da gehe es um „kleine und kleinste Nadelstiche“, die sich im Laufe der Zeit zu einer gewaltigen Kränkung steigern könnten.

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Die verwendeten Waffen, eine Pistole und eine Schrotflinte, hat er legal besessen. Das bestätigten die Behörden. Er habe eine Waffenbesitzkarte gehabt, so der Landespolizeidirektor der Steiermark, Gerald Ortner. Bei einer Hausdurchsuchung sei auch eine Rohbombe gefunden wurden. Die Rohrbombe sei aber offenbar nicht funktionstüchtig, sagte Ruf. Bei einem der Tatorte soll es sich laut österreichischen Medien um seinen früheren Klassenraum handeln.
Wieso hatte der mutmaßliche Täter legal Waffen?
In Österreich sei der legale Erwerb von Waffen deutlich einfacher als im besonders strengen Deutschland, sagt der Geschäftsführer des Wiener Waffenhandels Euroguns, Markus Schwaiger, der Deutschen Presse-Agentur. „In Deutschland wird fast keine Waffenbesitzkarte mehr ausgestellt.“
Anders in Österreich: Jeder mindestens 18-jährige EU-Bürger mit Wohnsitz in Österreich, gegen den kein Waffenverbot verhängt wurde, dürfe bestimmte Gewehre nach mehrtägiger Wartefrist und Registrierung kaufen.
Im Fall des 21-jährigen Amokschützen von Graz wird die Sache noch brisanter. Nach Angaben der Polizei hatte der junge Mann eine Waffenbesitzkarte, wie sie für eine Pistole zwingend nötig ist. Das heißt, er musste einen sogenannten Waffen-Führerschein erwerben – eine umfassende theoretische und praktische Schulung – und einen Test beim Psychologen bestehen. Ein Amokläufer mit einer Waffenbesitzkarte – „das ist so eine Art Super-GAU“, sagte Schwaiger.
Bisher hätten Amokläufer oder auch der Schütze beim islamistischen Anschlag in Wien im November 2020 Langwaffen oder illegale Waffen verwendet, so der Waffenhändler. Was jetzt passiert sei, sei nach seinem Wissen eine Premiere, so Schwaiger.
Unterdessen zeigen sich die Sicherheitsbehörden in Österreich offen für eine Debatte über das Waffenrecht. Es gelte, den Fall genau zu analysieren und zu prüfen, ob die gesetzlichen Vorgaben lückenhaft seien und gegebenenfalls nachgeschärft werden müssten, sagte der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf.
Wie viele Menschen sind von der Tat betroffen?
Zwölf Menschen waren nach dem Amoklauf teils schwer verletzt worden, zwei befanden sich in kritischem Zustand. Mittlerweile ist eine dieser Personen im Krankenhaus ihren Verletzungen erlegen. Sechs der neun unmittelbar Getöteten waren laut Innenminister Gerhard Karner weiblich, drei männlich.
Am Mittwoch teilte der Krankenhausbetreiber mit, dass alle übrigen elf Verletzten in stabilem Zustand seien. Neun davon würden noch auf Intensivstationen in mehreren Krankenhäusern betreut, hieß es. Bei einem Opfer mit Gesichtsverletzungen sei eine Folgeoperation nötig, ein weiteres Opfer müsse noch am Knie operiert werden.
Österreich wird der Opfer nun mit einer dreitägigen Staatstrauer gedenken. Am Mittwoch soll es eine landesweite Schweigeminute geben. Die Flaggen an Präsidentschaftskanzlei und Bundeskanzleramt sowie an anderen offiziellen Gebäuden werden auf halbmast gesetzt
Wie reagiert die Politik auf den Amoklauf in Graz?
„Der Amoklauf an einer Schule in Graz ist eine nationale Tragödie, die unser gesamtes Land tief erschüttert“, schrieb Bundeskanzler Stocker auf X. „Durch diese unfassbare Tat wurden Jugendliche plötzlich aus dem Leben gerissen, das sie noch vor sich hatten.“ Es gebe keine Worte für den Schmerz und die Trauer.
„Was heute passiert ist, trifft uns alle – als Menschen, als Eltern, als Gesellschaft“, betonte Stocker. Schule sei ein Ort des Vertrauens, der Geborgenheit, der Hoffnung. Dieser sichere Raum sei „brutal erschüttert“ worden. Auf mögliche politische Konsequenzen ging der Bundeskanzler zunächst nicht ein: „Heute geht es vor allem um Mitgefühl.“
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Stocker war wie Innenminister Karner am Tatort, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Das bestätigte eine Sprecherin des Kanzleramts der Deutschen Presse-Agentur. Auch der Ministerpräsident der Steiermark Mario Kunasek (FPÖ) hat seine Termine abgesagt und ist dorthin unterwegs.

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Österreichs Staatsoberhaupt Alexander Van der Bellen zeigte sich tief erschüttert. „Dieser Horror ist nicht in Worte zufassen“, schrieb der Bundespräsident auf X. Es gebe in diesem Moment nichts, was in diesem Moment den Schmerz von Eltern und Großeltern, von Geschwistern, Freunden und Freundinnen lindern könne. „Österreich trauert.“
Jetzt sei Zusammenhalt geboten. „Heute und in den schweren Tagen, die kommen, wird unser Land zeigen, dass in diesem Miteinander seine Stärke liegt“, so Van der Bellen weiter.
Auch Steinmeier und Merz zeigen sich betroffen
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich entsetzt über den tödlichen Angriff in einer Schule in Österreich gezeigt. „Mit großer Bestürzung und tiefer Trauer habe ich von der Gewalttat in Graz erfahren, bei der so viele unschuldige Menschen ihr Leben verloren haben“, erklärte Steinmeier am Dienstag.
Er sprach dem österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen im Namen aller Deutschen seine „aufrichtige Anteilnahme“ aus und wünschte den Verletzten „eine rasche und vollständige Genesung“.
Auch Kanzler Friedrich Merz (CDU) zeigte sich betroffen. „Mit großer Bestürzung habe ich die Nachrichten aus Graz vernommen“, schrieb er in einem Kondolenztelegramm an den österreichischen Bundeskanzler Christian Stocker. „Es erschüttert mich zutiefst, dass junge Menschen so jäh aus dem Leben gerissen wurden.“
Merz sprach den Familien der Opfer seine Anteilnahme aus. „Wir teilen ihren Schmerz und ihre Trauer“, erklärte er. „Den Verletzten wünschen wir rasche und möglichst vollständige Genesung.“
Die EU-Kommission sprach ebenfalls ihr Beileid aus: „Wir möchten den Familien der Opfer und der ganzen Stadt Graz unser tiefstes Beileid aussprechen“, sagte eine Kommissionssprecherin in Brüssel. „Wir stehen gemeinsam in Trauer und suchen nach Klarheit nach diesem schrecklichen Ereignis in einer Schule.“ Es seien „absolut schreckliche und tragische Nachrichten“.
Die Schule wird nach Angaben eines Sprechers des Bildungsministeriums diese Woche keinen normalen Betrieb anbieten. Es gehe in diesem Moment um Angebote, die helfen könnten, die Trauer und Verzweiflung irgendwie zu verarbeiten. (Tsp mit Agenturen)
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