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In die ICE-Flotte soll massiv investiert werden.

© Holger Hollemann/dpa

Auch Klimaschutz im Fokus: Deutsche Bahn will Großstädte im 30-Minuten-Takt verbinden

Doppelt so viele Passagiere, schnellere Verbindungen, Umstellung auf Ökostrom: Die Bahn will die Klimaschutz-Diskussion nutzen, um massiv zu wachsen.

Mit einer neuen Dachstrategie „Starke Schiene“ will sich die Deutsche Bahn AG künftig auf das Kerngeschäft in Deutschland konzentrieren und den Klimaschutz durch mehr und besseren Schienenverkehrs voranbringen. „Wir setzen voll und ganz auf einen starken Ausbau der Bahn“, heißt es in dem Papier, das dem Tagesspiegel vorliegt. Demnach soll die Infrastruktur robuster, das Unternehmen schlagkräftiger und der Bahnverkehr schneller und moderner werden.

Damit vollzieht Bahnchef Richard Lutz eine Kehrtwende und verabschiedet sich vom umstrittenen Ziel seines Vorgängers Rüdiger Grube, den Umsatz des größten Bundesunternehmens mit seinen 319.000 Mitarbeitern durch weltweite Expansion auf 70 Milliarden Euro zu verdoppeln.

Der wichtigste deutsche Staatskonzern hat seit der Jahrtausendwende viele Milliarden im Ausland und in schienenfremde Geschäfte investiert. Zu Jahresbeginn hatte der Bundesrechnungshof in seiner kritischen Bilanz zu 25 Jahren Bahnreform von der Bundesregierung mit sehr deutlichen Worten ein Umsteuern und die Konzentration auf das Kerngeschäft Schiene verlangt.

Der DB-Aufsichtsrat wird die neue Strategie Mitte Juni bei einem zweitägigen Treffen beraten. Zur Neuausrichtung gehört der Verkauf der britischen Bus- und Bahntochter Arriva mit seinen mehr als 50.000 Beschäftigten. In Deutschland sollen 100.000 neue Mitarbeiter eingestellt werden, auch um die hohen Rentenabgänge aufzufangen. Dem Tagesspiegel liegen umfangreiche Informationen aus Aufsichtsratskreisen vor. Hier ein Überblick.

Was soll die neue Strategie bringen?

Die DB AG steckt tief in der Krise: Der Zugverkehr ist unpünktlich, es fehlen Fahrzeuge und Personal, das Netz ist überlastet und überaltert, der Konzern hoch verschuldet und ertragsschwach. Die Strategien von Ex-Chef Grube – Zukunft Bahn und vor allem DB 2020+ – gelten als weitgehend gescheitert und fanden kaum Akzeptanz an der Basis. Mit der neuen Strategie soll bis 2030 das lange vernachlässigte Kerngeschäft in Deutschland gestärkt werden: der Fern-, Regional- und Güterverkehr auf der Schiene. Denn die Nachfrage wächst enorm. Immer mehr Menschen fahren Bahn.

Was sind die Ziele?

DB-Chef Lutz braucht fast fünf Milliarden Euro für seine Agenda für eine bessere Bahn, die Pünktlichkeit und Qualität verbessern und die nötigen Kapazitäten bei Zügen, Personal und Netz schaffen soll. Die neue Strategie soll zeigen, dass die Kunden und die Umwelt profitieren. Die Bahn will zum Klimaschutz beitragen und bis 2038 ihre Züge komplett mit Ökostrom betreiben. So soll auch Akzeptanz für die nötigen Milliardensummen an Steuergeld geschaffen werden, die für den Erfolg der Neuausrichtung gebraucht werden.

Was haben die Bahnkunden davon?

Die DB verspricht viele neue Angebote. Im Fernverkehr soll sich die Zahl der Passagiere zwischen 2015 und 2030 auf 260 Millionen verdoppeln. 30 Großstädte sollen dann im Halbstunden-Takt verbunden sein, als erste Verbindung kommt Hamburg-Berlin. Dafür sollen 120 weitere Fernzüge und die Flotte auf dann 600 Fahrzeuge ausgebaut werden. Weitere sieben Millionen Menschen sollen direkt ans ICE-, Intercity- und Eurocity-Netz angebunden werden. Kleinere und mittlere Städte sollen mindestens im Zweistundentakt Abfahrten bekommen. Im Nahverkehr sollen eine Milliarde Fahrgäste pro Jahr zusätzlich gewonnen werden, auch durch neue Mobilitätsangebote und bessere Vernetzung.

Bahnchef Richard Lutz.
Bahnchef Richard Lutz.

© Michael Kappeler/dpa

Was passiert bei der Infrastruktur?

Das 33.200 km lange Schienennetz und die mehr als 5000 Bahnhöfe gehören dem Bund, werden von der DB Netz verwaltet und sind teils veraltet und verrottet, auch wegen zu geringer und ineffizienter Finanzierung. Nun sollen die Kapazitäten um 30 Prozent auf 1,45 Milliarden Trassenkilometer durch Ausbau, Modernisierung und Digitalisierung erweitert werden. Das gilt als zentrale Voraussetzung, um das Wachstum beim Personen- und Güterverkehr bewältigen zu können. Die bisher zugesagten Mittel der Bundesregierung gelten aber als viel zu gering, um die versprochene neue Ära wirklich erreichen zu können.

Werden die Bahnhöfe attraktiver?

Auch das wird versprochen. Viele Stationen sind mangels Investitionen heruntergekommen. Nun sollen wieder „Drehscheiben multimodaler Mobilität und Zentren urbanen Lebens“ entstehen. Die Kapazität der deutschen Bahnhöfe sollen von 20 auf 40 Millionen Gäste täglich verdoppelt werden. Der Übergang zwischen Schiene, Rad, Bus und neuen Angeboten wie Carsharing und E-Scooter soll erleichtert werden.

Was ist im Güterverkehr geplant?

Der Frachtverkehr auf der Schiene gehört wegen massiver politischer Fehlsteuerungen und Missmanagement zum größten Problem, die DB Cargo fährt seit Jahren hohe Verluste ein und hat die Hälfte des Marktes an private Wettbewerber verloren. Bis April steht ein weiteres Minus von 98 Millionen Euro zu Buche. Unter Grube führten geplante weitere Rotstiftaktionen zu heftigen Protesten und Konflikten. Nun soll die größte Frachtbahn Europas mit dem Kauf von 300 Loks durchstarten, 70 Prozent mehr Güter transportieren und den Marktanteil der Schiene gegenüber dem umweltschädlichen Lkw von 18 auf 25 Prozent erhöhen. Auch der gefährdete Einzelwagenverkehr soll dazu modernisiert und gestärkt werden.

Wie steht die Bahn wirtschaftlich da?

In den ersten vier Monaten hat sich der Umsatz um 471 Millionen auf knapp 14,6 Milliarden Euro erhöht. Der Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit) sank allerdings um fast ein Viertel von 434 auf 336 Millionen Euro. Ein großer Teil der Erträge kommt weiterhin aus der vom Steuerzahler subventionierten Infrastruktursparte DB Netz.

Neben der Ertragsschwäche machen die hohen Schulden Sorgen. Da nun auch Leasingverpflichtungen ausgewiesen werden müssen, werden in der nächsten Halbjahresbilanz nach Informationen des Tagesspiegel bereits mehr als 25 Milliarden Euro Verbindlichkeiten stehen. Die DB AG war 1994 schuldenfrei gestartet, Bundes- und Reichsbahn hatten zuvor in mehr als vierzig Jahren lediglich 32 Milliarden Euro Schulden aufgehäuft.

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