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Panorama: Auf dem Trockenen

Ein etwas kauziger Kapitän ist vor Monaten bei Schnackenburg gestrandet. Diesen Ort kannte vorher kaum jemand. Das hat sich geändert

Christina Schneider,

Schnackenburg

In der Kajüte der „BM 5247“ hängen gleich vier Kalender. Einer mit klugen Zitaten zum Abreißen für jeden Tag. Einer vom „Ölservice Hitzacker“, an dem klemmt ein kleinerer in Spielkartengröße. Links davon hängt ein Apothekenkalender aus Polen. Wlodzimierz Rosik, 57, Kapitän aus dem polnischen Bydgoszcz, hat sie aufgehängt; er zählt Tage: Seit zehn Monaten sitzt er mit seinem Frachter auf dem Trockenen – genauer, auf dem Grünen. Am 21. März 2003 lief er in der Nähe des niedersächsischen Ortes Schnackenburg auf eine Wiese, die unter Elbhochwasser verborgen war. Seitdem hat sich das Schiff nicht mehr bewegt. Seitdem wartet Rosik auf die Bergung. Am Schiffsrumpf wächst Gras.

Eine Holzleiter führt nach oben an Deck; wer Rosik besuchen will, klopft an den Metallrumpf. Rosik kann das Schiff nicht verlassen. Er ist der Pächter. „Es muss bewacht sein“, sagt er. „Hier habe ich alles, was ich brauche.“ Das mit der Bergung ist kompliziert: Die Versicherung zahlt nicht, weil die Kosten höher wären als das Schiff versichert ist. Die Reederei, Besitzerin des Schiffes, zahlt nicht, weil man ja auch warten könne, bis das Hochwasser zurückkommt. Das schade dem Schiff ja nicht, sagen die Leute von der Reederei. Rosik schadet es schon: Zehn Monate Verdienstausfall. Bisher. Seine Frau und seine beiden Töchter bekommen Hilfe von seinem Schwager, der ein Schiff von der gleichen Reederei gepachtet hat.

„Es geht schon irgendwie“, sagt Rosik. Ohne einen Laut kam das Schiff zum Stehen, abends gegen 20 Uhr. Es war fast dunkel. Rosik wollte im Hafen von Schnackenburg übernachten, er kam von Hamburg und war auf dem Weg nach Brandenburg. Die Hafeneinfahrt von Schnackenburg ist durch einen großen Steinhaufen gekennzeichnet, der backbord liegen muss. Rosik sah einen großen Steinhaufen bei Schnackenburg, er ließ ihn backbord liegen, aber es waren die falschen Steine. Sie liegen jetzt immer noch backbord. Das Abwerfen von Ballast in der Nacht half nicht viel, denn es gab kaum welchen; Rosik fuhr unbeladen. Gemeinsam mit seinem Matrosen, der zum ersten Mal mit Rosik unterwegs war, wollte er das Schiff mit Seilen und Ankerwinde flott machen, doch am Steinhaufen hielt nichts, und sonst gab es keinen Halt. Sie gingen schlafen und hofften auf den nächsten Tag. Da war das Hochwasser aber schon fast wieder weg. Auf dem Deich standen Leute und guckten und gaben gute Ratschläge.

Hinter dem Deich: Schnackenburg, zweitkleinste Stadt Deutschlands, 678 Einwohner, ein Gästehaus und ein Restaurant. Die Straße ist eng, die Häuser sind schön. Es ist ruhig hier; die Landschaft ist von blasser Schönheit: die Elbe schlängelt sich durch die Wiesen, mehr gibt es eigentlich nicht. Auf der anderen Seite des Flusses beginnt Mecklenburg-Vorpommern. Wer auf dem Deich steht, sieht die Frachter vorbeiziehen, direkt neben Rosiks Schiff. „Ich möchte wieder auf dem Wasser sein“, sagt er.

Rosik ist in den zehn Monaten kein Schnackenburger geworden. Abends geht er rüber zum Kapitän der Elbfähre, die hundert Meter weiter anlegt. Der Kontakt zu den Schnackenburgern ist spärlich. Ein Fernseher ist an Bord, mit Satellitenschüssel, doch Rosik sieht nicht gerne fern. „Ich mache ein bisschen Ordnung“, sagt er, „oder ich lese.“ Am liebsten Hemingway und griechische Mythologie. Er lacht, wie nach fast nach jedem Satz. Polnische Kollegen, Binnenschiffer wie er, die an seinem Schiff vorbeikommen, bringen ihm die Bücher mit. „Wir tauschen“, sagt Rosik. Sie bringen auch Zigaretten, denn die deutschen sind zu teuer.

Von den Kollegen lässt er sich helfen, von den Schnackenburgern kaum.

Die ersten drei Wochen war er überhaupt nicht in der Stadt, den selbstgebackenen Kuchen einer Anwohnerin wollte er erst gar nicht haben. Nur das Wasser von der Feuerwehr nimmt er an, außerdem den Strom aus dem Gemeindehaus, der in einem dicken schwarzen Kabel über den Deich zu seinem Schiff fließt. Das Gemeindehaus ist direkt auf der anderen Deichseite. Rosik hätte an keinem günstigeren Ort auflaufen können, immerhin. „Es ist schwer, ihm Hilfe anzubieten“, sagt Schnackenburgs Bürgermeister Andreas Koch, 48.

Bürgermeister Koch kann ein stolzes Lächeln nicht verbergen, wenn Sat1 auf dem Handy anruft oder die Frau von der dpa. Nach Schnackenburg kommen seit Rosiks Unfall mehr Touristen als früher, selbst das kleine Zollmuseum hat mehr Besucher. „Wir haben von dem Unfall profitiert“, sagt Koch, während er neben Rosik an dessen Esstisch sitzt. Geld, um ihm zu helfen, hat die Stadt aber nicht. „Das ist Versicherungssache“, sagt Koch.

Und seit kurzem Sache von Hans-Hermann Mietz, 52, THW-Einsatzleiter. Ein riesiger Mann, der schnell und laut spricht. „Ich habe das in die Hand genommen, die Sache rollt“, sagt Mietz. Bisher gab es das Angebot einer niederländischen Firma, das Schiff für 100000 Euro zu bergen – das Schiff ist gerade halb so viel wert. Mietz will die „BM 5247“ für 35000 Euro Materialkosten wieder flott machen. Die Arbeitszeit und die Verpflegung will er nicht berechnen. Auf einem Spendenkonto sind 9000 Euro eingegangen, die Versicherung zahlt den Rest, hofft er. Es eilt: Das Wasser hat einen ungewöhnlich hohen Pegel erreicht; wenn er wieder fällt, fällt auch sein Konzept. Hebekissen und ein alter DDR-Panzer sollen das Schiff in den Fluss bringen.

Am Sonntag klappte das noch nicht. Aber vielleicht heute.

Christina Schneider[Schnackenburg]

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