zum Hauptinhalt

Panorama: Der liebste Kanzler der Chinesen - Beobachtungen von einer Reise

Nicht weit vom alten Kaiserpalast, an einem schwülen Pekinger Morgen, werden wir Zeuge eines Zeitsprungs. Eben noch hatten die deutschen Diplomaten gemütlich geschwatzt, als der knappe Ruf sie verstummen läßt.

Nicht weit vom alten Kaiserpalast, an einem schwülen Pekinger Morgen, werden wir Zeuge eines Zeitsprungs. Eben noch hatten die deutschen Diplomaten gemütlich geschwatzt, als der knappe Ruf sie verstummen läßt. "Er kommt!" Eskortiert von Polizeiwagen und schwarzen Limousinen rollt der silberne Minibus in den bambusbewachsenen Innenhof der Gesellschaft für Außenbeziehungen. Gefolgt vom deutschen Botschafter steigt Helmut Kohl aus. Etwas schwerfällig wirkt er. Und doch scheint alles wie früher: "Herzlich willkommen, Herr Bundeskanzler", rufen die Gastgeber auf Deutsch. Mit tiefen Verbeugungen dirigieren sie Kohl in das Gebäude.

Kanzler Kohl? Fast wäre es einem nicht aufgefallen. Sechzehn Jahre gehörten die beiden K-Worte zusammen, und falsch ist die Bezeichnung auch heute nicht. Ein Bundeskanzler bleibt Bundeskanzler, selbst wenn er keiner mehr ist. Den deutschen Diplomaten ist das dennoch peinlich. Die Anrede "Kanzler", wiegeln sie ab, sei "nur ein diplomatischer Ehrentitel, wie bei Offizieren". Kohl sei ganz privat auf Einladung der chinesischen Regierung gekommen.

Neun Tage also reist der Abgeordnete K. durch China, besucht Peking, Schanghai und Hongkong. Das sei ein Arbeitsbesuch, betont Kohl. Dass er kein Regierungsamt mehr hat, stört niemanden. Ganz wie in den alten Zeiten trifft er mit Chinas Spitzenpolitikern zusammen, besichtigt deutsche Wirtschaftsunternehmen und hält vor chinesischen Experten eine Rede zu seinem Lieblingsthema "Europa im 21. Jahrhundert".

"Herr Bundeskanzler, ganz herzlich willkommen", ruft Unternehmer Henningsen und kann seine Nervosität kaum verbergen, als Kohl am nächsten Tag eine deutsch-chinesische Flugzeugwerft besucht. Ganz Staatsmann, schreitet er im dunklen Anzug, umringt von Wirtschaftsleuten und Würdenträgern, die Flugzeughallen ab. Routiniert fragt er nach Details und Zahlen. Ob die Leute denn auch in Deutschland ausgebildet seien? "Aha, aus Schleswig-Holstein sind Sie, sehr schön", sagt er zu einem Ingenieur. Eine Vertragsverlängerung steht an? Er werde sich, verspricht Kohl, "bei den chinesischen Freunden" dafür stark machen.

Das dürfte Kohl nicht schwer fallen. Staatspräsident Jiang Zemin, Premier Zhu Rongji und Parlamentschef Li Peng - die drei mächtigsten Chinesen nehmen sich Zeit für den Politiker, der nicht mehr gestalten darf. Manch ein europäischer Regierungschef, der noch im Amt ist, wird in China weniger ehrenvoll empfangen. Pekings Mächtige wissen eben, wie man alte Freundschaften pflegt. Und die Frage der Menschenrechte stellte sich für den Deutschen in China nie. Im Gegenteil: Als erster westlicher Regierungschef bereiste Kohl einst Tibet und segnete damit die Verfolgung in dem Hochland politisch ab. Im Jahr 1995 dann, wenige Jahre nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens, besuchte er als Erster eine Kaserne der Volksbefreiungsarmee. Pekings Staatsführung war begeistert.

Wer so viel für einen getan hat, den lassen Pekings Mächtige nicht hängen. Ein "alter Freund des chinesischen Volkes" sei Kohl, lobt Premier Zhu Rongji. Ganz persönlich wird es mit Parlamentspräsident Li Peng. Der frühere Regierungschef, einer der Hauptverantwortlichen für das Massaker 1989, wird bis heute von vielen westlichen Staatschefs gemieden. Kohl hatte nie Berührungsängste. "Zehnmal haben wir uns in den letzten 15 Jahren getroffen", freut sich Li Peng. Auch im Außenministerium trauert manch einer dem pflegeleichten Kohl hinterher. Unter "Ke er" ("Kohl") sei der Umgang mit den Deutschen einfach und berechenbar gewesen, sagt ein chinesischer Journalist: "Kohl ging es um die Wirtschaft, ansonsten mischte er sich nicht ein."

In der offiziellen Politik wird derartige Nostalgie natürlich mit keinem Wort erwähnt. Im November wird Gerhard Schröder, der bislang nur zum eintägigen Arbeitsbesuch in Peking war, erneut nach China reisen. "Wir freuen uns auf die Kontinuität der China-Politik der neuen deutschen Regierung", zitiert die "Volkszeitung" Premier Zhu Rongji. Begeistert klingt das nicht.

Harald Maass

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false