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Aufräumarbeiten im Zentrum von Mandra, das von den Wassermassen überschwemmt wurde.

© Angelos Tzortzinis/AFP

Nach den Überschwemmungen in Griechenland: Die Schlammschlacht von Mandra

Eine Bauplanänderung soll zur Flutkatastrophe in der griechischen Kleinstadt geführt haben. Grund dafür war auch Profitgier.

Vor der Kirche steht ein Leichenwagen. Die Trauerfeier hat noch nicht begonnen. 21 Tote sind seit der Flutkatastrophe vor einer Woche gefunden worden. Niemand in Mandra glaubt, dass dies die endgültige Zahl ist. Es riecht nach kalter frischer Erde, nach Mauern, die feucht sind. Auf dem braunroten Schlamm, der von den Straßen nicht verschwinden will, rutscht ein Motorradfahrer aus. Die Maschine heult kurz auf, dann ist es wieder still. Anwohner eilen herbei, um zu helfen. Jeder trägt Gummistiefel.

Bei Stathis Ragousis, dem Generalsekretär der Stadtverwaltung, läuft im Moment der Großteil dieser Tragödie zusammen. Ragousis ist übermüdet, saugt abwechselnd an seiner elektronischen Zigarette und steckt sich einen Stöpsel ins Ohr, um einen Telefonanruf anzunehmen. Mehr als 1000 Häuser, 85 Prozent der ärmlichen Kleinstadt westlich von Athen, sind beschädigt. Die knapp 20000 Einwohner haben kein Trinkwasser, die Zentralheizung ist ausgefallen. Karten von Mandras Stadtteilen liegen auf Ragousis’ Schreibtisch. Immer noch werden Häuser auf ihre Stabilität untersucht.

Die Flut begann morgens um halb sieben, erzählt Ragousis. Das war das Glück. „Die Schulen waren noch geschlossen und die Kinder noch nicht auf der Straße. Andernfalls hätten wir Hunderte von Opfern gehabt.“ Und, nein: Ein besseres System zur Wasserableitung wäre mit diesen Massen auch nicht fertig geworden. Zehn Prozent allenfalls hätte es schlucken können.

Flussläufe wurden für die Olympischen Spiele zubetoniert

Allerdings nicht die von Geologen und Architekten, die sich nun zu Wort melden. Nikos Belavilas, Professor an der Technischen Universität von Athen, hat diese Woche einen Bebauungsplan aus dem Jahr 2003 präsentiert. Damals, im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele 2004, beschloss der Stadtrat in Mandra eine massive Ausweitung der Industriezone, näher zum Fuß des Bergs Pateras, unter dem die Kleinstadt liegt. Zwei meist trockene Flussbette wurden dabei abgeschnitten und teilweise zubetoniert. Das Umweltministerium stimmte zu. Es waren die Boomjahre in Griechenland. Die Stadt bekam neue Jobs. Jeder in Mandra, der wollte, wusste von dieser Bauplanänderung. Heute wird die Schlammstadt, eine halbe Stunde Fahrt von Athen, zum Symbol von Profitgier und Staatsversagen.

Pepas Prokopis war in seinem Café, da hörte er den Warnruf. Es war 6.50 Uhr, als die Lawine von Schlamm und Wasser aus einer Straße schoss und über den Platz vor dem Café „Adonis“ hinweg. Zwei Meter ist sie hoch. Wie eine Faust geht sie durch Läden und Restaurants, überflutet Keller und Erdgeschosse der Häuser und reißt alles mit sich auf ihrem kilometerlangen Weg hinunter zum Meer.

In der Stadt selbst fiel gar kein Regen, alles Wasser kam aus den Bergen

„Autos schwammen herum wie Papierschiffe“, erzählt der Kaffeehausbesitzer Prokopis. An die 30 Fahrzeuge türmen sich ineinander verkeilt auf dem Platz vor dem Café auf. Hätten die Bäume auf dem Platz nicht standgehalten, wären die Schäden an den Häusern sehr viel schwerer. Prokopis verbarrikadierte zunächst die Tür seines Cafés und schleppte Inventar in seine Wohnung im ersten Stock des Eckhauses. Dann flüchtete der 61-jährige Mann selbst nach oben.

Fünf Stunden dauert es, bis ein Uhr mittags, dann ist das Wasser wieder weg. In der Stadt selbst hatte es in jener Nacht zum Mittwoch des 15. November nicht einmal geregnet. Doch oben, auf dem Plateau des gerade einmal 1000 Meter hohen Berges Pateras, spielt sich ein meteorologisches Jahrhundertereignis ab. 100 Millimeter Regen fallen in knapp drei Stunden – 100 Liter Wasser auf einen Quadratmeter Boden. Das deutsche Wetteramt spricht von „Starkregen“ ab 30 Millimeter Niederschlag während eines ganzen Tages.

In Griechenland gibt es 300 gefährdete Regionen

Dennoch erklären griechische Fachleute nun: Ob es in Mandra zu einer solchen Katastrophe kommen würde, war nicht die Frage. Nur wann es passiert, war noch offen. 300 solcher extrem gefährdeter Zonen hat der auf Katastrophenschutz spezialisierte Geologe Efthimios Lekkas in Griechenland ausgemacht. Ein Großteil davon liegt in der Region Attika, rund um Athen, wo die Hälfte der zehn Millionen Griechen wohnt. Dort wurden nicht nur Flussbette zugebaut – mit oder ohne Genehmigung. Waldbrände, oft gezielt gelegt, taten ein Übriges.

In Mandra hat keiner eine Versicherung, die nach der Flut Kühlschrank, Auto oder ein ganzes Kaffeehaus ersetzen würde. 586,94 Euro Soforthilfe kann man beantragen. So viel zahlt der Staat, der selbst pleite ist. Pepas Prokopis verzichtet auf die Entschädigung. Der Aufwand mit den Papieren ist ihm zu viel. Eine neue Espressomaschine bekommt er von seinem Kaffeelieferanten geschenkt. Das übrige Geld für den Neuanfang will er sich von Verwandten leihen. An die nächste Flut denken Pepas Prokopis und seine Nachbarn gar nicht erst.

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