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Einige Menschen überlebten das Unglück, doch die meisten starben. Am Ende setzten die Bergungsmannschaften schweres Gerät ein.

© dpa

Italien: Eine Schneelawine wird zum Politikum

29 Menschen starben beim Lawinenabgang auf das Berghotel Rigopiano in den Abruzzen. Nun streitet Italien heftig über das Krisenmanagement der Behörden. Die Justiz mischt mit.

Beim Niedergang einer riesigen Lawine auf das Hotel Rigopiano in den italienischen Abruzzen am Mittwoch der vergangenen Woche sind insgesamt 29 Gäste und Angestellte getötet worden, elf haben das Unglück überlebt. Dies teilten die Behörden mit, nachdem am Mittwochabend die letzte vermisste Person tot aus dem verschütteten und zu weiten Teilen zerstörten Gebäudekomplex geborgen worden war. Weil nach dem Lawinenniedergang schnell klar wurde, dass bei der Alarmauslösung nicht alles rund gelaufen war, hatte die Staatsanwaltschaft von Pescara schon am Tag danach Ermittlungen wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung eingeleitet.

Tatsächlich waren die Notrufe eines Mannes, der von einem Überlebenden über den Lawinenniedergang informiert worden war, vom Krisenstab der Präfektur in Pescara zunächst nicht ernst genommen worden. Staatsanwältin Cristina Tedeschini sagte am vergangenen Mittwoch allerdings, dass die Verzögerungen zu Beginn der Bergungsaktion „irrelevant“ gewesen seien: Die tot geborgenen Personen sind den Autopsien zufolge von der Lawine sofort getötet worden, oder die Menschen wurden so tief verschüttet, dass die mit Stirnlampen und Schaufeln ausgerüstete erste Rettungskolonne auf Skiern auch dann nichts hätte ausrichten können, wenn sie zwei oder drei Stunden früher beim Hotel eingetroffen wäre.

Ohne Frage gab es Fehleinschätzungen

Die Kritik am Rettungseinsatz blendet auch aus, dass am Tag des Unglücks eine extreme Situation vorlag, die vermutlich jeden Krisenstab der Welt ins Wanken gebracht hätte: Die Behörden waren mit einem Jahrhundert-Schneefall mit bis zu drei Metern Neuschnee konfrontiert gewesen, kombiniert mit einer Serie von vier starken Erdbeben – und das in einem mehrere hundert Quadratkilometer großen, gebirgigen Gebiet. Bei der Präfektur von Pescara waren an jenem fatalen Mittwoch mehr als 1000 Notrufe eingegangen – und Dutzende von Fehlalarmen. Es war für die Einsatzzentralen nicht leicht, die echten von den falschen Alarmen zu unterscheiden – und wegen des Schneesturms konnten auch keine Hubschrauber aufsteigen, um die Situation vor Ort zu überblicken und notfalls Hilfe zu leisten.

Die Staatsanwaltschaft untersucht auch, ob das Hotel angesichts der Wetterprognosen nicht hätte evakuiert werden müssen. Die Frage ist nicht sehr originell: Es ist offensichtlich, dass in diesem Fall niemand umgekommen wäre. Tatsache ist, dass die Straße zum Hotel am Vortag noch passierbar war und dass sogar neue Gäste ins Hotel eingezogen waren, während eine andere Gruppe den Urlaub wegen des schlechten Wetters vorzeitig abbrach und ins Tal fuhr. Der verzweifelte Ruf nach Evakuierung kam erst am Mittwoch nach dem ersten heftigen Erdstoß – doch da war es zu spät: Die enge Bergstraße war meterhoch mit Schnee bedeckt und teilweise verschüttet.

Ohne Frage ist es am Tag des Unglücks in der Präfektur und in den Einsatzzentralen angesichts der äußeren Umstände zu Versäumnissen und Fehleinschätzungen gekommen. Diese nehmen die italienischen Medien seit Tagen als Anlass für ein regelrechtes Kesseltreiben gegen die Behörden. Befeuert wird dies durch gezielte Indiskretionen seitens der Staatsanwaltschaft von Pescara, die trotz Geheimhaltungspflicht aus der laufenden Untersuchung unablässig Akten und Protokolle an die Medien weiterreicht. Es versteht sich von selbst, dass nur Informationen gestreut werden, welche die These der fahrlässigen Tötung stützen.

Das Hotel hätte gar nicht dort stehen dürfen

Bezeichnenderweise ist ein Punkt von den Ermittlungen in Italien bisher völlig ausgespart geblieben: die Frage, ob das Hotel überhaupt dort stehen durfte, wo es stand. Im Land der Millionen Bausünden ist das die Mutter aller Fragen, und die Antwort vermag nicht wirklich zu überraschen: Nein. Es war nämlich auf dem Schutt einer alten Lawine gebaut worden. Im Zusammenhang mit dem Neubau war vor rund zehn Jahren ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, bei dem es auch um Schmiergeldzahlungen an die bewilligende Behörde ging – aber die chronisch ineffiziente Justiz hatte sich auch in diesem Fall derart viel Zeit gelassen, dass Verfahren wegen Verjährung eingestellt werden musste.

Regierungschef Paolo Gentiloni ist diese Woche angesichts der Polemik die Hutschnur geplatzt: „In Rigopiano haben die Einsatzkräfte ein tödliches Zusammentreffen zweier Naturgewalten erlebt, wie es seit Menschengedenken nicht vorgekommen ist. In dieser Situation haben die Behörden und Einsatzkräfte organisatorisch und technisch alles unternommen, was in ihrer Macht stand“, betonte der Premier am Mittwoch im Senat. Bei den Rettern, die bei ihrem Einsatz ihr eigenes Leben riskierten, handle es sich um „exemplarische Bürger“, denen das Land Dankbarkeit schulde. Gentiloni kritisierte insbesondere auch die Staatsanwaltschaft: „Die Suche nach der Wahrheit soll dazu dienen, dass man es beim nächsten Mal vielleicht noch besser macht. Das Ziel darf nicht die Suche nach Sündenböcken sein.“

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