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Panorama: Früher frei durch Westrecht

Aylas Mörder hätte in der DDR viel länger gesessen

Zwickau - Der Mord an der sechsjährigen Ayla aus Zwickau hat in der Region neben großer Trauer auch erhebliches Unverständnis über den Umgang mit vorbestraften Sexualstraftätern ausgelöst. Denn der 37-jährige Mario L., der die Gewalttat gegenüber der Polizei gestanden hatte, ist für die Justiz kein unbeschriebenes Blatt. Ohne die Wiedervereinigung, so ist in Zwickau immer wieder zu hören, wäre der Mann wahrscheinlich gar nicht in der Lage gewesen, so viel Leid anzurichten. Tatsächlich wurde der heute arbeitslose Fliesenleger ein großer Nutznießer des Einigungsvertrages von 1990. Dieser hob das Strafgesetzbuch der DDR auf und führte westdeutsche Verhältnisse ein. In der DDR wurden Kriminelle erheblich stärker bestraft als im Westen. Auch wurden seltener Bewährungsstrafen verhängt.

Mario L. war in der DDR zu einer 15-jährigen Jugendhaftstrafe verurteilt worden, weil er 1986 eine Frau getötet hatte. Da die Höchststrafe für Jugendliche nach West-Recht nur bei zehn Jahren liegt, wurde der Mann 1996 auf freien Fuß gesetzt, fünf Jahre früher als dies in der DDR der Fall gewesen wäre. Immerhin wurde er nicht schon 1990 freigelassen. Er gehörte zu den insgesamt nur 70 Strafgefangenen in der DDR, die nicht durch zwei Amnestien im Dezember 1989 und im September 1990 freigelassen wurden. Viele Strafgefangene hatten damals Erfolg, weil sie ihre Taten als politisch motiviert begründeten.

Nur ein Jahr, nachdem Mario L. wegen des neuen westdeutschen Rechts früher freigelassen wurde, missbrauchte der Mann die achtjährige Tochter und den neunjährigen Sohn seines Bruders. Für diese Sexualverbrechen wurde er nach neuem West-Recht zu zwei Jahren Haft verurteilt.

Diese geringe Strafe sowie die Tatsache, dass ihm eine Therapie noch nicht einmal angeboten wurde, verstehen viele Menschen in Zwickau und Umgebung heute nicht. Schließlich ist die hohe Rückfallquote bei Sexualstraftaten bekannt. Christian Pfeiffer, Leiter des Kriminologischen Instituts Niedersachsens, gibt diese Quote mit 50 Prozent an.

Zwickaus Oberstaatsanwalt Bernd Hohmann will Mario L. vor Gericht als Mörder anklagen und eine anschließende Sicherungsverwahrung beantragen.

Die Polizei prüft derzeit, ob Mario L. auch für andere bisher ungeklärte Sexualdelikte in der Region als Täter in Frage kommt.

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