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„Ich hatte das Gefühl, zu ertrinken“: Vater von Madeleine McCann kritisiert britische Medien scharf
Die Britin Madeleine McCann ist seit 18 Jahren verschwunden. Ihr Vater berichtet nun in einem BBC-Interview von massiven Übergriffen durch Journalisten und fordert eine politische Untersuchung.
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Gerry McCann, Vater der 2007 verschwundenen Madeleine McCann, hat in einem seltenen Interview mit der BBC eine strengere Kontrolle der britischen Medien gefordert. Seine Familie sei von Teilen der Presse „monströs behandelt“ worden.
Das dreijährige Mädchen war im Alter von drei Jahren während eines Familienurlaubs in Portugal verschwunden. Trotz jahrelanger Ermittlungen und großer Aufmerksamkeit durch die Medien ist ihr Schicksal ungeklärt.
„Madeleine wird seit 18 Jahren vermisst, und unterm Strich wissen wir immer noch nicht, was mit ihr passiert ist“, sagte McCann in dem Interview.
Es gebe „überhaupt keine Beweise dafür, dass sie tot ist“. Der Familie sei schon klar, dass Madeleine womöglich nicht mehr lebt, vielleicht ist das sogar wahrscheinlich – „aber wir wissen es nicht“.
McCann berichtete von massiven Übergriffen durch Journalisten in den Monaten nach Madeleines Verschwinden: „Journalisten kamen zu uns nach Hause und Fotografen drückten buchstäblich ihre Kameras gegen unsere Autofenster, während unsere zweijährigen Zwillinge auf dem Rücksitz saßen und Angst hatten.“
Wir haben mit dem Teufel zu Abend gegessen.
Gerry McCann, Vater der 2007 verschwundenen Madeleine McCann
„Wir haben Glück gehabt, dass wir das überstanden haben. Wir hatten enorme Unterstützung – aber ich kann Ihnen versichern, dass es Momente gab, in denen ich das Gefühl hatte, zu ertrinken. Und das lag in erster Linie an den Medien“, sagte er.
„Es war das, was geschah, und die Art und Weise, wie die Dinge dargestellt wurden, wo man erstickt und begraben wurde, und es fühlte sich an, als gäbe es keinen Ausweg.“
McCann beschrieb im Interview auch, wie sich die Familie 2011 gezwungen sah, mit der britischen Boulevardzeitung „The Sun“ zusammenzuarbeiten – obwohl diese Teil der Mediengruppe war, die sie zuvor angegriffen hatte. „Wir haben mit dem Teufel zu Abend gegessen“, sagte er.
Die Zeitung veröffentlichte einen Brief auf der Titelseite, woraufhin der damalige Premierminister David Cameron eine Überprüfung der Ermittlungen anordnete, berichtet die BBC.
„Das war die Macht, die sie hatten. Also haben wir unsere Moral beiseite geschoben, um mit ihnen zusammenzuarbeiten und unser Ziel zu erreichen“, erklärte McCann. Dies verdeutliche den enormen Einfluss der Zeitung.
Medien sollen Ermittlungen behindert haben
Die Medien hätten zudem „wiederholt in die Ermittlungen“ eingegriffen, was die Suche nach Madeleine behindert habe, kritisierte McCann. Vertrauliche Informationen, Zeugenaussagen und andere Details seien an die Öffentlichkeit gelangt. „Wenn man also der Täter war, wusste man viel mehr, als man hätte wissen dürfen – und als Opfer, als Elternteil, ist das absolut bestürzend.“
Es ist ganz offensichtlich, dass Pressemagnaten sich mit dem Premierminister treffen können, aber die Menschen, die unter ihnen gelitten haben, nicht.
Gerry McCann, Vater der 2007 verschwundenen Madeleine McCann
Die inzwischen eingestellte Zeitung „News of the World“ hatte etwa zur Zeit des Verschwindens vollständige Abschriften aus dem persönlichen Tagebuch von Kate McCanns – Madeleines Mutter – veröffentlicht. Das Tagebuch war von der portugiesischen Polizei im Rahmen der Ermittlungen beschlagnahmt worden. Wie die Zeitung an eine Kopie gelangte, blieb unklar.
Forderung nach erneuter Untersuchungskommission
McCann gehört zu mehr als 30 Personen, die Premierminister Keir Starmer in einem Brief auffordern, die abgesagte zweite Phase der Leveson-Untersuchung doch noch durchzuführen. Die Untersuchungskommission beschäftigte sich 2011 und 2012 mit dem Abhörskandal bei „News of the World“, bei dem mehrere Prominente und Politiker durch Mitarbeiter der Zeitung ausgespäht wurden. Die Untersuchung führte zur Gründung der von der Medienbranche finanzierten Presseregulierungsbehörde Ipso, berichtet die BBC.
In der zweiten Phase sollten unrechtmäßige Handlungen der Medien sowie Beziehungen von Journalisten zu Politikern und der Polizei untersucht werden, berichtet die BBC weiter. Die Tory-Regierung habe die zweite Phase 2018 gestrichen.
„Es ist ganz offensichtlich, dass Pressemagnaten sich mit dem Premierminister treffen können, aber die Menschen, die unter ihnen gelitten haben, nicht“, sagte McCann.
Starmer hatte sich laut Angaben seiner Regierung im Juni zweimal mit Lachlan Murdoch, dem Vorsitzenden von News Corp, getroffen. Zu dem Medienunternehmen gehört auch „The Sun“, auch die eingestellte „News of the World“ war Teil des Unternehmens.
Die britische Kulturministerin Lisa Nandy erklärte gegenüber der BBC, die Regierung habe eine zweite Untersuchungsphase „ausgeschlossen“. Die Medienlandschaft sei heute „ganz anders“, da die meisten Menschen ihre Nachrichten online konsumierten. Sie erkenne jedoch an, „dass Maßnahmen erforderlich sind“, und werde sich mit McCann treffen.
Prinz Harry unterstützte McCanns Forderung. Er stehe „fest an der Seite all derer, die durch unethisches und unrechtmäßiges Eindringen der Presse Schaden genommen haben“, erklärte der Herzog von Sussex. (Tsp)
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