zum Hauptinhalt
Polizisten sichern während einer Razzia von Zoll und Polizei eine Shisha-Bar in Bochum.

© Bernd Thissen/dpa

Organisierte Kriminalität: Im Griff der Clans

In Essen beraten Experten, was gegen die Kriminalität arabischer Großfamilien zu tun ist. Das Ruhrgebiet ist neben Berlin und Bremen am meisten betroffen.

Seit Monaten vergeht in Deutschland kaum ein Tag, an dem Polizisten nicht gegen Männer einschlägiger Clans vorgehen. Vermummte Spezialkräfte treten die Türen von Wohnungen, Shisha-Bars, Autovermietungen ein, Staatsanwälte beschlagnahmen Waffen, Drogen, Bargeld, woraufhin Ermittlungsrichter öfter als früher Untersuchungshaft für Verdächtige anordnen. Neben Berlin und Bremen sind meist Orte im Ruhrgebiet betroffen.

Am Mittwoch trafen sich dort Polizei-Führer, Staatsanwälte und Landespolitiker zu einer Tagung in Essen – man könnte sagen, der Staat lud zum Clan-Gipfel. Denn mit Razzien ist es nicht getan. Erst im vergangenen November hatten sich in Berlin Fachbeamte mit den Senatoren für Inneres, Justiz, und Finanzen zu ähnlichen Beratungen getroffen. Die zentrale Frage: Wie lässt sich ein abgeschottetes, staatsfeindliches Milieu auflösen?

In NRW rechnet das dortige Landeskriminalamt (LKA) Kriminelle aus den einst aus Libanon eingewanderten Familien zwischen 2016 und 2018 fast 14300 Delikte zu. Dazu kommen Taten, die nicht bekannt wurden. Meist gehe es um Gewalt, sagte Thomas Jungbluth vom LKA NRW in Essen. Dem folgten Eigentums- und Betrugsdelikte sowie Drogenhandel. Man habe zwischen 2016 und 2018 fast 6450 Tatverdächtige ausgemacht, 20 Prozent seien Frauen.

Viele straffällige Clan-Mitglieder in Berlin

Auch in Berlin sprechen Ermittler von mehr als 1000 straffälligen Angehörigen arabischer Clans – und auch in der Hauptstadt dominieren sie bestimmte Straßen. Doch in Berlin sind die berüchtigten Familien selbst dort nicht in der Mehrheit, wo sie mit anderen Clans um Schutzgeld, Milieuehre und Drogen konkurrieren, wo also zuweilen geschlagen, gestochen und geschossen wird. Das hat zur Folge, dass ein Clan über sein kriminelles Milieu hinaus selten die Macht im Kiez hat. In einigen Vierteln im Ruhrgebiet könnte das anders sein, wobei „Macht“ schwer zu messen ist. Zudem darf nicht übersehen werden, dass zehntausende Mitglieder arabischer Familien nicht kriminell werden. Selbst aus den bekannten Clans stammen Männer und Frauen, die studieren, Sozialarbeiter werden oder unbescholten anderen Berufen nachgehen.

Doch allein in Essen kennt das LKA 1277 mutmaßliche Clan-Straftäter. Mit 583.000 Einwohnern ist Essen ungefähr so groß wie Neukölln und der angrenzende Altbezirk Kreuzberg. Während in Neukölln und Kreuzberg massenhaft Akademiker, Facharbeiter, Kulturschaffende leben und neu hinzuziehen, ist das in Essen nicht so ausgeprägt. Die Clans verteidigen dort ihr „Territorium sehr offen und sehr aggressiv“, sagte LKA-Chefermittler Jungbluth. Nicht nur in Essen, auch in Recklinghausen, Gelsenkirchen, Duisburg, Dortmund und Bochum. Polizei und Ordnungsämter würden als „Eindringlinge“ betrachtet. Die Herkunft der weit verzweigten Familien genau zu bestimmen sei schwierig, sagte der LKA-Experte. Es komme vor, dass die Verwandten innerhalb einer Familie von der Polizei unter verschiedenen Namen geführt werden. Das ist so, weil vor Jahrzehnten nicht auf eine einheitliche Transkription aus dem Arabischen geachtet wurde – oder weil Angehörige bewusst mit falschen Daten und Papieren arbeiteten. Die Clan-Älteren kamen meist während des libanesischen Bürgerkrieges nach Deutschland, aber auch nach Dänemark und Belgien. Einige lebten schon in Beirut als Flüchtlinge, weil sie als arabisch-kurdische Minderheit aus der Türkei oder als Palästinenser aus Israel geflohen waren.

Kampf gegen Clans brauche Zeit

Erst vor zwei Wochen waren in NRW bei einer Razzia 1300 Polizisten, Zöllner und Steuerfahnder ausgerückt: 14 Menschen wurden festgenommen, 100 Kilogramm unversteuerter Tabak und Waffen beschlagnahmt. Stehen Aufwand und Nutzen in einem angemessenen Verhältnis? NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) teilte mit, er sehe im Kampf gegen kriminelle Clans ein langfristiges Projekt, das mindestens zehn Jahre dauern werde. Er will den Kampf gegen kriminelle Clans vor Ort mit Sonder-Staatsanwälten angehen. In Essen sind zwei Staatsanwälte ausschließlich mit der dortigen Clan-Kriminalität beschäftigt.

Familientraditionen, die über Jahrzehnte gepflegt wurden, sind selbst durch Verfolgung und Haftstrafen kaum zu brechen. Zumal das Milieu dieser manchmal befreundeten, oft konkurrierenden Familien wie eine eigene Subkultur – manche sagen: Parallelgesellschaft – funktioniert. Für Verdienstmöglichkeiten und Freizeitangebote wird gesorgt, Wertekanon und Heiratsmarkt sind geregelt. Auch Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte während der Tagung im November gesagt, der Kampf gegen kriminelle Clans brauche Zeit. Wie in NRW sollen in Berlin neben Polizei und Staatsanwaltschaft auch Finanzämter, Jobcenter, Ausländerbehörde sowie Ordnungs- und Jugendämter zusammenarbeiten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false