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Tragödie auf Rügen: Kap Arkona abgesperrt
Nach dem Steilküstenabbruch auf Rügen soll das Geröll abgetragen werden. Die Suche nach dem Mädchen soll am Donnerstagmorgen weitergehen. Manche Urlauber nehmen Warnschilder als Souvenir mit nach Hause.
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Für einen kurzen Moment unterbricht am Mittag das Dröhnen von Hubschraubern die Stille am Kap Arkona auf Rügen. In geringer Höhe fliegen die Maschinen über die Küstenlinie, um mit Wärmebildkameras nach dem seit dem zweiten Weihnachtstag vermissten zehnjährigen Mädchen aus Nordbrandenburg Ausschau zu halten. Längst haben die Retter zwar die Hoffnung auf ein Überleben des Kindes aufgegeben, aber der kleine Körper soll nach dem Willen des örtlichen Katastrophenstabes unbedingt gefunden werden. Das sei man der Mutter und der Schwester des Opfers schuldig, hieß es. Deshalb fuhren am Mittwoch auch Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr mit Schlauchbooten bis zum frühen Nachmittag auf das durch die abgebrochene Kreide völlig weiß schimmernde Ostseewasser hinaus. Mit langen Stangen suchten sie den Meeresboden in Küstennähe nach dem möglicherweise abgetriebenen Leichnam ab. Mit dem Einbruch der Dunkelheit mussten die Männer erfolglos zurückkehren.
Rettungskräfte wollen am Donnerstagmorgen die unterbrochene Suche nach dem am Kap Arkona auf der Insel Rügen verschütteten Mädchen fortsetzen. Etwa 20 freiwillige Feuerwehrleute hätten sich für den Einsatz gemeldet, teilte der Landkreis am Mittwochabend mit. Die Kräfte würden dort graben, wo zuletzt die Spürhunde angeschlagen hatten.
Zu der kleinen Gemeinde gehört das aus mehreren Leuchttürmen, Funkanlagen, Wetterstationen und Gaststätten bestehende Areal an der Spitze von Deutschlands größter Insel. „Wir wollen das aus bis zu 35 Meter Höhe von der Steilküste herausgebrochene Geröll Schicht für Schicht abtragen“, erklärte Heinemann. Dazu würde für die meterdicke Geröllschicht eine spezielle Technik benötigt. Derzeit könne aber niemand die Gefahr weiterer Abbrüche ausschließen.
Zahlreiche Neugierige zog es am Mittwoch auf das Kap. Polizei patrouillierte auf den Wegen und sicherte die Absperrungen. Ein Betreten des Strandabschnittes und der Steilküste von oben sind nicht erlaubt. Angesichts der Katastrophe vom Montag hat die Gemeinde vorsorglich das traditionelle Silvesterfeuerwerk abgesagt. „Wir können hier nicht heile Welt spielen und mit tausenden Besuchern feiern“, erklärte Bürgermeister Heinemann. „Es gibt aber das traditionelle Turmblasen und ein Lagerfeuer.“
Einige Dutzend Meter neben der Unglücksstelle können wagemutige Besucher einen Blick auf die Steilküste werfen. „Da sind ja nicht einmal zwei Meter Platz zwischen Steilküste und Ostsee“, sagte der 38-jährige Familienvater Steffen Hartlab aus Berlin seiner etwas abseits wartenden Familie. „Wahnsinn, wie schnell sich da ein Unglück ereignen kann.“ Auch im nahen Arkona-Imbiss drehten sich die Gespräche um die Gefahren an den Steilküsten. Die Mutter sei wohl mit ihren Kindern ein großes Risiko eingegangen, hieß es. Schließlich habe es zum Zeitpunkt des Spaziergangs schon schweren Sturm mit Regen gegeben.
Die Küste ist touristisches Potential - komplett sperren geht nicht
Bürgermeister Ernst Heinemann organisierte gestern weitere Absperrungen am Kap. „Wir können natürlich nicht die ganze Küste unzugänglich machen“, sagte er in einer kurzen Pause. „Das ist schließlich unser touristisches Potenzial. Aber wir müssen die Touristen viel stärker als bisher auf die Risiken der Natur gerade an der Küste hinweisen.“ Da seien viele Menschen einfach zu leichtfertig unterwegs. Es könne überall jederzeit zu Abbrüchen kommen. Daher müsse man akzeptieren, dass die Steilküste nicht unter allen Wetterverhältnissen begehbar sei. Bereits vor längerer Zeit habe die Gemeinde den oberen Steiluferweg weiter vom Meer weg verlegt und den Zugang zur slawischen Burganlage an der Spitze über dem Meer gesperrt.
Tatsächlich warnen überall Schilder vor Lebensgefahr. Allerdings zeigen Trampelpfade, dass Urlauber massenhaft die hölzernen Absperrungen ignorieren und sich an die unmittelbare Abbruchkante stellen. Anwohner erzählten gestern, dass sie immer wieder Touristen bei Schilderklau bemerken würden. Tafeln mit der Aufschrift „Achtung Lebensgefahr, Betreten verboten!“ seien beliebte Souvenirs. Der stellvertretende Landrat des Kreises Vorpommern-Rügen, Lothar Großklaus, schloss nicht aus, dass der betreffende Unglücksort noch für längere Zeit gesperrt bleiben würde. „Aber bei einer 1000 Kilometer langen Küste in Mecklenburg-Vorpommern fallen zwei Kilometer nun wirklich nicht ins Gewicht“, meinte er. Eine generelle Sperrung der Steilküsten Rügens hält Mecklenburg-Vorpommerns Umweltminister Till Backhaus (SPD) für nicht umsetzbar. Bauliche Absperrungen würden den Naturgewalten kaum standhalten. „Man müsste Tag und Nacht Personal vor Ort als Absperrung postieren. Aber auch dann gibt es keine Garantie“, sagte Backhaus. Allein im Nationalpark Jasmund gebe es sieben Zugänge zum Strand. Auch der Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern sprach sich gegen eine Blockade der 128 Kilometer langen Steilküste Rügens aus. Man dürfe die Gefahren nicht unterschätzen, aber gerade die Steilküsten seien für viele Urlauber auch Sehnsuchtsorte. Deshalb sollten an besonders kritischen Stellen die Hinweise auf Gefahren verstärkt werden.
Wie das praktisch läuft, zeigt der Hotelier Matthias Ogilvie aus dem nahen Glowe. Er führt selbst seine Gäste zu Wanderungen auf den Spuren der Romantiker bis zum Kap Arkona. „Jeder Gast erhält schon bei der Ankunft ein Info-Blatt über die Möglichkeit von Küstenabbrüchen.“ Unterdessen kontrollierten Mitarbeiter des Ordnungsamtes auch in anderen Touristengebieten Rügens die Küsten auf mögliche Risiken. Bis auf kleinere Abbrüche, seien nirgendwo größeren Risse oder Gefährdungen festgestellt worden. Das kann sich aber schnell ändern, wie das Ereignis am Kap Arkona zeigte. „Naturgewalten darf man nie unterschätzen“, sagte Professor Ralf-Otto Niedermeyer vom zuständigen Landesamt für Umwelt und Geologie. Vor allem nach extremen Niederschlägen und Frostperioden könnten die Hänge mit ihrem Gemisch aus Sand, Kreide und Mergel leicht ins Rutschen kommen.
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