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Der geplante Kanal.

© Tsp/Klöpfel

Geld und Ehrgeiz: Kasachstan als künftige Seemacht

Seit Jahrhunderten gibt es in Eurasien Pläne für einen Kanal nach Europa. Nun werden sie konkret. Kasachstan hat Geld. Und Ehrgeiz.

Die Herrschaft von Nursultan Nasarbajew über Kasachstan neigt sich dem Ende zu. Er ist 77 Jahre alt und der letzte aus der Riege der allmächtigen kommunistischen Parteisekretäre, die nach dem Zerfall der Sowjetunion ihr Parteibuch weglegten und die Republik als Präsidenten übernahmen. Seit gut drei Jahrzehnten, sowjetische Zeiten eingerechnet, ist er autoritärer Alleinherrscher über Kasachstan. Einen Traum hat Nasarbajew aber noch. Er will einen Kanal, der seine von den Weltmeeren abgeschnittene Republik mit Europa verbindet.

Auf diesem Kanal könnten die wertvollen Bodenschätze Kasachstans transportiert werden: Öl, Flüssiggas und seltene Erden, wie sie für die Elektronik überall in der Welt gebraucht werden. Fast alle Elemente des Periodensystems lassen sich in Kasachstan in ökonomisch relevanten Größenordnungen abbauen – das jedenfalls versprechen die PR-Agenturen des Landes den Investoren.

Die Idee des Kanals hat Nasarbajew jüngst auf einer Wirtschaftskonferenz der zentralasiatischen Nationen unterbreitet. Er würde am Kaspischen Meer beginnen, von dem ein Küstenstreifen zu Kasachstan gehört, aber er verliefe vollständig auf dem Gebiet des Nachbarn Russland. Dort ist man sehr interessiert an dem Projekt – vor allem, wenn es andere Staaten mitfinanzieren. Am Ende würde diese Wasserstraße durch die kalmykische Steppe in den Don münden, kurz bevor dieser in Rostow ins Asowsche Meer fließt.

Eine Verbindung gibt es bereits, sie führt von der Mündung der Wolga bis nach Wolgograd, über den Wolga-Don- Kanal und den Don bis nach Rostow. Doch der eurasische Kanal, von dem Nasarbajew und sein russischer Kollege Wladimir Putin träumen, würde den Weg für die Schifffahrt um rund 1000 Kilometer verkürzen. Und er wäre für große Schiffe mit einer Ladekapazität bis zu 50 000 Tonnen gedacht.

In die Geschichte eingehen

Für die Herrscher über die gewaltige eurasische Landmasse waren Kanäle immer schon die Bauwerke, mit denen sie in die Geschichte einzugehen hofften. Künstliche Wasserstraßen sind ihre Pyramiden. Sultan Selim träumte im 15. Jahrhundert von einem eurasischen Kanal. Peter der Große plante im 18. Jahrhundert eine Verbindung zwischen der Ostseeküste und dem Süden, um die Reichtümer aus dem Innern des Landes zu den Häfen zu transportieren. Zu diesem Netzwerk sollte auch eine Verbindung zwischen Wolga und Don gehören. In großem Maßstab wurden Ingenieure im Ausland angeworben, doch die meisten von Peters Projekten verliefen – im Sande.

Als Russland Ende des 19. Jahrhunderts eine stürmische Phase der Industrialisierung durchlief, kam das Projekt eines eurasischen Kanals wieder auf die Tagesordnung. Ein Ingenieur namens Danilow glaubte, eine Lösung für das Hauptproblem gefunden zu haben: Woher sollte man das Wasser nehmen in der staubtrockenen kalmykischen Steppe? Danilow wollte den Terek und andere Flüsse des Nordkaukasus umleiten. Auch dieses Projekt scheiterte. Stalin ließ in den 30er Jahren mit dem Bau des Wolga-Don-Kanals beginnen. Dort, wo mit 100 Kilometern die kürzeste Entfernung zwischen den beiden Flüssen liegt. Bis zu 12 000 Zwangsarbeiter kamen dabei zum Einsatz, wie viele starben, ist heute wieder ein Staatsgeheimnis. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Arbeiten unterbrochen, 1952 begann der Schiffsverkehr.

Russische Umweltschützer warnen vor den ökologischen Folgen des künstlichen Wasserweges. Durch die Einleitung von Kaspi-Salzwasser würde der Boden über Kilometer rechts und links der Trasse versalzen. Salzstürme würden über die brettebenen Flächen toben. Würde Süßwasser aus dem Nordkaukasus in die Ebene geleitet, müssten die Regionen Dagestan, Stawropol und Rostow extreme Trockenheit fürchten. Diese Gebiete gehören zu Russlands Kornkammern oder es wird, wie in Dagestan, in großem Maßstab Obst angebaut.

Ein erschreckendes Beispiel, welche Folgen der Versuch haben kann, eine Wasserstraße durch trockene Regionen zu führen, liefert der Karakum-Kanal in Turkmenistan. Die Ableitung des Wassers durch die Wüste ist eine zentrale Ursache dafür, dass der einst mächtige Amudarja seit Jahrzehnten nicht mehr den Aralsee erreicht. Dort gibt es die Salzstürme schon, die in der kalmykischen Steppe drohen.

Doch die Auftraggeber des eurasischen Projektes haben natürlich auch ein Gutachten. Solche Expertisen werden nur öffentlich, wenn sie den Standpunkt ihrer Auftraggeber stützen. So gehen die amtlich bestellten Fachleute davon aus, dass der Kanal kaum Salzwasser führen werde. An seinem Ausgangspunkt im Kaspischen Meer überwiege angeblich noch das aus der Wolga einströmende Süßwasser. Dieses Süßwasser hätte ihrer Ansicht nach sogar positive Wirkungen auf die landwirtschaftliche Entwicklung der faden kalmykischen Steppe.

Einen Vorschlag für die Wiederaufnahme der Bauprojekte machte der russische Präsident bereits vor gut zehn Jahren. Er lockte die zentralasiatischen Staaten mit dem Versprechen, aus Landmächten würden Seemächte. Doch dann kam 2008 die Finanzkrise und die Pläne landeten in den Schubladen. Jetzt haben sie eine große Chance auf Realisierung: Kasachstan hat gefüllte Staatskassen, Russlands Finanzen sind stabil, und was noch wichtiger ist: China zeigt Interesse. Der Kanal passt gut in die ehrgeizigen Pläne Xi Jinpeng für eine neue Seidenstraße von Asien nach Europa.

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