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Russland hat weltstärksten Atom-Eisbrecher: Kraftprotz auf hoher See
Russland hat den weltstärksten Atom-Eisbrecher gebaut. Doch die „Arktika“ hat wenig zu tun. Verantwortlich dafür: der Klimawandel.
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Es war ein großes Fest in der russischen Hafenstadt Murmansk Ende Oktober. Der Atomeisbrecher „Arktika“ hatte seine Jungfernfahrt absolviert, jetzt wurde er offiziell in Dienst gestellt. Von St. Petersburg, wo das Schiff gebaut worden war, hatte die Route durch das Eismeer über den Nordpol in den Fjord von Murmansk geführt – dem Heimathafen des gewaltigen Schiffes.
Mehr als sieben Jahre war an die „Arktika“ gebaut worden, schon vor Jahren hätte sie in See stechen sollen. Doch die Verspätung störte die Festlichkeit nicht. Schließlich ist seit 13 Jahren kein Atomeisbrecher mehr in Dienst gestellt worden. Russlands Regierungschef Michail Mischustin war nach Murmansk gekommen und hatte erklärt, was Moskau in den nächsten Jahren im Hohen Norden plant: die Erschließung neuer großer Rohstoff-Lagerstätten, den Ausbau von Häfen und Städten. Hunderte Milliarden wird die russische Regierung dafür aufwenden.
Die „Arktika“ soll dafür den Weg durch die unwirtliche Region bahnen. Sie ist das erste von fünf Schiffen dieser Klasse, die in den nächsten Jahren in St. Petersburg gebaut werden. Zwei Reaktoren mit zusammen 90 Megawatt Leistung treiben die Elektromotoren des Eisbrechers an. Genug Energie, um eine Kleinstadt mit Strom zu versorgen. Oder in langsamer Fahrt bis zu vier Meter dickes Eis zu brechen. Drei Meter seien es auf der Jungfernfahrt bereits gewesen, behauptet der Reeder Rosatom in einer Pressemitteilung.

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Eisbrecher, aber kein Eis
Kurz darauf goss Oleg Schtschapin, Leiter der staatlichen Abnahmekommission, jedoch Wasser in den Wein des großen Festes. Leider habe man gar kein dickes Eis gefunden, selbst am Nordpol sei es dünn und brüchig gewesen. Nur gut einen Meter dick. „Der Eisbrecher traf auf keinerlei Widerstand“, sagte Schtschapin. Der Klimawandel macht sich massiv bemerkbar. Als Russland seine neue Eisbrecherflotte vor mehr als einem Jahrzehnt konzipierte, schien dieser Klimawandel Moskau noch eine wenig ernstzunehmende Form von westlichem Alarmismus.
Doch inzwischen sind die Zeichen unübersehbar. Auch jetzt, Anfang November, gibt es in der Arktis keine Eisdecke, die eine echte Herausforderung für die „Arktika“ wäre. Von der Karasee bis an die Beringstraße sind die Gewässer in Küstennähe noch immer offen, melden die Meteorologen. Dieser Sommer war außergewöhnlich heiß im Hohen Norden Russlands. In Werchojansk zeigte das Thermometer im Juni 38 Grad Celsius. Der Ort gilt als Kältepol der Erde. Durch gewaltige Brände in der sibirischen Taiga wurden allein im Monat August eine so große Menge an Treibhausgasen freigesetzt, wie früher in einem ganzen Jahr.
Nordostpassage ist kein großes Abenteuer mehr
„Wir wissen schon seit längerem, dass sich die Arktis schneller erwärmt, als der Rest der Welt. Auch als das russische Festland“, sagte der Meteorologe Wladimir Semjonow der „Moscow Times“. Die Wassertemperatur sei in den nördlichen Meeren innerhalb weniger Jahre um fünf Grad gestiegen. Damit scheint auch das vielleicht letzte Abenteuer der christlichen Seefahrt, die Passage des Nördlichen Seewegs, kein so großes Abenteuer mehr zu sein.
Bereits Ende des 16. Jahrhunderts gab es die ersten Versuche, von Westen kommend eine Passage durch das nördliche Eismeer zu finden. Der niederländische Abenteurer Willem Barents probierte es drei Mal. Auf seiner dritten Reise entdeckte er Spitzbergen. Nach einer Überwinterung im Eis der Karasee starben er und seine Mannschaft im Juni 1597 an Entkräftung. Anfang des 17. Jahrhunderts gelangten russische Robbenjäger und Händler bis zum Kap Tscheljuskin, dem nördlichsten Punkt der Taimyr-Halbinsel. Die erste Gesamtdurchfahrt mit einer Überwinterung gelang Adolf Erik Nordenskjöld 1878/79. In den 50er und 60er Jahren wurden die Häfen Dikson, Tiksi, Pewek und Prowidenija angelegt und der Schiffsverkehr systematisch ausgebaut. Er kam jedoch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wegen der hohen Kosten beinahe zum Erliegen. Erst seit 2009 konnte die kommerzielle Nutzung wiederbelebt werden.
Russland hat große Pläne
Inzwischen gibt es große Pläne – sowohl für die Schifffahrtsroute, als auch für die weitere wirtschaftliche Erschließung des Hohen Nordens Russlands. Der Weg von Japan und Korea nach Europa ist etwa 20 Tage kürzer, als die Route um Südostasien herum, an Indien vorbei und durch den Suezkanal. Das macht die lange Zeit schwer zu durchdringende Passage für viele Reedereien interessant, nicht nur russische.
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Doch die Route ist noch immer ein russisches Monopol. Da sie durch die Wirtschaftszone des größten Landes der Erde führt, bleibt sich für Russland auch immer kontrollierbar. Regierungschef Mischustin machte bei der Feier für den Eisbrecher „Arktik“ deutlich, dass das auch so bleiben soll: „Die Entwicklung einer Flotte von Eisbrechern erlaubt es uns, das Transportpotenzial des Nördlichen Seewegs voll zu erschließen. Das verstärkt das Interesse der internationalen Geschäftswelt an dem Transitkorridor zwischen Europa und Asien – und sie sichert natürlich die Vorherrschaft Russlands in der Arktis, dieser für uns strategisch wichtigen Region.“
Deshalb ist bereits September ein noch größerer Atomeisbrecher auf Kiel gelegt worden, die „Lider“. Über 200 Meter lang und 50 Meter breit. Mit noch größeren Reaktoren. Die russische Führung bleibt überzeugt, dass sich die gewaltigen Investitionen lohnen – dem Klimawandel zum Trotz. Im tiefen Winter immerhin friert die Passage im Norden noch zu.
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