Österreich: Missbrauchsvorwürfe auch bei den Wiener Sängerknaben
In Österreich gibt es immer mehr Enthüllungen über sexuellen Missbrauch Jugendlicher. Bischof Zollitsch wird dem Papst über die Fälle in Deutschland Bericht erstatten.
Bei den Wiener Sängerknaben soll es in den sechziger und achtziger Jahren sexuellen Missbrauch gegeben haben. Zwei ehemalige Chormitglieder berichteten der Zeitung Der Standard von sexuellen Übergriffen und übertriebenen Disziplinarmaßnahmen in dieser Zeit. Es habe eine "Terror- und Angstatmosphäre geherrscht", sagten die heute 33 und 51 Jahre alten Betroffenen.
Einer der Männer, der als Orthopäde und Chirurg in Berlin arbeitet, erzählte von Duschritualen unter Anwesenheit der "Präfekten" genannten Erzieher. Diese hätten nackten Schülern Tipps gegeben, wie sie sich die Genitalien waschen sollten. Zudem wurde er selbst als Neunjähriger von einem älteren Schüler zu oralem Sex gezwungen. Der andere ehemalige Sängerknabe, der als Psychologe in München tätig ist, wurde bei einer US-Tournee unter anderem Zeuge, wie ein Präfekt einem Schüler, der nicht essen wollte, den Mund aufriss und Essen hineinstopfte.
Gleichzeitig wurden weitere Fälle innerhalb der katholischen Kirche des Alpenlandes bekannt. Neben den Missbrauchsfällen in Salzburg – wo ein Erzabt zurückgetreten ist – und in Vorarlberg gab es auch Vorwürfe gegen kirchliche Einrichtungen in Oberösterreich und der Steiermark. Im Stift Kremsmünster bei Linz werfen frühere Klosterschüler mehreren Geistlichen vor, sie in den achtziger Jahren vor anderen gedemütigt, geschlagen und sich an ihnen vergriffen zu haben. Das Stift entschuldigte sich bei den Betroffenen, drei beschuldigte Geistliche hätten die Vorwürfe bestätigt und seien ihres Amtes enthoben worden.
Der Wiener Erzbischof Christoph Schönborn forderte eine genaue Ursachenforschung für sexuellen Missbrauch und erwähnte in diesem Zusammenhang erstmals auch den Zölibat: Man müsse die Opfer vor die Täter stellen und Schuld beim Namen nennen, schrieb der Kardinal in einem Kommentar für ein Mitarbeitermagazin der Kirche. Es sei notwendig, nach den Ursachen sexuellen Missbrauchs zu fragen: "Dazu gehört die Frage der Priestererziehung genauso wie die Frage nach dem, was in der 68er-Generation mit der sexuellen Revolution geschehen ist. Dazu gehört das Thema Zölibat genauso wie das Thema Persönlichkeitsentwicklung."
Die Erzdiözese reagierte unmittelbar nach Veröffentlichung des Textes. Schönborn stelle mit dieser Aussage in keiner Weise "den Zölibat in der katholischen Kirche des lateinischen Ritus in Frage", hieß es.
Auch der Vatikan hob unterdessen die Bedeutung des Zölibats für Priester hervor. Die Verpflichtung zur Ehelosigkeit sei ein "Geschenk des Heiligen Geistes" und müsse mit Freude ausgelebt werden, erklärte Kardinal Claudio Hummes. Der Bischof des Bistums Regensburg, Gerhard Ludwig Müller, bezeichnete bei einem Kolloquium im Vatikan die These, das Zölibat sei die Ursache für pädophile Übergriffe Geistlicher, als "Dummheit".
Erstmals befasst sich jetzt der Papst direkt mit dem Missbrauchsskandal an katholischen Einrichtungen in Deutschland. Benedikt XVI. erwartet dazu an diesem Freitag den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, der das Oberhaupt aller Katholiken über die Situation in Deutschland informieren soll. Der 71-Jährige hat eingeräumt, dass die deutschen Bischöfe das Problem zunächst unterschätzt hätten.