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Versteckt sich hinter einem Ordner. Der Angeklagte David H. am Montag im Gerichtssaal von Aurich. Foto: dpa

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Panorama: Nach einem Moment für Lena

Es ist selten, dass ein Richter eine Gedenkminute einlegt / Der Angeklagte hatte sich vor der Tat wegen Pädophilie selbst angezeigt.

Aurich - Die Kapuze seines dunkelblauen Pullovers hat er über den Kopf gezogen, das Gesicht mit einem Aktenordner verdeckt. Es ist 9 Uhr 10, als David H. von Justizbeamten mit Handschellen in den Saal 3 des Landgerichts Aurich geführt wird. Der 18-Jährige hat breite Schultern, ist groß gewachsen. Seine Figur steht im Kontrast zu den kindlich-weichen Zügen seines blassen Gesichts, das er erst zeigt, als die Fotografen und Kameraleute den Saal verlassen haben.

David H. muss sich wegen Mordes, sexuellen Missbrauchs und versuchter Vergewaltigung vor der 1. Großen Jugendstrafkammer verantworten. Er hat bereits gestanden, am 24. März die elfjährige Lena in einem Parkhaus in Emden getötet zu haben. Laut Anklage hat er das Mädchen zuvor vergewaltigt. Lena wollte an jenem Tag in den Emdener Wallanlagen, einer großen Parkanlage, Enten füttern. Zusammen mit einem Freund aus der Nachbarschaft. Am Abend kommt der Junge allein nach Hause.

Es kommt selten vor, dass ein Richter zum Gedenken an ein Opfer aufruft. Werner Brederlow, Vorsitzender der 1. Großen Jugendkammer, bittet um „einen Augenblick des Innehaltens“ für Lena. Alle im Saal mögen sich „den tragischen Grund der Verhandlung bewusst machen“, sagt er – „den frühen, gewaltsamen Tod eines jungen Menschen“. David H. blickt auf die Tischplatte vor sich.

Lenas Mutter und ihr jüngerer Bruder sind Nebenkläger im Prozess. Die Mutter, ihr Stiefvater, der Nachbarsjunge und ein Parkhauswächter sollten noch am ersten Tag als Zeugen gehört werden. Die Öffentlichkeit bekommt sie nicht zu hören. Auf Antrag des Verteidigers sind Zuhörer erst wieder zum Urteil zugelassen. Zum Schutz des jungen Angeklagten und zum Schutz der Familie des Opfers, wie das Gericht entscheidet.

Schon bei der Verlesung der Anklage spart die Staatsanwältin die Details über die Vergewaltigung und Ermordung des Kindes aus. David H. habe Lena erwürgt, mehr verliest sie nicht. Detaillierter geht sie auf den Angriff des 18-Jährigen auf eine Joggerin ein. Die Frau lief am 24. November gegen 21 Uhr in den Emdener Wallanlagen ihre Runden. David H. soll ihr gefolgt sein, um sie zu vergewaltigen. Er habe ihr von hinten den Mund zugehalten, sie zu Boden gedrückt und mit beiden Händen gewürgt. Sie habe geschrien, er gedroht, sie „abzustechen“. Der Frau gelang erst nach massiver Gegenwehr die Flucht.

Im Nachhinein scheint alles vermeidbar. Schon im Oktober 2010 hat die Mutter den damals 17-jährigen David erwischt, als er ein Mädchen nackt fotografierte. Das Amtsgericht Hannover ordnete eine Hausdurchsuchung an. Sie erfolgte nicht. Ein knappes Jahr später, im September 201,1 zeigte ihn sein Stiefvater an. David soll Kinderpornos aus dem Internet heruntergeladen haben. H. war da schon zur Behandlung in der Jugendpsychiatrie. Einen Monat später, im November 2011, zeigte er sich wegen pädophiler Neigungen selbst an. Noch im selben Monat überfällt er die Joggerin und versucht, sie zu vergewaltigen.

Die Polizei nahm nach dem Mord an Lena im März dieses Jahres zunächst den Falschen fest. „Lasst uns das Schwein tothauen“, hieß es kurz darauf auf Facebook. Der Urheber dieser Worte, ein Jugendlicher aus Emden, wurde zu zwei Wochen Arrest verurteilt. Kurz darauf wird David H. als mutmaßlicher Mädchenmörder gefasst. Das Zuviel an Öffentlichkeit kontert das Gericht nun mit einem Prozess ohne Öffentlichkeit. Wie kann es sein, dass David und seine Familie mehrfach auf die Gefahr hinweisen, die von ihm ausging, und er dennoch nicht am Vergewaltigen und Morden gehindert worden ist? Es ist eine der Fragen, die dieser Prozess klären muss – auch hinter verschlossenen Türen. Wiebke Ramm

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