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Seit 20 Jahren fliegt die ISS bemannt auf einer Erdumlaufbahn.

© imago

Operation Teebeutel: Wie russische Kosmonauten die internationale Weltraumstation ISS reparierten

Die ISS kommt in die Jahre, es beginnen sich Risse zu zeigen. Doch die russische Kosmosagentur will die Station noch lange betreiben.

Raumfahrer mussten schon oft improvisieren und zu ungewöhnlichen Mitteln greifen, wenn es galt, im All unerwartete Probleme zu lösen. Doch nie zuvor in den fast 60 Jahren der bemannten Raumfahrt spielte ein Teebeutel die entscheidende Rolle.

Mit seiner Hilfe fanden die russischen Kosmonauten Iwan Wagner und Anatoli Iwanischin Ende Oktober nach langer Suche endlich das Leck in der internationalen Raumstation ISS, das für einen permanenten Druckabfall in der Station verantwortlich war, der gefährlich zu werden drohte. Die beiden Männer dichteten das Loch provisorisch mit gewöhnlichem Klebeband ab. Das wiederum war keine Premiere. Die Methode hatte sich bereits vor zwei Jahren bei einem anderen Leck bewährt.

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Als der Druckabfall in der ISS im September 2019 zum ersten Mal bemerkt worden war, galt er noch als völlig unproblematisch. Sauerstoff entweicht in geringen Mengen ständig aus der ISS, ein vollständig hermetisches System gibt es nicht. Im Sommer dieses Jahres beschleunigten sich die Verluste an Atemluft jedoch rasch, und das Flugleitzentrum wies die Besatzung der ISS an, auf die Suche nach der Ursache zu gehen. Vier Tage verbrachten die Raumfahrer damit, das Problem in der riesigen Station mit ihren verschachtelten Modulen erst einmal einzukreisen. Zunächst wurde überprüft, ob noch alle Luken und Schleusen hermetisch schließen. Das taten sie. Dann erwies sich, dass sich das Leck in der russischen Sektion befinden musste. Konkret in der Serviceeinheit „Swjesda“, wo gewöhnlich die unbemannten Progress-Transporter mit dem Nachschub für die Station andocken.

Ein fast 40 Jahre altes Modul

Dies sei das kritischste Modul der russischen Sektion, meint der Raumfahrtexperte Anatoli Zak. Es wurde zu einem Zeitpunkt montiert, als die ISS noch nicht einmal auf den Zeichentischen der Konstrukteure existierte. Das, was heute „Swjesda“ heißt, war vor 35 Jahren ursprünglich als zentraler Block der sowjetischen Raumstation „Mir“ gebaut, dann aber lange Zeit gelagert worden. Als vor 20 Jahren der Aufbau der ISS begann, flog dieses Modul als eine der ersten Ausbaustufen doch noch ins All.

Hier also suchten Wagner und sein Kollege nun nach dem Loch. Sie nutzten dabei hochsensible Instrumente, die mit Ultraschall und Infrarot arbeiten. Doch sie fanden: nichts. Der Druckabfall nahm inzwischen dramatische Ausmaße an. In einer Nacht im vergangenen Sommer schlugen sogar die Alarmmelder an. Inmitten wachsender Ratlosigkeit kam Wagner die rettende Idee. Er nahm einen Teebeutel mit in den „Swjesda“-Modul und riss ihn auf. Danach verließ er die Sektion und riegelte sie hinter sich ab. Kameras zeichneten auf, was dann geschah. In der hermetisch abgeschlossenen Sektion wurden die Teeflocken zu einer bestimmten Stelle an der Bordwand gesogen.

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Das Leck war gefunden. Es hatte inzwischen eine Länge von knapp vier Zentimetern erreicht. Die Bordwand des Moduls ist an dieser Stelle nur vier Millimeter dick. 20 Jahre lang waren an seiner Außenwand immer wieder neue Geräte an- und abmontiert worden. Da könnte das Material eines Tages nachgegeben haben, vermuten die Experten als Ursache für die Havarie.

Ein Kosmonaut warnt

Der Vorfall macht eines der Probleme der ISS deutlich: Sie ist in die Jahre gekommen. Am 20. November 1998 war vom kasachischen Weltraumbahnhof Baikonur eine russische Proton-Trägerrakete mit dem ersten Element der ISS gestartet. Vor genau zwei Jahrzehnten, Anfang November 2000, begann der bemannte Betrieb. Das größte internationale Kooperationsprojekt im All ist eine Erfolgsgeschichte. 420 Tonnen Technik sind auf eine Umlaufbahn geschossen worden, aktuell befindet sich die 64. Besatzung an Bord. Nummer 65 soll im November mit einem SpaceX-Raumschiff starten.

Als Kosmonaut Wagner Ende Oktober aus dem All zurückkehrte, machte er auf etwas aufmerksam. „Wir sehen jetzt, dass sich etwas verändert, dass wir der Station größere Aufmerksamkeit widmen müssen. Es beginnen sich Risse zu zeigen.“ Interessant: Der Raumfahrer sprach nicht von einem, sondern von „Rissen“, also der Mehrzahl. Zuvor schon war davon die Rede, dass auch wissenschaftliche Apparaturen immer öfter ihren Dienst verweigern würden.

"Touristen" sollen Geld bringen

Sergej Krikaljow, Chef der Kosmonautenabteilung der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos, beschwichtigte jedoch. Die ISS habe das Potenzial für weitere 15 Jahre im bemannten Betrieb, versicherte er. Das hätten Inspektionen ergeben. Man führe bereits Gespräche mit Partnern für Pläne, die bis in das Jahr 2030 reichen. Was die Probleme angeht, hat Krikaljow eine einfache Erklärung: „Es wird jetzt nur mehr darüber gesprochen als früher. Nicht sehr qualifizierte Personen können inzwischen den Funkverkehr zwischen Station und Flugleitzentrum mithören.“ Die seien jedoch nicht in der Lage, ungefilterte Informationen zu analysieren und würden die Gefahr übertreiben.

Die Beschwichtigungen Krikaljows haben ihren Grund. Roskosmos hat noch einiges vor mit der ISS. Und nicht die russische Agentur allein. Die Nasa wird aus dem ISS-Programm aussteigen, aber Roskosmos will künftig gemeinsam mit Elon Musk und seinem Projekt Space X mit der Raumstation Geld verdienen. Dabei kehrt die russische Raumfahrtagentur zu einem alten Konzept zurück. Sie verkauft Plätze in der Sojuskapsel an Superreiche. Ab Ende 2021 soll dabei ein Pilot mit zwei „Touristen“ zur ISS fliegen, die dann einen Monat auf der Umlaufbahn bleiben.

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