
© dpa/Heiko Rebsch
Polizeibeamte erinnern sich vor Gericht: Attentäter von Magdeburg wirkte nach Tat klar, sprach aber vor allem über eigene Probleme
Bei seiner ersten Vernehmung sprach der Todesfahrer von Magdeburg vor allem über eigene Anliegen – zur Tat selbst äußerte er sich nicht. Vor Gericht schildern Polizisten ihre Eindrücke von dem Täter.
Stand:
Der Todesfahrer vom Magdeburger Weihnachtsmarkt wirkte nach der Tat auf Polizisten aufgeregt, aber klar und ließ sich widerstandslos festnehmen. Mehrere Polizisten berichteten vor dem Landgericht Magdeburg über ihre Begegnung mit dem inzwischen 51 Jahre alten angeklagten Taleb al-Abdulmohsen noch am 20. Dezember 2024.
Der Todesfahrer habe bei der ersten Vernehmung am Tag nach der Tat bei der Polizei seine eigenen Anliegen in den Vordergrund gestellt und zum Tatgeschehen geschwiegen. So haben sich zwei Polizeibeamte erinnert, die Taleb al-Abdulmohsen am Tag nach der Tat als Erste befragten. Er habe auf ihn sehr gefasst und höflich gewirkt, sagte ein Beamter als Zeuge am Landgericht Magdeburg.
Es sei für den damals 50-Jährigen sehr wichtig gewesen, über seine Erfahrungen mit Behörden, der Polizei und Gerichten zu berichten, von denen er sich nicht ernst genommen gefühlt habe. Dabei habe er auch Tränen in den Augen gehabt. Über die Tat auf dem Weihnachtsmarkt habe der Mann aus Saudi-Arabien nicht reden wollen.
Ein zweiter Beamter, der bei der ersten Vernehmung dabei war, sagte: „Mein Eindruck war, dass er zumindest nicht logisch erklären konnte, was ihn zu der Tat bewegt hat.“ Was der damals 50-Jährige berichtet habe, habe auf ihn nicht nachvollziehbar gewirkt, so der Beamte.
„Ich persönlich hatte den Eindruck, es ging ihm mehr um sein eigenes Wohl.“ Er habe gesagt, er habe nicht geschlafen und nichts gegessen und sei bei der Festnahme unsanft behandelt worden.
Das sagt der Polizist, der sich dem Todesfahrer gegenüberstellte
Als Zeuge wurde auch der Polizeibeamte gehört, der sich dem Todesfahrer direkt nach der Tat mit der Waffe im Anschlag entgegenstellte und ihn aufforderte, aus dem Auto zu steigen und sich auf den Boden zu legen. Der Mann habe aufgeregt gewirkt und auf die Ansprache zuerst nicht reagiert.
Seine Augen seien weit aufgerissen gewesen. Der Beschuldigte habe mit mehreren Äußerungen rechtfertigen wollen, was er getan habe.
Es habe auf ihn wahnhaft gewirkt, so der 25 Jahre alte Beamte. Der heutige Angeklagte habe gesagt, er sei an einer „großen Sache dran“, sei Psychiater, man wolle ihm etwas antun.
Ein anderer Polizist, der bei der Festnahme dabei war, sagte: „Er war orientiert, wusste, was er getan hat“. Der Mann habe auf keinen Fall einen verwirrten Eindruck gemacht.
Ein weiterer Beamter sagte, al-Abdulmohsen habe auf seinen X-Account verwiesen, dort sei alles erklärt. Der Mann, der bis zur Tat als Arzt im Maßregelvollzug mit psychisch kranken Straftätern arbeitete, war in sozialen Netzwerken sehr aktiv. Bei Behörden war er als Vielschreiber eingestuft wegen einer Vielzahl von Anzeigen und Schriftwechsel. Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss im Landtag von Sachsen-Anhalt hat bereits herausgearbeitet, dass al-Abdulmohsen bei den Sicherheitsbehörden durch alle Raster fiel.
Der inzwischen 51-jährige Taleb al-Abdulmohsen, der als Arzt im Maßregelvollzug mit psychisch kranken Straftätern arbeitete, war am 20. Dezember 2024 mit einem mehr als zwei Tonnen schweren und 340 PS starken Mietwagen über den Weihnachtsmarkt gerast.
Laut der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg lenkte der Mann aus Saudi-Arabien den Wagen etwa 350 Meter weit und mit bis zu 48 Kilometern pro Stunde über den Weihnachtsmarkt.
Es starben ein Neunjähriger und fünf Frauen, mehr als 300 weitere Menschen wurden verletzt. Al-Abdulmohsen hat die Tat zugegeben. Reue zeigte er bislang nicht. Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg wirft ihm unter anderem vollendeten Mord in sechs Fällen und versuchten Mord in 338 weiteren Fällen vor.
Zeugen müssen nicht aussagen
Um das Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, war mit Zustimmung des Angeklagten beschlossen worden, dass Zeugen des Anschlags nicht vor Gericht aussagen müssen. Vielmehr sollen ihre Aussagen, die sie bei der Polizei gemacht haben, entweder verlesen werden oder im sogenannten Selbstleseverfahren in den Prozess eingeführt werden. Ein Nebenklagevertreter äußerte seine Bedenken, dem Angeklagten und seinen stundenlangen Äußerungen werde so mehr Raum gegeben als den Opfern. Es war deutlich geworden, dass kaum Betroffene im Saal aussagen wollen.
Der Vorsitzende Richter Dirk Sternberg betonte, er wolle auf die Ausgewogenheit achten. Die Nebenklagevertreter sollten Zeugen benennen, die öffentlich aussagen möchten, diese würden auch geladen. Zudem sollten auch Aussagen verlesen werden, um das Erlebte und die Sicht der Betroffenen deutlich zu machen.
Angeklagter verweigert Nahrung
Unterdessen verweigert der Angeklagte seit etwa einer Woche die Nahrung. Sternberg sprach ihn auf seine Verhandlungsfähigkeit an und bot ihm auch eine ärztliche Untersuchung an. Der Angeklagte hält sich für verhandlungsfähig. Er betonte, er suche mit dem Hungerstreik mediale Aufmerksamkeit und „kämpfe für Gerechtigkeit“. Wiederholt befragt nach seinen Beweggründen für die Todesfahrt über den Weihnachtsmarkt verwies der Angeklagte darauf, von den Behörden nicht ernst genommen worden zu sein. Er sprach von Verzweiflung und sagte: „Das war nicht die Wahl, die ich machen sollte“. (dpa)
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