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Pflichtverteidiger Thomas Breiter (l) und im kugelsicheren Glaskasten der Angeklagte Taleb A. (sitzend) vor Beginn des zweiten Prozesstages.

© dpa/Hendrik Schmidt

Update

Prozess um Anschlag in Magdeburg: Richter verbietet dem Angeklagten, sich direkt an Hinterbliebene zu wenden

Im Prozess um den Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt hat der Angeklagte einen Hungerstreik angekündigt. Zur Tat am 20.12.2024 äußerte sich Taleb A. hingegen kaum.

Stand:

Der Todesfahrer von Magdeburg hat versucht, den zweiten Prozesstag zum Anschlag auf den Weihnachtsmarkt zur Selbstdarstellung zu nutzen.

Dabei setzte der Angeklagte Taleb A. seine Aussage fort, ohne wirklich auf den Anschlag am 20. Dezember 2024 mit sechs Toten und über 300 Verletzten einzugehen. Die Anklage wirft dem Mann aus Saudi-Arabien unter anderem vollendeten Mord in sechs Fällen und versuchten Mord an weiteren 338 Menschen vor.

Der Vorsitzende Richter Dirk Sternberg ermahnte den 51-Jährigen zu Beginn, zum Geschehen und der Vorgeschichte auszusagen – statt in politische Äußerungen abzuschweifen. Zudem warnte er den Angeklagten, einen zur Verfügung gestellten Laptop während der Verhandlung zu nutzen, um politische Aufrufe zu formulieren. 

Am ersten Prozesstag hatte der Angeklagte den Laptop hochgehalten und „Sept. 2026“ war zu lesen. „Da ist die nächste politische Wahl in Sachsen-Anhalt“, erklärte der Angeklagte, der als Islamkritiker bekannt ist. Am 6. September 2026 wird in Sachsen-Anhalt ein neuer Landtag gewählt. 

Es liegt an Ihnen, ob Sie die Verhandlung mitmachen wollen, ob Sie anwesend sein wollen oder nicht.

Dirk Sternberg, Vorsitzender Richter, an den Angeklagten gewandt

Der Prozess hatte am Montag mit der Anklageverlesung begonnen. Der aus Saudi-Arabien stammende 51-Jährige soll am 20. Dezember vergangenen Jahres mit einem Mietwagen über den stark besuchten Weihnachtsmarkt in Magdeburg gefahren sein und zahlreiche Menschen erfasst haben. Ein neunjähriger Junge und fünf Frauen im Alter von 45 bis 75 Jahren starben, mehr als 300 weitere Menschen wurden verletzt.

Nach Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg handelte A. in der Absicht, „eine unbestimmte große Zahl von Menschen zu töten“. A. räumte in seiner Aussage am Montag ein, am Steuer des Tatwagens gesessen zu haben.

Angeklagter kündigt Hungerstreik an

Unbeeindruckt zeigte sich das Gericht zunächst von der Ankündigung des Angeklagten, erneut Nahrung zu verweigern. „Sie haben es nicht in der Hand, durch Hunger- oder Durststreik die Verhandlung zu verzögern oder zu torpedieren“, betonte Richter Sternberg. Da die Anklage verlesen sei und der Angeklagte Gelegenheit hatte auszusagen, könne die Verhandlung auch ohne ihn fortgesetzt werden, erklärte Sternberg. „Es liegt an Ihnen, ob Sie die Verhandlung mitmachen wollen, ob Sie anwesend sein wollen oder nicht“, sagte der Richter.

Der Todesfahrer sagte vor Gericht: „Jetzt mache ich den Hungerstreik seit gestern. Ich will das drei Wochen machen. Man erwartet keine körperlichen Schäden.“ 

Am Montag hatte der 51-Jährige zugegeben, am Steuer gesessen zu haben. „Ich bin derjenige, der das Auto gefahren hat“, sagte der Mann. Weitere konkrete Angaben machte er nicht, auch von Reue war keine Rede. Stattdessen kündigte er zuvor an, sich „stundenlang, vielleicht tagelang“ äußern zu wollen. 

Gutachter verfolgt Aussage

Dabei wird der Angeklagte, der selbst als Psychiater im Maßregelvollzug Bernburg psychisch erkrankte Straftäter behandelte, von einem psychiatrischen Gutachter beobachtet. Er wird an vielen Verhandlungstagen dabei sein und soll sich ein Bild des Todesfahrers machen, der Gespräche mit dem Sachverständigen bislang verweigerte. 

Dabei geht es vor allem um die Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt. Dem Angeklagten droht bei einer Verurteilung auch eine lebenslange Sicherungsverwahrung. 

Von Galileo Galilei, Hawking und Einstein

Teils wirren Äußerungen am ersten Prozesstag folgten bei der Fortsetzung vergleichbare Aussagen zu vermeintlichen Vertuschungsaktionen von Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften in Deutschland sowie Korruption. 

Ein Blick auf den abgesperrten Weihnachtsmarkt in Magdeburg nach dem Anschlag von Taleb A. am 20. Dezember 2024.

© dpa/Heiko Rebsch

Der Angeklagte erwähnte Forscher wie Galileo Galilei, Stephen Hawking, Albert Einstein, schimpfte über deutsche Behörden und mangelnde Hilfe für saudische Frauen. Er habe aufklären und warnen wollen. Er habe Strafanzeigen gestellt und sei aber nicht gehört worden. Stattdessen wurde er selbst angezeigt, etwa weil er den Notruf 112 missbrauchte. 

Der Angeklagte hatte sehr viel Kontakt zu verschiedenen Behörden und wurde als sogenannter Vielschreiber eingestuft, wie der parlamentarische Untersuchungsausschuss im Landtag herausgearbeitet hat.

Inmitten der oft zusammenhanglos wirkenden Aussagen sagte der 51-Jährige Sätze wie: „Hätte man uns verstanden, hätte ich niemanden getötet und niemanden verletzt“. Als der Todesfahrer das Wort direkt an die Eltern eines getöteten neunjährigen Jungen richten wollte, schritt Richter Sternberg ein. 

Weniger Nebenkläger vor Ort

Betroffene, die die Verhandlung persönlich verfolgten, wirkten angespannt. Rund 180 Nebenklägerinnen und Nebenkläger sind im Verfahren vertreten. Am zweiten Tag kamen etwa 30 Menschen – weniger als zum Prozessauftakt. Die Zuschauerreihen mit 100 Plätzen waren jedoch besser gefüllt. 

Der Angeklagte wurde auch am zweiten Prozesstag mit einem Hubschrauber von der Haftanstalt Burg nach Magdeburg und dann in den temporären Gerichtssaal gebracht. Der Prozess läuft unter starken Sicherheitsvorkehrungen. Das Landgericht Magdeburg hat bislang knapp 50 Verhandlungstage bis zum 12. März 2026 geplant. 

Unterdessen gibt es Streit um den diesjährigen Magdeburger Weihnachtsmarkt. Wegen Sicherheitsbedenken erteilte die Stadtverwaltung Magdeburg den Veranstaltern des diesjährigen Weihnachtsmarkts vorerst keine Genehmigung. Oberbürgermeistern Simone Borris (parteilos) informierte am Montag den Stadtrat darüber.

Hintergrund sei ein Schreiben des Landesverwaltungsamtes, in dem es Kritik am aktuellen Sicherheitskonzept gebe. In dem Schreiben, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, werden unter anderem gravierende Mängel am Zufahrtsschutz und an der Organisation des Sicherheitspersonals genannt.

Borris warnte vor einem verheerenden Signal, sollte der Magdeburger Weihnachtsmarkt nicht stattfinden können. Das wäre „eine Kapitulation der breiten Stadtgesellschaft vor dem Attentat“, erklärte die Oberbürgermeisterin am Montag. (dpa/AFP)

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