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Verärgerte Bürger bewerfen König Felipe unter anderem mit Schlamm.

© AFP/MANAURE QUINTERO

Wut nach Flutkatastrophe in Spanien: „Die freiwilligen Helfer kamen schneller als das Militär“

Nach der Flutkatastrophe sind die Bürger Valencias enttäuscht von den Behörden. Bei einem Besuch wird der König mit Schlamm beworfen. Von den Fehlern des Staates wollen die Rechtsextremen profitieren.

Von Juan F. Álvarez Moreno

Stand:

„Mörder, Mörder“, rufen Hunderte Menschen in der valencianischen Kleinstadt Paiporta. „Sánchez, du Hurensohn!“ Das spanische Königspaar, Ministerpräsident Pedro Sánchez und der valencianische Regierungschef Carlos Mazón besuchen das Zentrum der Flutkatastrophe, als sich die Wut entlädt. Es fliegen Flaschen und Schlamm, fast trifft ein Stock Sánchez in den Rücken. Er und Königin Letizia – ihr Gesicht ist mit Schlamm befleckt – werden in Sicherheit gebracht.

Doch König Felipe will trotzdem mit den Menschen aus Paiporta sprechen, wo seit Dienstag Dutzende Leichen gefunden wurden. „Du kommst vier Tage zu spät“, sagt ein Jugendlicher dem König ins Gesicht „Wir Bürger mussten uns organisieren, eine Schande.“ So eng umstehen die Menschen den König, dass dieser kaum weiterkommt. Sicherheitskräfte müssen ihm erst den Weg freiräumen. Sein Gesicht ist ruhig, seine Jacke dreckig.

Erst kam die Flut, dann die Warnung

Am Sonntag nach der Katastrophe staunen Millionen Spanier über die Bilder ihres schlammbespritzten Monarchen – doch viele dürften schon davor gespürt haben, wie wackelig ein Staat sein kann.

Denn in den Tagen nach dem stärksten Regen seit Jahrzehnten in Valencia wirkten die spanischen Behörden zum Teil machtlos. Die offizielle Unwetterwarnung kam erst, als viele Orte bereits überflutet und zahlreiche Menschen tot waren. Vielerorts warteten Betroffene vergeblich auf Hilfsgüter, Pflegekräfte mussten Altenheimbewohner selbst retten, Hubschrauber aus anderen Regionen kehrten zurück, weil sie keine Anweisungen bekamen.

Etwa 220 Leichen wurden seit Dienstag im spanischen Südosten geborgen; weitere werden noch in überfluteten Tiefgaragen vermutet. Die Zahl der Vermissten machen die Behörden nicht öffentlich. Fake-News und Gerüchte dazu kursieren in den sozialen Medien.

Während der Staat schwach wirkt, wird die Zivilgesellschaft aktiv: Am Wochenende strömten Tausende freiwillige Helfer mit Schutzmasken und Gummistiefeln in die betroffenen Orte. Sie brachten Wasser und Essen mit, entfernten Schlamm aus den Häusern, räumten Straßen.

Die freiwilligen Helfer kamen schneller als das Militär.

Jorge Coronado, Bewohner von Chiva.

Am Sonntag wollte das Königspaar noch den Ort Chiva an der Ostküste Spaniens besuchen, in dem es fünf Tage zuvor in wenigen Stunden so viel regnete wie sonst in einem Jahr. Nach dem Schlamm-Angriff in Paiporta wurde der Termin abgesagt. „Es gibt Dörfer, die noch keine Hilfe bekommen haben, und sie kommen hierher, um sich fotografieren zu lassen?”, beschwert sich der Anwohner Jorge Coronado im Telefongespräch mit dem Tagesspiegel.

Viele junge Helfer

Der 42-jährige Mann aus Chiva zeigt Verständnis für die Wut vieler Menschen. Tagelang seien die Anwohner allein gelassen worden, hätten sich selbst mit Wasser und Lebensmitteln versorgen müssen. „Die freiwilligen Helfer kamen schneller als das Militär.“

Er beklagt auch die späte Warnung der Behörden. Als er sie auf seinem Handy bekommen habe, sei er bereits von der Autobahn geflohen gewesen, wo das Wasser viele Autos weggespült hatte. Coronado zeigt sich dankbar für die jungen Helfer aus ganz Spanien, die in Chiva unermüdlich arbeiten: „Sie sind unglaublich.“

31.10.2024

Das Gefühl, dass der Staat die Anwohner allein lasse, werde hohe Kosten für die politischen Verantwortlichen haben, ist sich Politikwissenschaftler Alberto Bueno sicher. „In Notfällen ist Vertrauen in den Staat fundamental.“

Sowohl die Konservativen, die in der Region Valencia regieren, als auch die sozialdemokratische Zentralregierung von Sánchez dürften in dieser Krise an Ansehen verlieren. Beide Regierungen hätten in den ersten Stunden der Katastrophe zerstritten und überfordert gewirkt, so Bueno.

Politik zeigt sich versöhnlich

„Unser System für Zivilschutz ist sehr dezentral. Es braucht viel Koordinierung zwischen den Akteuren“, betont Bueno. Das müsse künftig besser laufen. Die Warnungen müssten früher geschickt und die Menschen für die Gefahren sensibilisiert werden. Von der Politik erwartet er vor allem Streit in unnötigen parlamentarischen Untersuchungskommissionen. „Trotzdem hoffe ich, dass wir auf der technischen Ebene Warnsysteme, Koordinierung und Gefahrenwahrnehmung verbessern“, so der Experte.

Sozialdemokraten und Konservativen zeigen sich nach einigen Unstimmigkeiten in den ersten Tagender Katastrophe nun versöhnlich. Der valencianische Regierungschef Mazón lobte am Wochenende die Arbeit von Sánchez‘ Zentralregierung. Dieser sagte nach dem Angriff am Sonntag, es sei Zeit „nach vorn zu blicken“.

Profitieren will seit einigen Tagen ein anderer: Der Chef der rechten Partei Vox Santiago Abascal nannte in einer Videobotschaft Sánchez den Hauptverantwortlichen für die Katastrophe und lästerte über das „Chaos der unfähigen Behörden“. Wenn der Staat versage, erhebe sich das Volk, so der Rechtspopulist. Laut spanischen Medien waren am Samstag Angehörige rechtsextremer Gruppen zwischen den Protestlern unterwegs.

Zwischen Wut und Solidarität versucht Spanien, die Katastrophe zu bewältigen. Am Sonntagabend warnte der staatliche Wetterdienst vor starkem Regen in der Region – glücklicherweise blieb er dieses Mal ungefährlich. In den kommenden Tagen soll es trocken bleiben und der allgegenwärtige Schlamm langsam entfernt werden. Die Toten werden begraben, die Vermissten gesucht, Straßen und Brücken irgendwann repariert. Doch das Vertrauen in die Behörden dürfte noch lange erschüttert bleiben.

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