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Darf man das? Eine Werbeagentur hat sich für Hitler als Protagonisten entschieden.

© YouTube-Video

Umstrittener Fernsehwerbespot: Türkischer Shampoo-Hersteller wirbt nicht länger mit Hitler

Für die PR-Agentur war es ein Werbegag, für die jüdische Gemeinde ein Skandal. In der Türkei wurde für ein Shampoo mit einer nachsynchronisierten Fassung einer Hitler-Rede geworben. Jetzt macht der Hersteller einen Rückzieher.

Mit Adolf Hitler gegen Haarausfall und Schuppen? „Für hundertprozentige Männer gibt es jetzt Biomen“, schreit Hitler bei einer Rede auf Türkisch – in einem Werbespot fürs Fernsehen, der derzeit am Bosporus für Kopfschütteln, Kritik und Debatten sorgt. Eine wenige Sekunden lange historische Aufnahme des Diktators wurde mit einer heiseren türkischen Synchron-Stimme unterlegt, um das Haarwaschmittel anzupreisen. Der Spot löste Proteste der jüdischen Gemeinde der Türkei und heftige Kritik in den Medien aus. Zunächst wiesen die Macher des Spots die Kritik zurück: Wer nicht verstehe, dass das Filmchen nur ein Witz sei, der sei selber schuld. Doch dann wurde der Druck zu groß: Am Dienstag teilte die zuständige Werbeagentur mit, die Ausstrahlung des Spots sei gestoppt worden. „Wir wollten keine Hitler-Propaganda machen“, sagte Agenturchef Husuli Derici dem Tagesspiegel.

Es sei nicht hinnehmbar, dass Hitler, der mit seiner faschistischen Ideologie für den Tod von Millionen Menschen verantwortlich sei, als Akteur in einem Werbespot auftrete, erklärte die jüdische Gemeinde der Türkei. In den USA erklärte die jüdische Organisation ADL, die gegen Anti-Semitismus und andere Formen der religiösen Intoleranz kämpft, die Verwendung von Hitler in der Werbung sei ein „widerlicher und bedauernswerter Marketing-Trick“ und eine Beleidigung der Holocaust-Opfer. In einem Brief an den türkischen Botschafter in Washington schrieb ADL-Chef Abraham Foxman, selbst ein Überlebender von Hitlers Völkermord an den Juden, es sei „besonders Besorgnis erregend“, dass der Spot für ein Publikum in der Türkei produziert worden sei – wo die Türkei so so stolz darauf sei, den Juden eine sichere Heimat zu bieten.

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Damit spielte Foxman auf die Aufnahme der spanischen Inquisition verfolgten sephardischen Juden durch das Osmanische Reich im 15. Jahrhundert und das Asyl für jüdische Intellektuelle aus Deutschland während der Nazi-Zeit an. Erst vor kurzem hatte sich die Türkei zusätzlichen Resepekt erworben, als sie von ihrem staatlichen Fernsehender die Holocaust-Dokumentation „Shoah“ ausstrahlen ließ – als erstes muslimisches Land überhaupt. Auf solche Zeichen der Toleranz und Weltoffenheit weisen türkische Politiker oft und gerne hin.

Aber die Türkei ist auch ein Land, in dem offiziell nicht genehmigte Nachdrucke von „Mein Kampf“ zeitweise ganz oben auf den Bestsellerlisten standen. Zudem ist der Anti-Semitismus in der Türkei weit verbreitet, eine Tendenz, die sich durch die seit Jahren andauernde Krise in den politischen Beziehungen mit Israel weiter verstärkt. Viele Türken hängen Verschwörungstheorien an, bei denen Israel als Wurzel allen Übels erscheint. Auch die These, bei den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sei kein einziger Jude ums Leben gekommen, weil der Massenmord in Wahrheit von Amerikanern und Israelis begangen wurde und alle Juden rechtzeitig vom Geheimdienst gewarnt wurden, ist in vielen Teehäusern der Türkei zu hören.

Aus Sicht einiger Beobachter passt es da durchaus ins Bild, dass die sonst bei Einwänden gegen alle möglichen Sendungen sehr eifrige Fernsehaufsichtsbehörde RTÜK zum Thema Hitler-Shampoo schwieg. Erst kürzlich rügte RTÜK eine Kuss-Szene in einer Fernsehserie als Verstoß gegen den notwendigen Schutz von Familienwerten. Zum deutschen Diktator in der Shampoo-Werbung lag dagegen keine RTÜK-Stellungnahme vor. „Findet RTÜK denn nichts dabei, dass Hitler zur Reklame-Figur wird?“ fragte der Leitartikler Ali Sirmen in der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“.

Ob der Hitler-Spot der angepriesenen Shampoo-Marke tatsächlich zum Erfolg verhelfen wird, ist noch offen. Im Internet schrieb ein Kritiker, lieber schütte er sich Säure ins Haar als Biomen. Ein anderer warf der Shampoo-Firma vor, sie sei nur deswegen auf Distanz zu dem Spot gegangen, um ihr US-Geschäft nicht zu gefährden.

Agenturchef Dereci freute sich dennoch zunächst über die Aufmerksamkeit, den der Wirbel um das Werbefilmchen dem Produkt verschafft hat. Wichtig sei doch allein, dass über eine Marke geredet werde, sagte Dereci dem türkischen Internetportal „Marketing Türkiye“. Doch am Dienstag trat er angesichts der wachsenden Welle der Kritik auf die Notbremse. Der Hitler-Spot sei zurückgezogen worden, sagte Derici - „mit Rücksicht auf die Sensibilitäten der jüdischen Gemeinde“.

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