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Soldaten der ukrainischen Streitkräfte (Symbolbild)

© AFP/Anatolii Stepanov

„Die russische Artillerie jagt uns wie Hasen“: Ukrainische Soldaten berichten von fehlender Munition an der Front

Im Osten der Ukraine steigen die Zahlen der verwundeten und getöteten Soldaten. Ihren Kameraden an der Front geht teils offenbar die Munition aus.

Zivilisten aus der Region Donezk sollen sich in Sicherheit bringen, gleichzeitig reist der Strom an Krankenwagen, die in entgegengesetzte Richtung gen Front fahren, nicht ab. Sie bringen verwundete Soldat:innen zur weiteren medizinischen Versorgung in andere Teile der Ukraine, berichtet die britische Zeitung „The Times“.

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Einer von ihnen ist Dima Filin, Kommandant in der ukrainischen Armee, der sich in Kiew von einer Schrapnellverletzung am Kopf erholen soll. Der 47-Jährige beklagt gegenüber der Zeitung fehlende Nachschublieferungen. „Wir kämpfen, wenn wir Granaten haben. Sonst können wir nichts tun“, beschrieb er die Situation an der Front. Vor einem Monat hätte seine Artillerieeinheit noch 150 Granaten täglich abgefeuert. Momentan seien es nur noch zehn Geschosse am Tag – oder gar keine.

„Wir konnten nichts tun. In den letzten vier Tagen haben wir uns nur vor den russischen Drohnen versteckt“, sagte Filin. „Wir wurden von der russischen Artillerie wie Kaninchen gejagt.“

Seit mehr als vier Monaten verteidigt sich die Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg. Versuchten Putins Truppen zu Beginn der Invasion noch Kiew zu erreichen, konzentrieren sich die Kampfhandlungen nun auf den Donbass im Osten des Landes, wo prorussische Separatisten schon seit 2014 große Gebiete besetzen. Nach schweren Kämpfen hat die russische Armee die Region Luhansk vor etwa einer Woche komplett erobert. Die Nationalgardistin Helena Maksyom habe mit ihrer Einheit dort 40 Tage ausgeharrt – bevor sie den Befehl zum Rückzug erhielt, erzählte sie der „Times“.

Ukrainische Einheiten fühlen sich vergessen

„Viele waren verzweifelt. Man hatte das Gefühl, dass man jeden Moment sterben könnte“, zitiert die Zeitung die Soldatin. Auch ihr und ihrer Einheit seien die Waffen ausgegangen. „Wir fühlten uns irgendwie vergessen. Vergessen in diesem Land mit diesem ständigen Beschuss, diesen Bränden und Raketen.“

„Als wir rekrutiert wurden, war unsere Einstellung sehr gut. Wir wussten, wohin wir gingen, und wir waren bereit, uns töten zu lassen", zitiert die Zeitung einen jungen Mann namens Alex, der sich nach Beginn des Angriffskrieges zum Kämpfen entschied. „Aber als uns die Patronen ausgingen, wurden alle sehr deprimiert. Es war schrecklich“, erzählte der Fensterbauer aus Kiew weiter. „Sehen Sie, die Stimmung ist schlecht“, fügte er hinzu. Teilweise hätte auch seine Einheit keine Granaten, um das russische Artilleriefeuer zu erwidern, sagte der junge Mann. „Aber wir werden kämpfen, so lange wir Waffen haben.“

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Seit Beginn der Kämpfe seien 40 Prozent seiner Kamerad:innen gefallen. Einem Freund sei direkt neben ihm ein Bein weggesprengt worden, berichtete Alex der „Times“.

„Wir sehen viele Verletzungen an den Extremitäten, Kopfverletzungen, Augenverletzungen“, zitiert die Zeitung die Allgemeinmedizinerin Ivanna Chobaniuk. Bevor die besonders schwer Verletzten weiter transportiert werden, würden sie in einem Feldlazarett nahe der Front stabilisiert. An manchen Tagen würde ihr Team mehr als 100 Personen behandeln.

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Die Verletzungen würden meist „durch schweren Artilleriebeschuss und Raketenangriffe verursacht, durch all die Granatsplitter. Und auch Drucktraumata von den Explosionen ... leider überleben nicht alle von ihnen“, sagt die 29-jährige Medizinerin der „Times“. Erst kürzlich bezifferte ein Berater von Präsident Wolodymyr Selenskyj die Zahl der täglich getöteten ukrainischen Soldat:innen auf 200. Die genaue Anzahl der toten Kämpfer:innen ist unklar – auch Russland hüllt sich in Schweigen.

„Einige der Soldaten sind so jung, dass sie einfach nur weinen, andere lachen“, erzählte Iryna Zhyrova der Zeitung. „Ein junger Soldat kam hierher, dem ein Arm und ein Bein weggesprengt worden waren, aber er war so glücklich, dass er noch lebte.“ Die 47-Jährige ist Oberschwester in einem Krankenhaus in Kramatorsk – nur etwa 20 Kilometer hinter der Frontlinie. Vor dem Krieg lebten mehr als 150.000 Personen in der ostukrainischen Stadt. Nun ist auch Kramatorsk immer öfter Ziel von Luftangriffen. (Tsp mit Agenturen)

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