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Das Monster. Erst 2002 wurde der Unterwasservulkan Marsili erstmals beobachtet.

© Protezione Civile

Vulkane: Marsili - der Feuerberg unter Wasser

Im Mittelmeer liegt nördlich von Sizilien tief unter Wasser der größte aktive Vulkan Europas. Marsili heißt er. Erst 2002 wurde er erstmals beobachtet. Die Italiener üben jetzt schon mal für die Katastrophe, die irgendwann einmal kommen könnte.

Marsili heißt er. Zweieinhalb Kilometer ragt er in die Höhe; mit 60 mal 30 Kilometern Fläche ist er der größte Vulkan Europas. Eine Million Jahre ist er alt, geologisch also jung und frisch – und er ruht überhaupt nicht. Den Marsili sieht nur keiner, weil seine Spitze etwa 450 Meter unter dem Meeresspiegel liegt, 80 Kilometer nordwestlich der Vulkaninsel Stromboli, mitten in jenem Bogen, den die Spitze des italienischen Stiefels und Sizilien bilden.

Das Interesse am Marsili ist noch gar nicht so alt. Piergiorgio Scarlato vom Italienischen Institut für Geophysik und Vulkanologie (INGV) sagt, aufgewacht seien Experten und Katastrophenschutz erst nach dem 30. Dezember 2002. Damals verursachte ein Erdrutsch am Stromboli einen Tsunami, der mit bis zu zehn Metern Wellenhöhe die Küsten Süditaliens heimsuchte. Diese Wucht, sagt Scarlato, sei mit der äußerlich beobachteten Menge des abgerutschten Materials – fünf Millionen Kubikmeter – nicht zu erklären gewesen: „Da haben wir gemerkt, dass wir unter Wasser nachschauen mussten. Und tatsächlich: An den Stromboli-Flanken da unten ist die vierfache Menge um zweitausend Meter nach unten gesaust.“

Marsili - ein brüchiges System am Meeresgrund

2006 startete die erste von bisher zwei Expeditionen zum Marsili. Das Ergebnis war geologisch faszinierend und beunruhigend zugleich. Der Vulkan, sagt Scarlato, sei ein „sehr zerklüftetes, brüchiges Gebäude“, innen mit einer brodelnden Magmakammer von acht Quadratkilometern Ausmaß und außen mit zahlreichen dampfenden und ausgasenden Explosionsherden an extrem steilen Flanken. Weder ein spontaner Großausbruch des Marsili noch ein rein mechanischer Zusammenbruch – beide mit hohem Tsunami-Risiko – können ausgeschlossen werden. Der Marsili könne auch friedlich bleiben, sagt Scarlato: „Genau wissen wir’s nicht. Wir müssten ihn fortdauernd überwachen. Aber das würde Milliarden kosten, und schon die Kontrolle unserer sieben aktiven Landvulkane verschlingt zu viel Geld.“

Geologisch, sagt Scarlato, sei der Marsili ein ganz eigenes Gebäude. Er gehört nicht zum „Feuerkreis“ des Ätnas und der Liparischen Inseln, aus deren Schloten nach oben dringt, was beim Abtauchen der Afrikanischen Kontinentalplatte unter die Europäische an Schmelzprodukten entsteht. Den Lava-Ablagerungen nach entspricht der Marsili eher dem Zentralatlantischen Rücken: Auch dort drängt Magma aus dem Untergrund die oberflächlichen Erdschollen auseinander; der Meeresboden erweitert sich. Das Tyrrhenische Meer, sagen sie beim INGV, habe dabei zwischendurch sogar einen globalen Geschwindigkeitsrekord von 20 Zentimetern pro Jahr gehalten.

Eine Vielzahl von aktiven Vulkanen schlummert unter dem Meeresspiegel

Doch der Marsili ist nicht die einzige Gefahr aus dem Meer. Italiens Zivilschutz listet mittlerweile mehr als ein Dutzend Unterwasservulkane auf. Doch auch von diesen kennt man außer ihrer Existenz praktisch nichts – und obwohl es genügend andere Erklärungen für die zahlreichen italienischen Erdbeben der letzten beiden Jahre gibt: So ganz kann ein Zusammenhang mit dem feurigen Treiben unter Wasser nicht ausgeschlossen werden.

So fand in den vergangenen Tagen in der Gegend von Salerno und an der Amalfiküste eine große Katastrophenschutzübung statt, um die Bewohner für das Risiko eines Tsunamis zu sensibilisieren sowie Schutz- und Evakuierungsmaßnahmen zu testen. Es ist in Italien die erste Übung dieser Art, die bewusst die Gefahren aufgreift, die von Unterwasservulkanen ausgeht.

Noch näher am Festland als der Marsili liegt der Palinuro, dessen lockere Flanken noch fast 400 Meter höher sind; ein Tsunami würde die schon vom Vesuv bedrohte, dicht besiedelte kampanische Küste in 20 Minuten erreichen. Als erloschen gilt praktisch nur der 1959 von sowjetischen Forschern entdeckte Vavilov. Aber „erloschen“ bedeutet nichts: An seiner Westflanke haben Forscher studieren können, dass in unbekannter Vorzeit 50 Kubikkilometer Gestein auf einen Schlag abgestürzt sein müssen. Mittlerweile sieht man sich die – laut Scarlato – „72 ungewöhnlichen Bewegungen des Mittelmeers in den letzten 2000 Jahren“ auch unter diesem Blickwinkel näher an.

1831 bildeten sich plötzlich neue Inseln

Selbst Erscheinungen, die bisher als Geo-Folklore galten, gewinnen heute eine andere Bedeutung. Im Juli 1831 hatte sich südlich von Sizilien unter gewaltigem Feuerspektakel eine Insel aus dem Meer gehoben. Britische Kriegsschiffe eilten herbei und pflanzten im ersten möglichen Augenblick die Fahne ihrer Besitznahme darauf. Frankreich tat das Gleiche, und auch das „Königreich Beider Sizilien“ unter Ferdinand II. reklamierte das neue Land für sich. Die Insel, die folglich gleich drei Namen trug – Graham Island, Île Julia und Isola Ferdinandea –, krachte aber bereits nach fünf Monaten wieder in sich zusammen.

Heute, das weiß man beim INGV seit den Expeditionen 2006 und 2012, liegt die Spitze der kurzlebigen Erscheinung nur sieben Meter unter dem Meeresspiegel. Ob sie dort bleibt oder in welche Richtung sie sich wieder bewegen könnte, wagen Forscher nicht vorherzusagen. Sie haben nur beobachtet, dass Dampf und Gas aus zahlreichen Öffnungen dringen; sie haben neun Einzelkrater ausfindig gemacht – und sind sich sicher, dass die „Isola Ferdinandea“ und einige heiße Untiefen in ihrer Nähe nur Teil eines großen Unterwasservulkans sind. Diesen haben die Vulkanologen Empedokles genannt– nach jenem antiken griechischen Philosophen und Naturwissenschaftler, der sich vor lauter Forscherdrang in den Ätna gestürzt haben soll.

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