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Protest der Trans-Community gegen eine Konferenz der transkritischen LGB.

© imago images/i Images

Streit um „genderkritische“ Philosophin eskaliert: 9000 Pfund für ein diskriminierungsfreies Seminar?

Eine britische Philosophin verlässt ihre Uni, weil sie sich von trans Aktivisten verfolgt sieht, teilt aber selbst heftig gegen diese aus. Der Fall zeigt, wie erbittert der Streit um Identität geführt wird.

Die Entscheidung einer britischen Philosophin, ihre Universität zu verlassen, schlägt hohe Wellen. Kathleen Stock, seit 2003 an der Uni Sussex, kündigte ihren Job in der vergangenen Woche – nach jahrelangen Auseinandersetzungen über ihre Ansichten rund um das Thema Transgender.

Akuter Auslöser für Stocks Entscheidung waren Proteste gegen sie auf dem Campus der Uni. Auf ihrer Webseite hatte Stock schon vor knapp einem Monat berichtet, sie stehe „im Zentrum einer Kampagne, die explizit das Ziel hat, dass ich gefeuert werde“.

„Absolut schreckliche Zeit für meine Familie“

Fühlte sich von Aktivisten gemobbt und bedroht: Die Philosophin Kathleen Stock.
Fühlte sich von Aktivisten gemobbt und bedroht: Die Philosophin Kathleen Stock.

© Sonali Fernandez

An ihr Unigebäude seien Aufkleber gepinnt worden, auf denen „der transphobe Scheiß, der aus Kathleen Stocks Mund kommt“ thematisiert würde. Am Tag darauf seien Poster auf ihrem Weg zum Campus aufgehängt worden, „die mich diffamierten und meinen Rausschmiss forderten“: „Von da an eskalierte es, jetzt ist die Polizei involviert“.

Es sei eine „absolut schreckliche Zeit für mich und meine Familie“ gewesen, schrieb sie in dem Tweet, in dem sie ihren Rückzug verkündete.

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Für ihre umstrittenen Äußerungen zu trans Menschen ist Stock seit längerem bekannt. Ein Stein des Anstoßes: Immer wieder hat Stock sich dagegen ausgesprochen, trans Menschen mehr Rechte einzuräumen. Geschlechtsidentität dürfe in Sachen von Recht und Politik nicht über dem biologischen Geschlecht stehen. Trans Frauen seien für sie immer noch meistens „Männer mit männlichen Genitalien“, lautet eine ihrer Überzeugungen.

Die Unileitung stärkte Kathleen Stock den Rücken

Im Zuge der aktuellen Proteste hatte die Polizei Stock laut ihren eigenen Aussagen empfohlen, als Schutz bei sich zu Hause eine Kamera zur Videoüberwachung einzubauen. Stock berichtete auch von Todesdrohungen. Von der Uni-Gewerkschaft fühlte sich Stock nicht mehr ausreichend unterstützt, nachdem diese gefordert hatte, Transfeindlichkeit an der Uni Sussex müsse untersucht werde.

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Die Unileitung hatte Stock dagegen wiederholt den Rücken gestärkt – schon als im Oktober ihr Rücktritt gefordert wurde. Damals hatten sich zudem 200 Akademiker*innen für Stock ausgesprochen.

Jetzt teilte die Unileitung mit, sie hätte gehofft, Stock würde weitermachen. „Wir haben immer ihr Recht auf Wissenschaftsfreiheit verteidigt und genauso ihre Meinungsfreiheit, die sie frei von Mobbing und Belästigungen ausüben können muss.“  Die Uni werde Stocks Beiträge vermissen. Die Gleichstellungsbeauftragte der Regierung sagte, sie sei entsetzt über die Entwicklung.

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Wurde die 49-jährige Stock also Opfer eines „antifreiheitlichen Wokistans“, wie die „taz“ in Anspielung auf den Begriff „woke“ (in etwa: gesellschaftspolitisch reflektiert) schreibt? Oder waren die Proteste ganz im Gegenteil legitim – und ebenso ein Ausdruck von Meinungsfreiheit auf dem Campus?

So sehen es die Studierenden. Wenn sie 9000 Pfund Studiengebühren im Jahr zahlen müssten, hätten sie auch das Recht darauf, sich vor transfeindlichen Dozierenden sicher zu fühlen, argumentierte die Gruppe, die hinter den Protesten steht, in einem Interview mit dem „i“.

Studierende fühlen sich marginalisiert

Es sei absurd davon zu sprechen, sie hätten einen machtvollen politischen Einfluss: „Wir werden in den meisten britischen Einrichtungen diskriminiert und marginalisiert, auch in Medien und an Hochschulen.“ Bezeichnend sei, dass sich der Unipräsident kein einziges Mal dazu geäußert habe, wie es trans Studierenden in der ganzen Sache ergehe. Dass sie zu gewalttätigen Protestformen gegriffen hätten, stritten sie ab.

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So sehr sich die Geister über den Fall scheiden - klar ist: Er hat eine Vorgeschichte. Lange befasste sich Kathleen Stock gar nicht mit Genderthemen. Sie forschte zu Fiktion und Imagination und vertrat dabei die Idee, dass der fiktionale Inhalt eines bestimmten Werks genau dem entspricht, was sich der Autor des Werks für den Leser vorstellen wollte.

Das ändert sich prominent im Jahr 2018. Damals veröffentlichte Stock einen langen Text (Vollversion hier), in dem sie große Teile ihres Faches angriff, das sich in ihren Augen nicht genug mit möglichen Erleichterungen beim britischen „Gender Recognition Act“ befasse – also damit, dass trans Personen beim Personenstand ihr Geschlecht unbürokratischer ändern könnten.

Stock nennt ihren Ansatz „gendercritical“

In ihrem Aufsatz enthalten waren zentrale Thesen, die sie seitdem immer wieder vertritt. Skrupellose Männer würden sich Erleichterungen bei der Personenstandsänderung zunutze machen, um in Frauenräumen Sexualstraftaten zu begehen, schrieb Stock sinngemäß. Trans Frauen würden dann auch in der Politik andere Frauen verdrängen und eine dominierende Rolle übernehmen. Thesen, die man inzwischen in Deutschland ebenfalls immer öfter vernimmt – die allerdings mit der Realität nicht viel zu tun haben.

Trans Frauen würden in ihren Augen auf keinen Fall als Frauen gelten, fasste Stock zusammen (trans Männer lässt sie in ihren Äußerungen meistens außen vor). Dass sich so wenige in der Philosophie mit diesem Thema beschäftigten, hätte mit der Angst vor möglichen Konsequenzen vor allem in den sozialen Medien zu tun: Auch das ein wiederkehrendes Motiv bei Stock.

Protest gegen die OBE-Verleihung für sie

Für ihren Ansatz prägte sie den Begriff „gendercritical“, also „genderkritisch“, der seitdem eine zentrale Rolle in Großbritannien spielt. Kritiker dieses Begriffs wiederum sagen, dieser solle eben die Transfeindlichkeit des Stockschen Argumentationen verschleiern. In der Wissenschaft ist Stock keinesfalls unumstritten. Mehr als 600 Philosoph*innen aus aller Welt protestierten, als sie 2020 den Orden des British Empire erhielt: „Wir sind geschockt, dass ausgerechnet Stocks gefährliche Rhetorik so gewürdigt wird.“

Harry-Potter-Autorin JK Rowling gehört zu mehreren prominenten Autorinnen und Feministinnen, die sich wiederholt transfeindlich geäußert haben - auch wenn sie sich selber nicht als transfeindlich verstehen.
Harry-Potter-Autorin JK Rowling gehört zu mehreren prominenten Autorinnen und Feministinnen, die sich wiederholt transfeindlich geäußert haben - auch wenn sie sich selber nicht als transfeindlich verstehen.

© Angela Weiss/AFP

Für die Einordnung des Falls ist wichtig zu wissen, dass im angelsächsischen Raum der Ton bei trans Themen noch einmal deutlich schärfer und unerbittlicher als in Deutschland ist – und zwar auf allen Seiten.

Die Rolle von Greer, Bindel, Rowling

Feministinnen und Autorinnen wie Germaine Greer, Julie Bindel oder Joanne K. Rowling haben sich wiederholt transfeindlich geäußert. Transfeindlichkeit sei im intellektuellen Diskurs in Großbritannien Mainstream geworden, schrieb das US-Magazin „Slate“ anlässlich der Debatte um Rowling. Ebenso heftig wehren sich oft trans Aktivist*innen, gerade gegen die genannten prominenten Feministinnen.

Stock ist dabei eine der wichtigsten Stimmen auf Seiten der Anti-Trans-Aktivist*innen. Das Wort „Aktivistin“ kann man in ihrem Fall durchaus wörtlich nehmen, denn sie engagiert sich für die in Großbritannien ziemlich wirkmächtigen Gruppe „LGB Alliance“. „LGB“ steht dabei für Lesbians, Gays, Bisexuals. Das T für Transgender fehlt dagegen bewusst: Das Recht von Lesben, Schwulen und Bisexuellen, sich zum gleichen Geschlecht hingezogen zu fühlen, werde gefährdet, wenn es zu „Konfusionen" zwischen biologischen Geschlecht und Geschlechtsidentität komme, behauptet die Gruppe.

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Auf Twitter jedenfalls beschäftigt sich Stock inzwischen nahezu obsessiv mit ihrer Genderkritik, feuert einen Tweet nach dem nächsten dazu ab. So macht sie sich lustig über Kolleg*innen, die das geschlechtsneutrale Pronomen „they“ benutzen und unterstellt ihnen, sie wollten damit ihre Karriere befördern. Sie teilte dort auch Beiträge mehrerer Gruppen, die man dezidiert als transfeindlich bezeichnen kann.

Andererseits hat Stock auch immer wieder die Anfeindungen öffentlich gemacht, denen sie selber oder andere ausgesetzt sind – etwa Fake Accounts unter ihrem Namen, die Unwahrheiten verbreiten, oder anonyme Zeugnisse von Kolleg*innen, die angeblich von trans Aktivisten unter Druck gesetzt werden.

Sie selbst hat immer abgestritten, transfeindlich zu sein. Sie sei froh, dass sie die Uni jetzt hinter sich lassen könne, beendete sie ihren Tweet, in dem sie ihren Rückzug erklärte.
Mitarbeit: Inga Hofmann, Christopher Ferner

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