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Der Rapper Michael Quattlebaum alias Mykki Blanco.

©  !K7

Erstes Album von Mykki Blanco: Hinterm Hype geht’s weiter

Queering Hip-Hop: der US-amerikanische Rapper Mykki Blanco und sein Debütalbum „Mykki“.

Normalerweise laufen Hip-Hop-Karrieren so: Demos oder ein Mixtape führen zu Gemurmel im Untergrund, Gastauftritte bei bekannten Genre-Kollegen zum Hype, das erste Album zu einer Karriere. Das kann ein paar Jahre dauern, aber zwischen dem ersten Auftritt auf großer Bühne und Debütalbum sollten nicht mehr als 18 Monate liegen, sonst wird man vergessen.

Bei Mykki Blanco läuft es anders. Der Durchbruch mit der Single „Wavvy“ liegt inzwischen vier Jahre zurück, das erste Album „Mykki“ kommt erst jetzt. Dazwischen liegen Konzerte mit Björk, große Interviews in der Fachpresse und in der „New York Times“ sowie die Erfindung eines neuen Genres: Queer Rap.

Beim Gespräch in Berlin zieht Blanco eine Zwischenbilanz: „Vor fünf Jahren wussten viele einfach nicht, was sie mit mir anfangen sollen. Für meine Musik gab es kaum kulturellen Kontext, erst recht nicht im Hip-Hop.“ Ein schwuler Performer im Minirock, der eine Langhaarperücke trägt und sich mit „sie“ ansprechen lässt, war in der Branche eine äußerst irritierende Erscheinung.

Hinter Mykki Blanco dem Kunstprodukt steht Michael Quattlebaum, geboren in Kalifornien, aufgewachsen in North Dakota. Zunächst war er in der Performance-Kunst aktiv. Schon sein erstes Stück „Paperdoll Psychology“, geschrieben als Schüler, gibt die Richtung vor: Quattlebaum liest sich durch Webseiten über Öko-Feminismus und Anarchosyndikalismus und vermischt alles im Tagebuch einer fiktiven 15-Jährigen, die sich umbringt, als sie die Grausamkeit des Patriarchats erkennt.

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Damals war Quattlebaum selbst 15, inzwischen ist er 30. Die ästhetische Strategie hat sich aber nicht geändert: Bis heute verbindet Blanco das Zerebrale und Abstrakte mit Bauchgefühl und Körperlichkeit. Die Single „The Plug Won’t“ dreht eine vermeintliche Partyhymne in eine dekadente und tieftraurige Selbstzerfleischung über Liebe, Sex und Masturbation. Über das darin propagierte Verhältnis zwischen Körper, Identität und Raum könnte man ganze Hausarbeiten schreiben, aber Blancos Musik verliert sich selten in Referenzen und Kunstgehabe.

Viel Zeit hat Mykki Blanco, der derzeit lieber wieder als „er“ angesprochen werden möchte, damit verbracht, Erwartungen zu untergraben. Vor vier Jahren standen Blanco, Le1F und Zebra Katz an der Spitze eines neuen Genres, dem Musikmagazine den Namen „queer rap“ gaben. Blanco wehrte sich lange gegen diese Schublade, hat aber inzwischen Frieden geschlossen damit. „Jemanden einen queeren Rapper zu nennen, ist doch eigentlich total homophob. Wieso nicht einfach nur Rapper?“ Heute habe er damit kein Problem mehr. Auch weil Leute sich dadurch gestärkt fühlten.

Ihm ist wichtig, Geld außerhalb sexistischer Strukturen zu verdienen

Das Genre scheint inzwischen im großen Pop-Meer aufgegangen zu sein, und Blanco wertet es als Erfolgsgeschichte. „Wir können heute von einer richtigen Transgenderbewegung sprechen – allein das hätte sich vor fünf Jahren schon merkwürdig angefühlt. Aber noch viel wichtiger: Ich und die anderen haben nicht einfach nur ein neues Genre geschaffen, sondern eine neue Zielgruppe erfunden – und damit eine neue Einnahmequelle.“

Blanco denkt viel über Geld nach, schließlich ist er Rapper. Aber ihm geht es nicht um Luxus und teure Jacken. „Reichtum bedeutet sozialer Aufstieg und politischer Einfluss. Das sind zwei Dinge, die die queere Community braucht. Zu viele haben buchstäblich kein Geld und müssen dann auf Sexarbeit ausweichen.“ Es sei wichtig, queere Geschäfte zu unterstützen und Geld außerhalb sexistischer Strukturen zu verdienen.

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Gedanken wie diese teilt er auf Facebook und Twitter mit seinen Fans. Der Eintrag mit der größten Reichweite war einer aus dem Juni 2015, in dem Blanco öffentlich machte, HIV-positiv zu sein. Mit diesem Coming-out begann ein wichtiger Dialog. Denn selbst 20 Jahre nachdem der legendäre N.W.A.-Rapper Eazy-E an den Folgen seiner HIV-Infektion starb, ist AIDS in der Hip-Hop-Community ein noch kontroverseres Thema als Homosexualität. Allerdings sieht sich Blanco jetzt in einer weiteren Schublade eingesperrt. „You Don’t Know Me“ auf „Mykki“ ist seine wütende Ballade, die er an alle richtet, die glauben, ihn definieren zu können.

Mykki Blanco hat eine genaue Vorstellung davon, wie seine Karriere aussehen soll, und dabei orientiert er sich an den Größten des Pop: Bowie, Prince, Missy Elliott. Dazu gehört auch, dass er keine Angst davor hat, dass andere ihn imitieren: „Ich will keine Namen nennen, aber es gibt jetzt schon Mainstream-Künstler, die sich bei mir bedient haben. Aber wenn du kreativ und authentisch bist, dann brauchst du dich darum nicht zu sorgen. Ich hatte bisher noch keine Idee, die mir so heilig war, dass ich das Gefühle habe, dass keine bessere folgen könnte.“

"Mir haben meine jüdischen Wurzeln immer gefallen"

Aber auch der kreativste Künstler braucht Kapital für seine Kunst. Nach Jahren als Talent ohne Plattenvertrag, ist Blanco jetzt beim Berliner Label !K7 Records untergekommen. Wieso erst jetzt? „Ich war ja nicht independent, weil ich im Untergrund bleiben wollte!“ Es habe sogar Gespräche mit XL Recordings gegeben, dem Londoner Label, das Radiohead unter Vertag hat und Adeles ersten Alben veröffentlichte. „Aber alle haben gesagt, dass ich zu sehr ich sei.“

„Ich sein“, das heißt in diesem Fall ein queerer schwarzer Rapper mit jüdischen Wurzeln zu sein, der in einem Büro auf einem ehemaligen Krematoriumsgelände sitzt. Ausgerechnet in Berlin. Das grenzt tatsächlich an ein kleines Wunder. „Wenn ich hier bin, denke ich eigentlich nie an den Holocaust. In Polen ist das schon anders, da war ich echt schockiert, Flyer für Touren nach Auschwitz zu sehen. Aber mir haben meine jüdischen Wurzeln immer gefallen. Meine Freunde waren überrascht, wenn ich erzählt habe, dass ich Pessach feiere. Das war einfach mein cooles kleines Geheimnis.“

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Ein cooles kleines Geheimnis, das war Mykki Blanco auch mal. Das Album, das den Durchbruch bringen soll, ist leider nicht das große Statement, auf das seine Fans gewartet haben. Trotz des technisch hohen Niveaus ist es etwas gleichförmig – musikalisch wie emotional. Das ist vor allem deshalb erstaunlich und enttäuschend, weil Blancos Kunst eigentlich darin besteht, scheinbare Gegensätze zu verbinden. Aber wer weiß: Vielleicht folgt ja auf ein schwaches Debüt ein starkes zweites Album. Damit hätte Blanco tatsächlich eine der größten Regeln der Musikindustrie gebrochen.

„Mykki“ erscheint am 16.9. bei !K7/Dogfood, Konzert: Gretchen, 4.11.

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Fabian Wolff

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