
© Magnus Hirschfeld Gesellschaft
Magnus Hirschfeld, „Trans-Kult“ und die neue Rechte: Wie sind Antisemitismus und Queerfeindlichkeit miteinander verbunden?
Immer wieder werden LGBTIQ- und judenfeindliche Narrative kombiniert. Die ideologischen Brücken bestehen schon seit dem 19. Jahrhundert, erklärt Expertin Veronika Kracher im Interview.
Stand:
Veronika Kracher, immer wieder werden in rechten Diskursen queerfeindliche und antisemitische Narrative kombiniert. In welchem Verhältnis stehen Queerfeindlichkeit und Antisemitismus zueinander?
Sie sind historisch und ideologisch eng miteinander verbunden. Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Deutschland die Entwicklung vom traditionellen religiös begründeten Anti-Judaismus hin zum rassisch motivierten Antisemitismus, der Jüdisch-Sein auch eingeschrieben in dem Leib verortete.
Das hing gleichzeitig mit einer Konstruktion von deutscher Geschlechtlichkeit zusammen. Ganz deutlich dafür ist das Buch „Charakter und Geschlecht“ von Otto Weininger von 1903. Darin stellt Weininger dem idealen deutschen Mann, der sowohl charakterlich als auch körperlich stark und diszipliniert sei, das Jüdische sowie das Weibliche gegenüber.
Queerness wurde also mit dem Jüdisch-Sein assoziiert?
Es gab einerseits das Narrativ der weiblichen Jüdin als das intellektuelle, feministische „Flintenweib“. Sie wurde häufig maskulinisert. Hinzu kam das im deutschen Kaiserreich ständig stärker werdende Narrativ von der soldatisch-deutschen Männlichkeit und der effeminierten, jüdischen Männlichkeit. In dem Kontext kann ich gleich noch mal etwa zu Magnus Hirschfeld sagen.
Gerne!
Hirschfeld, ein sozialistischer und jüdischer Homosesexuellenrechtler, hatte in Berlin das Institut für Sexualwissenschaften gegründet. Dort wurden die ersten geschlechtsangleichenden Maßnahmen für trans Personen durchgeführt.
Mit diesem Institut sorgten er und seine Kolleg*innen dafür, dass queere Menschen eine Community fanden. Das war den reaktionären Kräften natürlich ein großer Dorn im Auge. Die Nazis haben seine Vorträge gestört. Schließlich kam das Narrativ auf, die Jüdinnen*Juden hätten den Feminismus und die Homosexualität erfunden, um die deutsche Rasse zu „zersetzen”.
Auch von Autor*innen der sogenannten neuen Rechten wird Magnus Hirschfeld als Ursprung der vermeintlichen „Transideologie“ bezeichnet.
Ja, dieses „Es wird von oben gesteuert, dass dein Kind non-binary wird“ ist eigentlich eine verklausulierte Neuauflage der offen antisemitischen Behauptung von „Der sozialistische Jude Magnus Hirschfeld betreibt homosexuelle Propaganda, um den deutschen Mann zu verschwulen“.

© pa/akg-images
Wie zeigen sich diese ideologischen Brücken heute?
Antisemitismus und queerfeindliche Narrative lassen sich nicht gleichsetzen. Aber es ist faszinierend, wie viele Parallelen wir sehen: dass es eine kleine Minderheit gebe, die die gesellschaftliche Mehrheit manipuliert, um ihre als verwerflich gebrandmarkten Interessen durchzusetzen. Es ist ein zentraler Aspekt des Antisemitismus, dass Jüdinnen*Juden zwar als schwach, gleichzeitig als übermächtig dargestellt werden, um zu vermitteln: „Es ist nicht richtig, dass dich der Jude beherrscht. Das liegt nur daran, dass wir in einer durch die Moderne ‚degenerierten’ Gesellschaft leben.“
In queerfeindlichen Narrativen gibt es die kleine Minderheit, die „Translobby“, die Social Media nutzt und bei Netflix und an Universitäten sitzt, um unsere Kinder in die Transgeschlechtlichkeit zu indoktrinieren und somit eine vermeintlich natürliche Geschlechterordnung, in der es nur „Mann“ und „Frau“ gibt und das bei Geburt festgelegte Geschlecht für immer so bleiben muss, zu hinterfragen oder gar zu überwinden.
Und anstatt sich darüber zu freuen, dass sich die Situation für queere Kinder und Erwachsene verbessert, wird dies als Bedrohung empfunden! Die Realität ist aber leider: Queere Menschen, insbesondre trans und inter Personen, sind gesellschaftlich immer noch unglaublich vulnerabel und marginalisiert. Sie werden nur zu dieser mächtigen Minderheit stilisiert, damit man sich als Underdog fühlen kann, wenn man sie angreift.
Narrative, die sich im Antisemitismus bewährt haben, werden im Kulturkampf auf die queere Community angepasst.
Veronika Kracher
Auch die AfD schreibt in ihrem Wahlprogramm, von Frühsexualisierung, von einem „Trans-Kult“ und „Genderideologie“, die Kinder und Jugendliche manipulierten und in der „Verstümmelung“ junger Menschen enden würden.
Während meiner Recherche zu dem Thema bin ich auf ein Video eines österreichischen verschwörungsideologischen Senders gestoßen, in dem gesagt wurde, der jüdische Investor George Soros sei persönlich verantwortlich für den „Trans-Kult“ in den USA. Die Narrative, die sich im Antisemitismus bewährt haben, werden im Kulturkampf auf die queere Community angepasst. Eben, weil im Antisemitismus der Fokus auf Körper- und Geschlechtlichkeit eine große Rolle spielt.
Die „Anti-Defamation League“, eine NGO aus den USA, warnte vor zwei Jahren vor einer Konvergenz von Queerfeindlichkeit und Antisemitismus. Lässt sich das in jüngerer Vergangenheit verstärkt beobachten?
Ja. Das liegt zum einen daran, dass Rassismus, Misogynie, Antisemitismus, Queerfeindlichkeit auch immer reaktionäre Ideologien sind, die aufkommen, wenn sich marginalisierte Menschen emanzipieren. Und dann spielt natürlich der rechte Kulturkrieg eine Rolle, der einen Faschisten ins Weiße Haus gebracht hat, mit dem reaktionäre Kräfte weltweit operieren und der bis in die bürgerliche Mitte hineingreift.
Welche Rolle spielt das Verschwörungsdenken bei der Mobilisierung junger rechtsextremer Männern?
Die Frage würde ich auf zwei Ebenen beantworten. Antifeminismus und Queerfeindlichkeit fungieren immer als Tür zur radikalen und extremen Rechten. Dabei operieren sie mit Begriffen wie dem „Kulturmarxismus“. Die rechte Chiffre beschreibt im Großen und Ganzen, den vermeintlichen Einfluss der Frankfurter Schule, also jüdischer Kommunisten, auf den kulturellen und intellektuellen Bereich. Die hätten an den Unis und in Hollywood ihre „zersetzenden“ marxistischen Gedanken verbreitet.
Dieser „Kulturmarxismus“ führe durch progressive Ideen von Feminismus und Queerness dazu, dass Frauen keine Kinder mehr bekämen und Männer verweichlichten. Gleichzeitig, so diese Erzählung, würden „jüdische Eliten“ ihre Macht nutzen, um Geflüchtete nach Europa und in die USA zu leiten, was dann zum Anstieg „nicht-weißer“ Geburtenraten führe. Somit trägt „der Jude“ Schuld am „großen Austausch“. Auf dieses Narrativ haben sich zum Beispiel auch die Terroristen von Christchurch oder Halle bezogen.
Und die zweite Ebene?
Das ist der Appell faschistischer Kräfte an den heterosexuellen weißen cis Mann, sich seine geraubte faschistische Männlichkeit zurückzuerobern. Gegen einen Feminismus, der an der Verweichlichung schuld sei, oder auch Schuld trage, wenn man keine Freundin findet. Dieses Männlichkeitsideal wird so zum Heils- und Erlösungsversprechen.
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