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Fotografie aus Vic Bakins Serie „To Be Who We Want To Be“.

© Vic Bakin

Ausstellung im Schwulen Museum: Queere ukrainische Kunst und ihr Kampf um Sichtbarkeit

In „A Heart That Beats“ versammelt das Schwule Museum Berlin Fotografien, Installationen, Zeichnungen und Videos von queeren Künstler*innen aus der Ukraine. Ein Rundgang.

Stand:

Es überrascht ein wenig, dass queere Kunst aus der Ukraine erst jetzt in den Fokus des Schwulen Museums gerückt ist. Denn die Idee für eine solche Ausstellung schien schon vor drei Jahren in der Luft zu liegen, als die Solidaritätswelle mit dem angegriffenen Land besonders hoch war.

Doch besser spät als nie: In einem der Säle des Museums werden Queer-Künstler*innen gezeigt, die multimedial arbeiten – mit Installationen, Videodokumentationen, Zeichnungen und Fotografien. Die Ausstellung lässt sich jedoch kaum als umfassend bezeichnet – es sind weniger als zwei Dutzend Exponate.

Dafür gibt es viele Infostände, was durchaus reicht für einen Einblick in die Geschichte der ukrainischen Queer-Community – angefangen von ihrer Verfolgung während der Sowjetzeit bis hin zu den aktuellen Bestrebungen, während des Krieges sichtbar zu bleiben.

Wobei Letzteres für Queer-Aktivisten*innen und -Künstler*innen in der Tat eine große Herausforderung ist. Denn eine der Grundeinstellungen der ukrainischen Gesellschaft lautet derzeit: „Krieg ist nicht die richtige Zeit, um individuelle Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen!“

Screenshot aus „Sex, Medicated, Rock’n’Roll“ von Anatoly Belov aus dem Jahr 2013.

© Anatoly Belov

Allerdings hat der Krieg deutliche Spuren in der Darstellung von Queerness hinterlassen. „Jetzt dominieren die Auseinandersetzung mit Traumata und historischer Erinnerung. Wie übrigens in der ukrainischen Kunst überhaupt“, sagt Kurator*in Maria Vtorushyna bei einem Rundgang durch die Ausstellung „A Heart that Beats“, deren zweiter Kurator Anton Shebetko ist.

Ein anschauliches Beispiel dafür ist das Artbook des Fotografen Vic Bakin. Inmitten düsterer Kriegslandschaften tauchen schöne männliche Körper auf. Von Bakins charakteristischem glamourösen Stil ist in diesen Bildern nichts mehr zu sehen.

Das Schaffen ukrainischer Queer-Künstler*innen wies verglichen mit westeuropäischen Kolleg*innen allerdings schon vor dem Krieg deutlich weniger visuelle Kühnheit auf. Denn nur wenige wagten es, sich auffällig und lautstark zu äußern. Auch weil die Künstler*innen ganz andere Bedürfnisse hatten – sich zu profilieren, ihre Identität zu manifestieren, einfach aus dem Schatten zu treten.

Beispielsweise zeigt das Fotoprojekt von Yevgenia Bilorusets aus dem Jahr 2011 schwule, lesbische und transgeschlechtliche Paare aus verschiedenen ukrainischen Städten. Sie dokumentierte einfach ihren Alltag vor dem Hintergrund düsterer postsowjetischer Innenräume.

„In Berlin stößt diese Fotoserie bei einigen Besucher*innen auf Unverständnis, bis sie den Begleittext lesen. Dann erfahren sie, dass ukrainische Queers im Jahr 2011 oft verfolgt wurden – insbesondere in kleinen Städten“, erklärt Maria Vtorushyna. Das heißt, sie konnten ihre Identität außerhalb ihrer tristen Wohnungen kaum zeigen.

Alina Kleytmans „Bioinstallation_Prosthesis“ aus Kunststoff und Metall von 2023.

© Yasmin Künze

Die Ausstellung ist in drei Kapitel unterteilt, die verschiedene Perioden in der Geschichte der ukrainischen Queer-Community widerspiegeln. Als Queer-Ikone der Sowjetzeit lässt sich zweifellos der ukrainische Regisseur Sergei Parajanov bezeichnen.

Nachdem der Filmemacher armenischer Herkunft beim Regime in Ungnade gefallen war, wurde er 1974 aufgrund einer fingierten Anklage wegen „Sodomie unter Anwendung von Gewalt” inhaftiert. Parajanov selbst hat seine Homosexualität nie verheimlicht, die Anklage vor Gericht jedoch nicht anerkannt. Der Regisseur wurde mit Filmen „Die Farbe des Granatapfels“ (1969) oder „Kerib, der Spielmann“ (1988) weltbekannt, doch in der Ukraine sind nur wenige mit seinem künstlerischen Schaffen vertraut.

Im Gefängnis begann er, Collagen zu erstellen – buchstäblich aus allem, was ihm in die Hände fiel. Im Schwulen Museum ist eine seiner Papierarbeiten aus einer Privatsammlung zu sehen, die der in den Achtziger Jahren unter dem Titel „Orpheus“ schuf.

Mehr Freiheit nach den Maidan-Protesten

Der dritte Teil der Ausstellung beginnt mit dem Jahr 2014. Dies ist jedoch nicht nur ein Verweis auf den Beginn der russischen Invasion in der Ukraine. Laut Maria Vtorushyna war dieses Jahr paradoxerweise auch der Beginn einer neuen Phase für die ukrainische Queer-Community.

Gerade nach dem Kyjiwer Maidan erhielten queere Künstler*innen endlich die Chance, wirklich sichtbar zu werden. Es entstanden neue soziale Bewegungen, darunter eine Initiative für die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Zudem erhielten LGBTIQ-Künstler*innen nun mehr Förderungen.

„Man hat das Gefühl, dass ein großer Teil der Gesellschaft bereits erkannt hat, dass die Rechte queerer Menschen zu den grundlegenden europäischen Werten gehören“, sagt Vtorushyna. Auch wenn die Kyjiwer Pride immer noch Empörung bei ukrainischen Rechtsradikalen hervorrufe. Die ukrainische Queer-Kunst hat sich behauptet – trotz Diskriminierung und Isolation. Und jetzt wird sie immer sichtbarer.

Gerade ihre Lebendigkeit wollten die Kurator*innen hervorheben. Auch wenn der Krieg die ausgestellten Künstler*innen in alle Welt verstreut hat und die rauschenden Partys in der Krimstadt Simejis – einem Queer-Mekka im postsowjetischen Raum – nur noch eine Erinnerung sind.

Eines der Werke ist dem Thema Verlust gewidmet: die Dokumentation „Simeis“ von Anton Shebetko, in der Fotos von Simejis und ein Interview mit der Art Directorin des legendären dortigen Gay-Cafés „Jizhaky“ verbunden werden. An dessen einstigen Standort hat inzwischen eine unscheinbare Imbissbude eröffnet.

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