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Wenn Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen, trifft das nicht nur bei der Öffentlichkeit, sondern auch bei den Mitarbeitenden auf Kritik.

© Ottmar Winter PNN

So gelingt gute Diversity-Arbeit: Eine Fahne macht noch keinen Sommer

Symbole sind wichtig. Aber für eine nachhaltige und glaubwürdige Diversity-Arbeit ist mehr gefordert, damit sich alle Mitarbeitenden wohl und sicher fühlen.

Regenbogenfahnen allerorten! Im Juli, im Pride Monat, zeigen auch in Berlin viele Einrichtungen, dass sie zu queeren Menschen stehen. Vor Unternehmensgebäuden wehen die bunten Flaggen, vor öffentlichen Institutionen ebenfalls. Zum Höhepunkt am Christopher Street Day ziehen auch viele Firmen mit Trucks auf die Parade. Verbunden mit großen Worten, wie wichtig der Einsatz für Vielfalt und marginalisierte Gruppen gerade in Zeiten wie diesen ist.

Jetzt, im November, sieht das meistens ganz anders aus. Sichtbare Solidarität mit queeren Menschen ist von Betrieben und Behörden öffentlich eher weniger wahrzunehmen.

Was zu der Frage führt: Wie sieht glaubwürdige Diversity-Arbeit aus, die mehr ist als nur symbolisch Flagge zeigen und die das ganze Jahr über Wirkung zeigt? Und zwar nicht nur beim Thema queere Arbeitskräfte, sondern auch in Bezug auf andere Vielfaltsaspekte. Wie werden Akzeptanz und Antidiskriminierung in Unternehmen nachhaltig gelebt? Gibt es Vorzeigestrategien, die als vorbildhaft gelten können?

Gar nicht so einfach, sagt Jo Labecka, tätig bei der Prout at Work-Foundation und dort zuständig für das Strategy- und Relationship Management. Diversity werde oft als riesengroßes Thema gesehen, das alle Bereiche überspannt. Das wirke aber erstmal eher überfordernd, sagt Labecka: „Manchmal wissen die Verantwortlichen nicht, worauf sie sich konzentrieren sollen, weil sie den Eindruck haben, alle Dimensionen müssten direkt mit einer Vielfalt von Maßnahmen abgedeckt werden.“

Gezielte Diversity-Arbeit funktioniere anders: Diese erkenne vielmehr als allererstes an, dass es die eine Lösung für Firmen gar nicht gibt. Jedes Unternehmen brauche eine eigene, für sich passende Strategie, die genau die relevanten Probleme im Betrieb angeht.

Manchmal wissen die Verantwortlichen nicht, worauf sie sich konzentrieren sollen.

Jo Labecka, Prout at Work-Foundation

Gute Diversity-Arbeit beginne daher damit, dass ein Unternehmen „ehrlich den Status Quo analysiert“, sagt Labecka. Fehlen etwa Fachkräfte im Unternehmen, und wenn ja auf welcher Ebene? Wie sind die verschiedenen Bereiche zusammengesetzt, wo ist mehr Vielfalt nötig und warum? Oder gibt es etwa Kommunikationsdefizite, fühlen sich bestimmte Gruppen nicht wertgeschätzt?

Das gilt natürlich auch für alle anderen Vielfaltsdimensionen. Start-ups können etwa sehr viel gemischter sein, was die Herkunft von Mitarbeitern angeht – dafür aber bei der Vertretung von Frauen schlecht abschneiden. Anderswo ist es genau andersherum. Sogar je nach Abteilung könnten unterschiedliche Maßnahmen nötig sein.

Je nach Abteilung können ganz unterschiedliche Diversity-Maßnahmen nötig sein.
Je nach Abteilung können ganz unterschiedliche Diversity-Maßnahmen nötig sein.

© PantherMedia / Niall Wiggan

Mit über hundert Unternehmen spricht Labecka im Jahr. Der Rat an Firmen, die die Expertise von Prout At Work anfragen: Erst einmal die Mitarbeiter:innen befragen, was die Bedürfnisse sind. Prout At Work bietet auf der Webseite ein Tool an, mit dem sich Unternehmen einschätzen können, wie sie beim Thema LGBTIQ in den unterschiedlichen Bereichen aufgestellt sind. „Wir müssen herausfinden, welche Lücken konkret geschlossen werden sollen.“

Vielfaltsarbeit in Unternehmen ist wichtig

Klar ist: Vielfaltsarbeit in Unternehmen ist wichtig, insbesondere wenn wie in Deutschland Fachkräfte immer knapper werden. Warum sollten sich Arbeitnehmer:innen auf Firmen einlassen, bei denen sie sich latent diskriminiert fühlen – oder sie zumindest das Gefühl haben, dass sie Teile ihrer Persönlichkeit verstecken müssen?

Für neue Mitarbeiter:innen kann sich das durchaus schnell entscheiden, als wie akzeptierend sie ihr Unternehmen wahrnehmen. Die Boston Consulting Group fand in einer Umfrage unter mehreren tausend queeren Arbeitskräften weltweit unlängst heraus, dass diese entweder in ihrem ersten Betriebsjahr ihr Coming Out in der Firma haben – oder gar nicht. Letzteres dann oft mit der Konsequenz, dass sie ihre Stelle relativ bald wieder kündigen.

Wenn es innerhalb von einem Jahr nicht möglich ist, ein gewisses Maß an Belonging zu schaffen, gehen Arbeitskräfte wieder.

Stephan Schmuck,  ESCP Business School

„Wenn es innerhalb von einem Jahr nicht möglich ist, ein gewisses Maß an Belonging zu schaffen, gehen sie wieder“, folgert Stephan Schmuck. Er leitet an der Berliner ESCP Business School als Direktor ein LGBT+ Leadership-Programm. Das richtet sich an queere Führungskräfte selbst – und beschäftigt sich auch mit der Frage, wie ein wertschätzender Arbeitsplatz aussieht.

Eine Voraussetzung nennt Schmuck: Die Werte eines Unternehmens, seine Unternehmenskultur, müssten auf jeden Fall sichtbar für alle irgendwo festgehalten sein. Gleiches gelte für die Praktiken, die ein gewisses Maß an Gleichberechtigung schaffen sollen. Nicht nur müssten Führungskräfte diese vorleben, indem sie etwa klarmachen, dass sie keine Form von Diskriminierung akzeptieren.

Nach innen und außen sollten Unternehmen kommunizieren, dass ihnen Vielfalt wichtig ist: „Wir nehmen jeden gleichermaßen wahr und behandeln jeden gleich.“

Schmuck empfiehlt Anlaufstellen für die einzelnen Mitarbeitenden, wo diese – gegebenenfalls anonym – Bedenken äußern können, falls es doch Zwischenfälle gibt. „Da muss dann reagiert werden, das darf nicht im Niemandsland verschwinden.“ Seine Hochschule etwa hat einen „Health and Wellbeing Officer“ eingerichtet, die Person kümmert sich auch darum, wenn es Konflikte gibt.

Ein Programm für LGBT+-Führungskräfte

Dass vielen Firmen diese Themen wichtig sind, beobachten Schmuck und Labecka gleichermaßen. Es gebe eigentlich kein Unternehmen, das glaube, bereits alles richtig zu machen, sagt Labecka. Meistens gehe es „Schritt für Schritt“ voran, findet Schmuck. Er wertet es als positives Zeichen, dass Führungskräfte von ihrem Arbeitgeber auch gezielt ermutigt werden, an dem ESCP-Programm für LGBT+-Führungskräfte teilzunehmen.

In diesem Programm erörtert Schmuck mit den Teilnehmer:innen, was für sie an der Rolle als offen queere Führungskraft herausfordernder ist – aber auch, welches Potenzial das für sie und ihr Unternehmen darstellen kann. Offen queere Vorgesetzte würden oft anders wahrgenommen, insbesondere als ihre männlichen heterosexuellen Kollegen, sagt Schmuck.

Gerade ihr eigenes Coming Out ermögliche ihnen aber oft ganz andere Perspektiven, wie man sich authentisch und empathisch mit anderen Menschen verständigt. „Das ist eine moderne, wichtige Führungseigenschaft“, sagt Schmuck.

Und was sollten Firmen vermeiden? „Der größte Fehler wäre, sich einfach Maßnahmen ausschließlich aus der Marketing-Perspektive auszudenken“, sagt Labecka. Also Werbekampagnen, die auf diverse Kund:innen zielen, nach innen das Versprechen aber nicht einlösen. Das könne für die Reputation eines Unternehmens kontraproduktiv sein. Auch Mitarbeiter:innen würden sich abwenden, wenn Anspruch und Realität nicht übereinstimmen.

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