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Die Autorin und Aktivistin Joan Nestle kam 1940 in der Bronx zur Welt und lebt heute in Melbourne.

© privat

US-Lesben-Ikone Joan Nestle: Erste deutsche Textsammlung „Begehren und Widerstand“

Sie hat Kultbücher geschrieben, war bei der Gründung des Lesbian Herstory Archives dabei und hat feministische Debatten aufgemischt. Jetzt gibt es ein deutsches Buch von Joan Nestle.

Als die US-amerikanische Autorin und Aktivistin Joan Nestle vor zehn Tagen ihren 84. Geburtstag feierte, kam aus Berlin ein wunderbares Geschenk für sie – und auch für ihre deutschen Leser*innen: Das ehrenamtliche Verlagskollektiv Etece Buch veröffentlichte an diesem Tag den Band „Begehren und Widerstand“ (304 Seiten, 25 Euro).

Es ist die erste Sammlung von Nestles Texten auf Deutsch, was fast unglaublich erscheint, angesichts der Bedeutung dieser lesbischen Ikone, die vor rund 50 Jahren zu den Mitbegründerinnen des Lesbian Herstory Archives in New York gehörte und mittlerweile vergriffene Klassiker wie „A Restricted Country“ (1987) und „A Fragile Union“ (1998) geschrieben hat.

Das von Lara Ledwa herausgegebene Buch versammelt 25 Texte von Nestle, die einen guten Einblick in ihr Schreiben geben. Größtenteils in den Achtzigern und Neunzigern verfasst, blickt Nestle sowohl auf ihre eigene Geschichte als auch die ihrer Community zurück. Sie wuchs in prekären Verhältnissen mit ihrer alleinerziehenden, immer hart arbeitenden jüdischen Mutter in New York auf.

Früh engagierte sie sich gewerkschaftlich und war in der Bürgerrechtsbewegung aktiv, was sie auch in einigen Essays des Bandes thematisiert. So half sie etwa bei der Registrierung afroamerikanischer Wähler*innen und war 1965 beim berühmten Marsch von Selma nach Montgomery dabei, der von Martin Luther King angeführt wurde.

Die Art, wie ich liebte, gab den Büchern Gestalt, die ich schrieb, die Art, wie ich liebte, formte meine Kämpfe für politische Veränderung.

Joan Nestle im „Brief an meine Community“

Im Zentrum ihrer Texte steht jedoch ihre Beschäftigung mit der lesbischen und feministischen Bewegung, die bei ihr stets eng mit der Frage ihres eigenen Begehrens verbunden ist. Weil sie sich als Fem identifiziert, also äußerlich rollenkonform feminin auftritt, verteidigt sie die Butch-Fem-Beziehungen der fünfziger Jahre, die innerhalb der lesbischen Community immer wieder als Hetero-Imitation angefeindet werden.

Später wendet sie sich gegen feministische Pornografie-Gegnerinnen und skizziert die „historische Schwesternschaft“ von Lesben und Prostituierten.

Leichthändig schreibt sie über lesbischen Sex

Das Private ist bei Joan Nestle auf eine so selbstverständliche wie lustvolle Weise politisch. Schlichtweg grandios, wie leichthändig und ohne Scham sie über Sex schreibt, was die Übersetzer*innen überzeugend ins Deutsche übertragen haben. Davon, dass ihr Schreiben immer wieder als pornografisch gegeißelt wurde, hat sich Joan Nestle nie beirren lassen.

Ob explizite Szenen mit Dildos, Beschreibungen von Analsex oder Dreiern – sie hat lesbischen Sex in allen Spielarten beschrieben und sichtbar gemacht. Das ist ein großer Empowerment-Verdienst, der durch die deutsche Ausgabe hierzulande vielleicht noch einmal neue Wellen schlagen könnte, wenn eine jüngere Generation Nestles Texte entdeckt.

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Im „Brief an meine Community“, der den Band abschließt, benennt sie den Zusammenhang von Politik und Leben noch einmal ausdrücklich: „Die Art, wie ich liebte, gab den Büchern Gestalt, die ich schrieb, die Art, wie ich liebte, formte meine Kämpfe für politische Veränderung“, schreibt sie. Und zieht dann einen Schluss, der in Variationen wiederholt auftaucht in „Begehren und Widerstand“: Dass diese Art zu Lieben nicht versteckt gelebt werden kann, sondern sich widerständig zeigen muss, denn: „Schweigen gewinnt uns keinen ehrlichen oder sicheren Platz“.

Eine Erkenntnis, die nicht nur für die gesamte queere Community gilt, sondern letztlich für alle Minderheiten: Selbstverleugnung schützt nicht, ein Platz in der Gesellschaft muss erkämpft werden.

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