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Queer in Berlin - auch in der Hauptstadt kommt es zu Diskriminierung bei der Wohnungssuche.

© imago/Seeliger / imago stock&people

Wohnungsnot bei Queers: „Nach Outing von der Familie vor die Tür gesetzt“

Der Berliner Sonntags-Club bietet bundesweit die erste Beratung für queere Menschen in Wohnungsnot an. Ein Interview über deren besondere Problemlagen.

Kathrin Schultz arbeitet seit 1998 ehren- und hauptamtlich im queeren Bereich und seit 2017 mit queeren Wohnungslosen. Schultz betreut beim Sonntags-Club in Prenzlauer Berg queere Menschen in Wohnungsnot.

Beim Sonntags-Club e.V. gibt es jetzt QueerHome*, die erste Wohnraum-Beratungsstelle für LSBTIQ* in Deutschland. Was genau wird da gemacht?
Wir beraten einerseits queere Menschen, die von Wohnungs- oder Obdachlosigkeit betroffen sind oder bald sein könnten. Dabei geht es nicht nur um sogenannte „Wohnungsnotfälle“, also LSBTIQ*, die nicht wissen, wo sie morgen übernachten können, sondern auch um Wohnraumsuche allgemein. Und es geht um Wohnraum-Erhalt.

Viele würden ihre Wohnung möglicherweise gar nicht verlieren, wenn sie rechtzeitig zu einer Beratungsstelle gehen würden. Wohnungslosigkeit ist bei allen Menschen mit Scham besetzt. Bei queeren Menschen kommt hinzu, dass sie Beratungsstellen seltener aufsuchen, aus Angst, dort misgendert oder anderweitig diskriminiert zu werden.

Laut einer Studie haben queere Jugendliche in den USA ein 120 Prozent höheres Risiko, obdachlos zu werden. Wie sieht die Situation in Deutschland aus?
Eines der größten Probleme ist, dass es dazu in Deutschland noch keine Zahlen gibt. Das Projekt Lesbisch.Sichtbar Berlin hat im vergangenen Jahr eine Mini-Umfrage unter lesbischen Frauen gemacht, die ergab, dass 20 Prozent schon mal von Wohnungs- oder Obdachlosigkeit betroffen waren. Die Umfrage war allerdings sehr klein und nicht repräsentativ. Wir können also nur schätzen. Hier ist es wichtig, zunächst zwischen wohnungslos und obdachlos zu unterscheiden: Obdachlos sind Menschen, die keinen festen Wohnsitz haben, also wirklich auf der Straße leben. Wohnungslos sind auch alle ohne festen Mietvertrag.

Also auch Leute, die von Zwischenmiete zu Zwischenmiete ziehen?
Genau, oder die bei Freund*innen auf dem Sofa schlafen, noch bei den Eltern wohnen trotz homo- oder transfeindlicher Vorfälle, oder in Unterkünften und Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe leben.

In Berlin gibt es etwa 10.000 obdachlose Menschen. Wenn wir davon ausgehen, dass zehn Prozent der Menschen queer sind, dann heißt das, dass es in dieser Stadt mindestens 1.000 obdachlose LSBTIQ* gibt. Bei den Wohnungslosen liegt diese Zahl mit 200.000 insgesamt und etwa 20.000 unter Queers sogar noch höher. Hinzu kommt eine Dunkelziffer, die in beiden Fällen hoch ist.

Kathrin Schultz vom Sonntags-Club. Sie sagt, in Berlin gebe es rund 20.000 wohnungslose queere Menschen geben - dazu kommt noch eine hohe Dunkelziffer.
Kathrin Schultz vom Sonntags-Club. Sie sagt, in Berlin gebe es rund 20.000 wohnungslose queere Menschen geben - dazu kommt noch eine hohe Dunkelziffer.

© Barbara Dietl/Sonntags-Club

Das ist wirklich viel. Welche Gründe gibt es speziell bei Queers für Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit?
Die Gründe sind sehr multifaktoriell. Berlin ist zwar sogenannte Regenbogenhauptstadt, aber auch hier kommt es vor, dass Jugendliche oder erwachsene LSBTIQ* nach einem Outing von ihren Familien vor die Tür gesetzt werden. Wenn sie dann keinen festen Freund*innenkreis haben oder auch dieser sie ablehnt, kann das schnell in eine Notlage führen.

Hinzu kommen weitere Diskriminierungserfahrungen etwa im beruflichen Umfeld oder bei Behörden, die zu psychischen Problemen bis hin zu Suizidgedanken und/oder Suchtproblematiken führen. Aber selbst bei denen, die aus verschiedenen Gründen privilegierter sind, ist die Möglichkeit, in Berlin passenden Wohnraum zu finden, eingeschränkt.

Der schwierige Wohnungsmarkt in Berlin ist bekannt. Inwiefern sind LSBTIQ* besonders davon betroffen?
Wohnungen im Innenstadtbereich sind teuer und begehrt. Viele Menschen wollen dort leben, das gilt nicht nur für Queers. Für diese ist eine sichere Wohngegend aber noch mal sehr viel wichtiger. Auch in Berlin gibt es Gegenden, die für trans Personen nicht sicher sind oder wo queere Paare nicht Händchen halten können. Bei lesbischen Paaren kommt hinzu, dass Frauen in unserer Gesellschaft immer noch weniger Geld verdienen oder häufiger in Teilzeitjobs arbeiten. 

Und welche Möglichkeiten gibt es in Berlin für queere Menschen, die wohnungs- oder obdachlos sind?
In Berlin sind die Bezirksämter dafür zuständig, dass niemand auf der Straße landet. Im besten Fall vermitteln sie einen Platz in einem Wohnheim. Hier handelt es sich allerdings häufig um Einzelfallentscheidungen der jeweiligen Sachbearbeiter*innen, denen das Wissen um die besonderen Bedarfe von queeren Personen häufig fehlt.

Außerdem sind die Notfall- oder Übergangswohnheime nach Männern und Frauen getrennt und es besteht auch kein Rechtsanspruch auf ein Einzelzimmer. Für trans Personen, insbesondere nicht-binäre Menschen, ist das sehr problematisch. Aber auch Schwule und Lesben erleben Diskriminierung in den Unterkünften. 

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