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Schädliche Medikamente für „kleine Tyrannen“?: Doku-Serie über Kinderpsychiater Winterhoff erscheint zum Prozessbeginn
In Bonn beginnt der Prozess gegen den Arzt Michael Winterhoff, der auch als Bestseller-Autor bekannt wurde. Zeitgleich zeigt die ARD eine neue dreiteilige Dokumentation über den Fall.
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Jahrelang wurde der Kinderpsychiater Michael Winterhoff in Talkshows eingeladen. Bei „Maischberger“ und „Markus Lanz“ beschwor er eine düstere Zukunft durch verwöhnte, tyrannische Kinder herauf. In der Fachwelt stand er mit dieser Vision zwar relativ allein da. Seine Bücher zur kindlichen Entwicklung wollten viele Eltern, Großeltern und Pädagogen aber trotzdem lesen: „Warum unsere Kinder Tyrannen werden“ und „Deutschland verdummt“ verkauften sich hunderttausendfach.
In seiner Praxis in Bonn behandelte der Psychiater Kinder und Jugendliche, darunter viele, die in Einrichtungen des Jugendhilfesystems untergebracht waren.
Wegen gefährlicher Körperverletzung in 36 Fällen muss sich Winterhoff nun vor Gericht verantworten. Am Mittwoch beginnt vor dem Landgericht Bonn der Prozess gegen ihn. Zeitgleich strahlt der WDR die neue dreiteilige Doku-Serie „Der Kinderpsychiater – Die Macht des Dr. Winterhoff“ aus.
2021 war bereits eine erste ARD-Dokumentation („Warum Kinder keine Tyrannen sind“) ausgestrahlt worden. Das hatte den Prozess ins Rollen gebracht. Ehemalige Patienten sowie deren Eltern und Vormunde erklärten darin, der Arzt habe Kindern und Jugendlichen reihenweise die Fantasie-Diagnose „frühkindlicher Narzissmus“ ausgestellt und ihnen über Jahre hinweg sedierende Medikamente verordnet, die nur zur Kurzzeitbehandlung zugelassen sind.

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Kurz nach der Ausstrahlung durchsuchte die Staatsanwaltschaft 2021 Winterhoffs Praxisräume sowie die Räume mehrerer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen, die eng mit dem Arzt zusammengearbeitet haben sollen. 2023 erhob die Bonner Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Arzt.
Gesundheitliche Langzeitschäden
In der neuen Dokumentation kommen nun weitere Patienten zu Wort, außerdem Mitarbeiter von Jugendämtern und von Wohneinrichtungen, in denen Kinder lebten, die von Winterhoff behandelt wurden. Der Vorwurf der Filmemacherin Nicole Rosenbach: Der Arzt soll Medikamente auch aus wirtschaftlichem Interesse verordnet und dabei gesundheitliche Langzeitschäden für die Patienten in Kauf genommen haben.
So berichtet eine ehemalige Mitarbeiterin einer Einrichtung in der Dokumentation, bereits Kinder ab drei Jahren hätten auf Winterhoffs Anweisung hin täglich das sedierende Medikament Pipamperon bekommen. Auch zeigt der Film Medikamentenpläne, aus denen hervorgeht, dass der Arzt in mehreren Fällen die Medikation trotz berichteter Nebenwirkungen nicht beendet, sondern in diesen Fällen zusätzliche Medikamente verordnet haben soll, um die Nebenwirkungen zu dämpfen.
Rosenbach zufolge sollen tausende Kinder in Deutschland von Winterhoff behandelt worden sein. Regelmäßig, so heißt es im Film, hätten Einrichtungen aus verschiedenen Bundesländern ganze Reisebusse voller Heimkinder zu dessen Praxis gefahren. Der Arzt habe dann an einem einzigen Tag Arzt 20 oder 30 Kinder diagnostiziert.
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Winterhoff selbst bestreitet sämtliche Vorwürfe. „Herr Dr. Winterhoff hält die Vorwürfe nach wie vor für unbegründet. Er verteidigt sich sowohl in strafrechtlicher als auch in presserechtlicher Hinsicht gegen diese“, heißt es in einem Dossier zu dem Fall, das seine Rechtsanwälte, die Kanzlei Höcke, veröffentlichten. Die Behandlung „mit dem in Rede stehenden Medikament“ sei „zulässig“ gewesen.
Bereits 2021 war Winterhoff juristisch gegen die WDR-Berichterstattung vorgegangen. Man habe damals aber nichts an der ersten Doku ändern müssen, heißt es vom WDR.
Die Dokumentation erscheint am Mittwoch um 18 Uhr in der ARD-Mediathek und wird am 24. Februar um 23 Uhr im Ersten ausgestrahlt.
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