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Mit einer israelischen Flagge gedenken Menschen 2018 auf dem Gendarmenmarkt der Unabhängigkeit Israels.

© dpa picture-alliance

Über Antisemitismus und ein neues Judenbild: Für einen verpflichtenden Schüleraustausch mit Israel

Tom Franz ist in Israel ein Star. Der gebürtige Rheinländer fordert in seinem Gastbeitrag: Deutschland muss alle Jugendlichen einmal nach Israel bringen.

Tom Franz ist Rechtsanwalt und stammt aus dem Rheinland, heute lebt er als Jude in Israel. Dort gewann er die Fernseh-Kochshow Masterchef. Seither ist er in Israel ein Kochstar und das Gesicht eines neuen Deutschlands.

Wenn wir zusammen Humus und Tahini, Falafel, Shakshuka und Kebab gekocht haben, beim Essen sitzen, ich meine Geschichte erzähle und erkläre, dass das Essen ganz koscher war, dann leuchten die Augen der Teilnehmer. Miteinander kochen schafft, was mancher Vortrag und manche Diskussion nicht kann.

Es gab mal eine Zeit, da wusste ich nicht so viel über Juden oder Israel. Gott hatte die Juden aus Ägypten - unter ziemlich großem Aufwand: den zehn Plagen - heraus geführt, um sie im heiligen Land leben zu lassen. Der erste Jude, von dem ich hörte, war Jesus, was mich einigermaßen überraschte, da wir als Christen an ihn als den Messias glauben sollten. Im Religionsunterricht hatte man uns erzählt, dass die armen, kleinen Judenkinder bereits mit drei Jahren lesen lernen müssen, und das, obwohl es gar keine Vokale im Hebräischen gäbe. Die taten mir leid. Was ich auch immer schon gehört hatte und später in der Oberstufe sehr detailliert lernen würde, war, dass die Juden von den Nazis umgebracht und sogar vergast worden waren. Das tat mir weh. Allgemein war man der Meinung, dass das oder so etwas nie wieder passieren dürfe.

Als ich mit einem Schüleraustausch 1990 zum ersten Mal nach Israel kam, lernte ich, dass Juden ganz anders aussehen als in den deutschen Geschichtsbüchern (insbesondere anders als die wiedergegebenen Karikaturen der Nazis). Schöne, exotische Mädchen und starke, coole Jungen. Wer hätte das gedacht!?

Es ist ein großer Unterschied, "von" Juden und "den" Juden zu sprechen

Ich verstand langsam, dass es nicht einfach „die“ Juden gab. Es ist ein großer Unterschied, ob man von Juden oder von „den“ Juden spricht. Es waren immer „die“ Juden, die für etwas verantwortlich gemacht oder die verfolgt worden waren. Wer von „den“ Juden redet, ist schon auf halbem Weg zum Antisemitismus.

Ich wollte mehr über diese Menschen wissen, die mit ihrer Tora die Welt mehr als jedes andere Volk beeinflusst hatten, und die in der Diaspora („Zerstreuung“), überall da, wo sie nach der Zerstörung ihres Tempels hin vertrieben worden waren, leben mussten, um dort erst recht schutzlos geächtet und verfolgt zu werden. Fast 2000 Jahre aus der Heimat vertrieben, bis sie endlich in ihr Land zurückkehren konnten.

Ich kam nun immer wieder nach Israel und seit 15 Jahren lebe ich dort. Seit gut zwölf Jahren bin ich Jude. Bisher habe ich nicht ergründen können, was an „den“ Juden so hassenswert war, dass man sie verfolgt und ermordet hat. Anstatt Gründe für Antisemitismus zu finden, fand ich immer mehr Gründe, sie zu achten und von ihnen zu lernen.

Ich habe viel über die Geschichte des jüdischen Volkes gelernt und ich kenne mich gut im Judentum aus, das ich lebe und nach dem ich meine vier Kinder erziehe. Ich habe mich hier integriert, so sehr, dass ich die israelische Castingshow Masterchef mit koscherer Cuisine gewinnen konnte und im ganzen Land berühmt wurde. Ich wurde in Israel das Gesicht des neuen Deutschlands. Mein Weg kann nicht das Vorbild für Deutsche sein, um Vorurteile abzubauen.

Aber ich habe mit meinem Kochen eine Brücke gebaut. Ich koche für Israelis und Deutsche und ich mache Kochworkshops in Israel und in Deutschland. Die Verbindung aus meiner Lebensgeschichte, israelischer Küche und koscherem Kochen ist ein wunderbares Rezept, den Menschen beider Länder übereinander zu erzählen. Es ist auch eine wunderbare Gelegenheit, Fragen zu stellen, die am besten jemand beantworten kann, der den Horizont eines Durchschnittsdeutschen kennt und Antworten gibt, die den Fragenden da abholt, wo er ist.

Viele Deutsche kehren mit einem neuen Israelbild zurück

In aller Regel kehren Deutsche, die erst ein Mal in Israel waren, mit einem neuen Bild von Israel zurück, und viele kommen gerne wieder.

Deutschland hat meiner Meinung nach die Pflicht, deutsche Jugendliche während ihrer Schulausbildung einmal nach Israel zu bringen. Dies darf nicht dem Engagement von Lehrern überlassen werden, die bereit sind, das an ihrer Schule zu organisieren. Es reicht nicht aus, das mit ConAct, dem Koordinierungszentrum Deutsch-Israelischer Jugendaustausch, zu unterstützen. Damit wird Deutschland seiner Verantwortung (apropos Staatsräson) nicht gerecht.

Es müssten das ganze Jahr über Schülergruppen nach Israel gebracht werden, die jüdischen Schülern begegnen. Antisemitismus wird nicht durch Statements von Politikern nach Attentaten abgeschafft.

Wenn man heute nach „Juden“-Bildern googelt, bekommt man in der Mehrzahl schockierende Bilder von durch Nazis eingeschüchterten und auf den Abtransport wartende Juden zu sehen. So dürfen Deutsche und Juden nie wieder zusammen „miteinander“ fotografiert werden, und so sehen Juden – Gott sei Dank – heute nicht aus.

Tom Franz

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