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Eine ganze Kompanie des Kommando Spezialkräfte war dermaßen von Rechtsextremen unterwandert, dass es diesen Sommer aufgelöst wurde.  dpa

© picture alliance / Kay Nietfeld/

Umsturzfantasien von Rechtsextremen: Die mörderische Sehnsucht nach dem „Tag X“

Rechtsextreme wollen die Bundesrepublik abschaffen - und bereiten sich darauf vor. Es fällt schwer, vor lauter Einzelfällen den Überblick zu behalten.

Vor vier Wochen durchsuchten Fahnder des Staatsschutzes das Wohnhaus eines Rechtsextremisten im niedersächsischen Seevetal bei Hamburg. Sie fanden 250 scharfe Gewehre und Pistolen, dazu Tausende Schuss Munition. Die Staatsanwaltschaft sagt, der Mann sei durch seine „Zuwendung zum Nationalsozialismus“ aufgefallen. Was der 54-Jährige mit den Waffen plante, ist unklar.

Wenige Tage später wurden in Nordrhein-Westfalen 31 Polizisten vorläufig suspendiert. Sie hatten sich per „WhatsApp“ in einer Gruppe namens „Alphateam“ vernetzt, dabei Fotos von Hakenkreuzen und Adolf Hitler ausgetauscht. Innenminister Herbert Reul (CDU) sprach von einer „Schande für die Polizei“.

Am Donnerstag berichtete das ARD-Magazin „Monitor“, dass auch Berliner Polizisten in einer internen Chatgruppe rassistische Inhalte geteilt hätten. Ihr Vorgesetzter habe davon gewusst.

Es fällt schwer, noch den Überblick zu behalten angesichts der in diesem Jahr ausgehobenen Waffendepots, bekannt gewordenen Chatgruppen und Verbindungen von Sicherheitskräften in die rechtsextreme Szene. Politiker und Prominente, deren eigentlich geschützte Adressen zuvor von Polizeicomputern abgefragt wurden, erhalten Todesdrohungen eines „NSU 2.0“. Eine ganze Kompanie des Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr (KSK) ist derart von Rechtsextremen durchzogen, dass die Bundesverteidigungsministerin ihre Auflösung anordnet.

Sie wollen mit der Bundesrepublik abrechnen

Was die Extremisten eint, ist der Wunsch nach einem politischen Umsturz – in der Szene bekannt als „Tag X“, an dem die demokratisch verfasste Bundesrepublik gewaltsam beseitigt und durch ein neues System ersetzt wird. Bereits im Mai warnte das Innenministerium vor verstärkten Bemühungen Rechtsextremer, einen solchen „Tag X“ Wirklichkeit werden zu lassen und dabei die Coronakrise für ihre Zwecke zu nutzen: Gruppen könnten versuchen, einen Umsturz herbeizuführen und dabei mit verhassten Funktionsträgern der Bundesrepublik abzurechnen.

Der „Tag X“ wird von extrem Rechten seit Jahren herbeigesehnt. Dabei gilt er nicht nur als vage Erlösungsfantasie. Es gibt konkrete Pläne, wie er ablaufen soll.

Eine, die sich mit den „Tag X“-Fantasien intensiv beschäftigt hat, ist die thüringische Bundestagsabgeordnete und Innenexpertin Martina Renner (Linke). Am Telefon sagt sie, die bekannt gewordenen Fälle, in denen sich Akteure konkret auf einen Umsturzversuch vorbereiten und dafür Vorkehrungen treffen, hätten erschreckende Ausmaße angenommen. Das Herbeisehnen des Tag X sei das „einende Band“ unterschiedlichster Akteure von Reichsbürgern bis zu Extremisten in Spezialkräften der Bundeswehr: „Und ich habe nicht den Eindruck, dass der Rechtsstaat entschieden genug gegen diese Gefahr vorgeht.“

Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linke) warnt, der Rechtsstaat nehme die Umsturzfantasien nicht ernst genug.
Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linke) warnt, der Rechtsstaat nehme die Umsturzfantasien nicht ernst genug.

© imago/Jürgen Heinrich

Öffentlich gewordene Fälle würden immer noch als singuläre Ereignisse betrachtet. Dies werde auch dadurch begünstigt, dass bei manchen Verdachtsfällen der Generalbundesanwalt in Karlsruhe ermittelt, bei anderen die Staatsanwaltschaften der Länder: „Ich bezweifle, dass man da die Zusammenhänge sieht.“

Weit verbreitet sei die Überzeugung, der „Tag X“ müsse genutzt werden, um politische Gegner die Träger des aktuellen politischen Systems, zu beseitigen. Detaillierte Pläne dazu hatten etwa Mitglieder des vor drei Jahren aufgeflogenen Netzwerks „Nordkreuz“, einer Chatgruppe, in der dutzende Rechtsextreme, darunter Soldaten und Polizisten, miteinander kommunizierten: Verhasste Politiker und Flüchtlingshelfer sollten demnach entführt und auf Militärlaster geladen werden, um sie an Straßensperren der Polizei vorbeizubringen, bevor man sie erschieße.

Bei einem „Nordkreuz“-Mitglied fand die Polizei Ordner mit Steckbriefen politischer Gegner. Zudem gab es Pläne, in großen Mengen Leichensäcke und Ätzkalk zu bestellen, beides hilfreich beim Verschwindenlassen Ermordeter. Das ZDF ist im Besitz von Mails, in denen ein Akteur aus dem Umfeld von Nordkreuz bei einem Waffenhändler Abzeichen „für gewisse Führungspersonen“ in Auftrag gab – und „Erkennungszeichen vor und nach Tag X“.

Der Gründer des „Nordkreuz“-Chats, der Scharfschützenausbilder Marko G., verschickte Anweisungen an Gruppenmitglieder: „Desto besser die Kommunikation, umso einfacher ist die Organisation und das Sammeln untereinander am Tag X. Doch bis dahin gilt es für jeden von uns, so wenig wie möglich aufzufallen.“

2019 musste sich G. vor dem Landgericht Schwerin verantworten. Bei einer Razzia hatten Ermittler etliche Schusswaffen und mehr als 50 000 Schuss Munition gefunden, Ein Großteil davon illegal. Seine rechtsextreme Gesinnung spielte in dem Verfahren keine Rolle. Im Dezember wurde G. wegen illegalen Waffenbesitzes zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Die Staatsanwaltschaft ging in Revision.

„Nordkreuz"-Gründer“ Marko G. vor Gericht.  dpa
„Nordkreuz"-Gründer“ Marko G. vor Gericht. dpa

© picture alliance/dpa

„Das milde Urteil war ein Erfolg für Marko G. und seine Unterstützer“, sagt Martina Renner am Telefon. „Das konnte man schon daran erkennen, wie der Verurteilte noch im Gerichtssaal feierte.“ Renner kritisiert zudem, dass G. bisher als einzigem Nordkreuz-Mitglied der Prozess gemacht wurde. Das sei auch ein fatales Signal an alle anderen Gruppen, die von einem Ende der Bundesrepublik träumten. Dass diese existieren, hat sich im laufenden Jahr mehrfach gezeigt.

Einige Beispiele: Im Februar ist bekannt geworden, dass in Baden-Württemberg gegen sieben Polizeischüler ermittelt wird, die über WhatsApp rechtsextreme Inhalte ausgetauscht haben.

Im Mai wird ein Soldat des „Kommando Spezialkräfte” aus Sachsen festgenommen, der privat ein umfangreiches Waffenlager angelegt hat. Unter anderem bewahrte er ein Sturmgewehr und größere Mengen Plastiksprengstoff auf seinem Grundstück auf. Die rechtsextreme Gesinnung des Mannes ist bekannt.

Vorbereitungen für einen „Rassenkrieg"

Im Juni veröffentlicht die „taz“ eine Recherche über eine Gruppe rechtsextremer Burschenschaftler in Sachsen und Sachsen-Anhalt, die sich mit Schießübungen und dem Horten von Waffen auf einen „Tag X“ und einen damit einhergehenden „Rassenkrieg“ vorbereitete. Unter den Mitgliedern befinden sich Reserveoffiziere der Bundeswehr.

Ende Juni gibt Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) drastische Maßnahmen bekannt, um gegen rechtsextreme Umtriebe beim „Kommando Spezialkräfte“ vorzugehen. Die zweite Kompanie wird aufgelöst, die Ausbildung reformiert.

Im August wird bekannt, dass die Polizeibehörden von mindestens 400 rechtsextremen Verdachtsfällen in den eigenen Reihen ausgehen. Der Militärische Abschirmdienst prüfe aktuell 640 Verdachtsfälle bei der Bundeswehr.

Im September werden neue mit „NSU 2.0“ unterzeichnete Morddrohungen verschickt. Insgesamt haben nun mindestens 90 Politiker, Journalisten, Anwälte und Prominente derartige Schreiben erhalten. Vier Polizisten werden verdächtigt, über ihre Dienstcomputer Adressen von Menschen abgefragt zu haben, die später vom „NSU 2.0“ bedroht wurden.

Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz erhielt die erste mit „NSU 2.0“ unterzeichnete Morddrohung. Sie war Nebenklageanwältin im NSU-Prozess.
Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz erhielt die erste mit „NSU 2.0“ unterzeichnete Morddrohung. Sie war Nebenklageanwältin im NSU-Prozess.

© dpa

Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner hat mehrfach solche Schreiben bekommen. Sie sagt am Telefon, sie wünsche sich, dass der Generalbundesanwalt die Ermittlungen an sich ziehe.

Vorigen Monat wurde Renner zudem mit Recherchen des RBB-Magazins „Kontraste“ konfrontiert: Der Chef eines Sicherheitsunternehmens aus Hamm, bekannt für enge Kontakte in die rechtsextreme Szene, soll gegenüber Mitarbeitern mehrfach über den nahenden „Tag X“ schwadroniert haben. Dabei soll er explizit Renner als eine derjenigen genannt haben, die an einem solchen Tag ermordet werden müssten.

Das apokalyptische Motiv des „Tag X“ sei nicht neu, sagt der Soziologe Matthias Quent am Telefon. Bereits unter den Wegbereitern des Nationalsozialismus habe ein „rassistischer Kulturpessimismus“ geherrscht – also die Überzeugung, das eigene Volk werde untergehen, falls man nicht sehr bald handle. „Manche wollen den ersehnten Zusammenbruch des aktuellen Systems beschleunigen, indem sie durch Anschläge ethnische Spannungen erzeugen und so einen Bürgerkrieg auslösen.“ Das sei auch Ziel der Gruppe „Revolution Chemnitz“ gewesen, deren acht Mitglieder im März zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden.

Die Vorstellung von einem „Tag X“ ist auch unter sogenannten Preppern allgegenwärtig – einer Szene von Menschen, die sich auf einen vermeintlich drohenden Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung, etwa nach massiven Stromausfällen oder Naturkatastrophen, vorbereiten und gegenseitig Tipps geben, die Krise zu überleben. Die meisten Prepper begreifen sich als unpolitisch, allerdings finden sich auch Rechtsextreme in der Szene, die Übergänge sind teils fließend.

Sie sehen die Bundesrepublik als „krankes System“

Beim Messengerdienst Telegram etwa hat der Kanal „Prepper_Deutschland“ derzeit fast 4000 Abonnenten, er ist nach eigenen Angaben der größte deutschsprachige zum Thema. Hinweise zum Aufstellen von Tierfallen und eine Einführung in „germanische Heilkunde“ findet man hier ebenso wie explizit rechtsextreme Inhalte. Die Bundesrepublik wird als „BRD-Konstrukt“ verhöhnt sowie als „krankes System“, zu dem man sich „Alternativen“ aufbauen solle. Die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten gehöre „lebenslang“ ins Gefängnis. Der Kanalbetreiber warnt vor „Asylinvasoren“ und einem unmittelbar bevorstehenden Bürgerkrieg, ruft zur Planung „gemeinsamer Aktionen“ auf.

Politisch sei man hier jedoch nicht, schreibt der Betreiber in seinem Kanal. Es handle sich um eine „harmlose Gruppe“.

Vergangenen November berichtete der „Spiegel“ über deutsche Prepper, die sich auf dem russischen Facebook-Pendant vk.com in einem Forum namens „Überlebensgruppe“ vernetzt und dort Mordfantasien und Hetze gegen Migranten verbreitet hatten. Nach Erscheinen des Artikels wurde das Forum gesperrt. Auf Telegram existiert die „Überlebensgruppe“ jedoch weiter: Nutzer teilen dort Hetzschriften wie die antisemitischen „Protokolle der Weisen von Zion“ und bezeichnen die Bundesrepublik als „totalitären Polizeistaat“. Sie geben sich auch geben sich gegenseitig Tipps, wie man sich nach Abtauchen in den Untergrund am besten vor den Ermittlern versteckt.

Auch unter rechten Kampfsportlern ist die Sehnsucht nach einem „Tag X“ weit verbreitet, sagt der Autor Robert Claus am Telefon. Er hat für sein gerade erschienenes Buch „Ihr Kampf“ in der Szene recherchiert. Militante Neonazis begreifen Kampfsport demnach als Möglichkeit, sich körperlich für den Moment des politischen Umsturzes zu rüsten und auf mögliche Straßenkämpfe vorzubereiten. Wie genau das Leben danach aussehe, bleibe auch hier enorm vage, sagt Claus.

Konsens sei jedoch, dass mit Abschaffung der Demokratie auch die Migration gestoppt und so die Erhaltung der weißen Rasse gesichert werden soll. Da deutsche Neonazis diesen Wunsch mit französischen, polnischen und russischen teilen, werden mittlerweile europaweite Turniere zur Vernetzung veranstaltet, an denen ausschließlich hellhäutige Kämpfer teilnehmen dürfen.

Als größtes Turnier Westeuropas gilt der „Kampf der Nibelungen“. Voriges Jahr sollte er im sächsischen Ostritz ausgetragen werden, doch die Gemeinde verbot die Veranstaltung mit der Begründung, diese diene der „rechtsextremen Kampfertüchtigung und damit der Vorbereitung eines politischen Kampfes“. Das Oberverwaltungsgericht bestätigte diese Einschätzung.

Die diesjährige Ausgabe sollte offiziell am kommenden Wochenende stattfinden und diesmal an einem geheimen Ort aufgezeichnet und im Internet übertragen werden. Daraus wird wohl nichts: Vorletzte Woche haben Ermittler in Magdeburg auf dem Gelände eines Motorradclubs sowohl den aufgebauten Boxring als auch die geplanten Kämpfer angetroffen und die Veranstaltung per Verbotsverfügung beendet. Vermutlich sollte der diesjährige „Kampf der Nibelungen“ hier voraufgezeichnet werden.

Stark ideologisiert und kampferprobt

Die Angehörigen dieser Szene, sagt Robert Claus, seien „einerseits stark ideologisiert, andererseits kampferprobt und -gewillt“. Das halte er für eine „gefährliche Mischung“, es sei vorstellbar, dass Einzelne terroristische Attacken ausführen. Die Rostocker Kampfsportgruppe „Baltik Korps“ kokettiert in ihrer Selbstbeschreibung: „Wir sind die, die nicht auf den Tag X warten müssen, weil wir der Tag X sind.“

Auch die Bundestagsabgeordnete Renner warnt vor Terrortaten. Sie glaube zwar nicht, dass es „irgendwo in Deutschland eine geheime schwarze Reichswehr gibt, die hunderte Mann umfasst und einen Kommandeur hat, der das Signal für den großen rechten Aufstand gibt.“ Mit Sicherheit gebe es jedoch „aberdutzende Männer, die seit Jahren der Gedanke umtreibt, man müsse jetzt dringend handeln.“ Da sei es nicht abwegig, dass eine kleine Gruppe zu dem Schluss komme zu sagen: Wir fangen jetzt mal an. „Wie die ausgebildet sind“, sagt Renner, „kann auch eine Handvoll von denen in Minuten eine Menge Menschen töten.“

Matthias Quent, der Soziologe, sieht neben der Gefahr realer Terrortaten auch die eines „schleichenden Erodierens demokratischen Engagements“ – allein durch die bloße Androhung derartiger Gewalt. Mit ihren Fantasien einer Abrechnung am „Tag X“ schüchterten Rechtsextreme ihre Gegner ein, erzeugten eine „Aura der Gewalt“. Darin, sagt Quent, sehe er „für die Demokratie eine größere Gefahr als in der unmittelbaren Wirkung tatsächlicher Anschläge.“

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