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Grünen-Politikerin Silke Gebel beim Aktionstag "Schichtwechsel" in der Keramikwerkstatt.

© Agentur Oberhafen

Aktionstag „Schichtwechsel“: Was macht eigentlich ein Mitarbeiter in einer Behindertenwerkstatt?

Ein Perspektivwechsel: Menschen mit und ohne Behinderung tauschen für einen Tag ihre Arbeitsplätze.

„Arbeit ist für jeden Menschen wichtig (…) und bedeutend für die eigene Identität und unsere sozialen Beziehungen. Dies gilt auch für Menschen mit Behinderungen“, heißt es beim Verein Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM).

Am 16. September tauschen Mitarbeiter:innen aus verschiedensten Unternehmen für einen Tag ihren Arbeitsplatz mit Beschäftigten aus Behindertenwerkstätten. Der Aktionstag „Schichtwechsel“ wurde von den Berliner Werkstätten und der Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen Berlin (LAG WfbM) entwickelt.

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Seit 2017 haben sich 369 Berliner Firmen unter anderem aus der Automobilindustrie, der Dienstleistungsbranche, aus Sportvereinen oder dem Handwerk an der Aktion beteiligt. 782 Tauschplätze für Menschen mit Einschränkungen wurden zur Verfügung gestellt. 

Neue Perspektiven für beide Seiten

Circa 320.000 Beschäftige gibt es derzeit in den Mitgliedswerkstätten der BAG WfbM. Beim Jahresempfang des Behindertenbeauftragten der Bundesregierung, Jürgen Dusel, sprach sich Bundeskanzlerin Angela Merkel vor vier Wochen für eine größere Wertschätzung der Arbeit von Menschen mit Behinderungen aus. 

„Ich will keineswegs verkennen, wie wichtig die Werkstätten sind“, sagte Merkel in ihrer Rede und betonte, dass viele Beschäftigte gern in einer geschützten und ihnen vertrauten Umgebung arbeiten wollen. Hier könnten sie der Wertschätzung ihrer Leistungen sicher sein, so die Kanzlerin.

Zum Aktionstag "Schichtwechsel" tauschen Menschen mit und ohne Behinderung ihre Arbeitsplätze.
Zum Aktionstag "Schichtwechsel" tauschen Menschen mit und ohne Behinderung ihre Arbeitsplätze.

© picture alliance / dpa

Doch was die Menschen in den Werkstätten leisten, bleibt in der Gesellschaft oft unsichtbar. Der Aktionstag „Schichtwechsel“ versucht das zu ändern. Durch den Arbeitsplatztausch von Menschen mit und ohne Behinderungen würden für beide Seiten ganz neue Perspektiven eröffnet, betont Martin Berg, Vorstandsvorsitzender der BAG WfbM. 

Nicht nur „simple oder stumpfe Tätigkeiten“

„Wir wollen so Begegnungen ermöglichen und Offenheit sowie ein besseres Verständnis für die jeweils andere Arbeitswelt fördern“, sagt Berg. Die teilnehmenden Betriebe würden durch den Schichtwechsel einen Eindruck davon bekommen, wie gut die Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderungen sein könne. 

Aufgeräumt werden soll auch mit dem Klischee, dass in den Werkstätten nur simple oder stumpfe Tätigkeiten ausgeübt würden. „Im besten Fall stößt der Aktionstag Überlegungen bei den teilnehmenden Unternehmen an, eine Inklusionsabteilung zu etablieren oder Menschen mit Behinderungen direkt einzustellen“, so Berg weiter.

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Silke Gebel, Fraktionsvorsitzende der Berliner Grünen im Abgeordnetenhaus, nimmt an der Aktion teil. Bereits am Mittwochmorgen hat sie in der Keramikwerkstatt der Stephanus-Stiftung in Berlin-Weißensee die Schicht eines Mitarbeiters übernommen. 

Wegen Corona im kleinerem Rahmen

„Politikerinnen und Politiker sollten möglichst alle Lebensrealitäten und Arbeitsplätze in ihrer Stadt kennen, weil man nur dann wirklich Politik für die Menschen machen kann, wenn man versteht, was sie den ganzen Tag so machen, was sie bewegt und welche Herausforderungen sie haben“, sagt Gebel. Deshalb sei es wichtig, vor Ort zu sein.

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Am Aktionstag selbst wird der Mitarbeiter aus der Keramikwerkstatt Silke Gebel dann im Plenum begleiten und mit ihr im Abgeordnetenhaus zu Mittag essen. Ein gelungener Perspektivwechsel für beide Seiten – aufgrund der Corona-Pandemie jedoch nach wie vor unter besonderen Hygiene- und Abstandsregeln

Der Aktionstag müsse allgemein wie bereits im vergangenen Jahr in kleinerem Rahmen stattfinden, sagt Martin Berg. Die Corona-Krise habe jedoch bereits deutlich gezeigt, „was Werkstätten für Menschen mit Behinderungen leisten und welche wichtigen, systemrelevanten gesellschaftlichen Aufgaben sie übernehmen“, so Berg. 

„In meiner Partei wird Inklusion sehr groß geschrieben“

Die zusätzliche Problematik aufgrund der Corona-Pandemie betonte auch Angela Merkel in ihrer Rede am 17. August. So sei die Pandemie eine besondere Herausforderung gewesen, weil beispielsweise Werkstätten geschlossen blieben oder Therapien ausfielen. 

„Inklusion lebt auch sehr von gutem Willen, von Aufmerksamkeit und Offenheit füreinander“, mahnte Merkel. Der Aktionstag „Schichtwechsel“, der seit 2019 auch bundesweit durchgeführt wird, ermöglicht einen Schritt in Richtung Aufmerksamkeit und Offenheit füreinander. 

Das sieht auch Silke Gebel so: Sie wollte bei der Aktion „schon immer mitmachen, um eben tatsächlich auch einmal die Perspektive zu wechseln“. Die verschiedenen Arbeitsmärkte, so auch die Werkstätten für Menschen mit Behinderung, solle man kennen und wertschätzen.

„In meiner Partei wird Inklusion sehr groß geschrieben. In meinem Kreisverband in Berlin-Mitte hatten wir den ersten gehörlosen Kommunalpolitiker überhaupt in Deutschland“, sagt die Grünen-Politikerin. In vielen Bereichen gebe es jedoch noch viel zu tun. Aus diesem Grund sei es besonders wichtig, „Menschen mit Behinderungen mehr Sichtbarkeit zu verleihen und Inklusion überall zu verankern.“ 

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