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Handelsvertreter fürs Grundgesetz: Der Publizist und Philosoph Michel Friedman.

© Gesicht Zeigen!/Jörg Farys

„Liebe ist stärker als Hass“: Berliner Verein „Gesicht zeigen!“ wird 25 Jahre alt

Michel Friedman und Sebastian Krumbiegel gratulieren mit einem beklemmenden, aber auch vorsichtig hoffnungsvollen Aufruf, für die Demokratie und gegen Antisemitismus zu kämpfen.

Stand:

Dramatische Reden mit beklemmenden Elementen passen eigentlich gar nicht zu einem 25. Geburtstag. In diesem Fall führte kein Weg daran vorbei. Wenn es um die Rettung der Demokratie geht, hilft Schönfärberei nicht weiter.

Als der Verein „Gesicht zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland“ gegen Rassismus und Antisemitismus vor 25 Jahren aus der Taufe gehoben wurde, konnte man sich nicht vorstellen, wie sehr sich der Himmel über Deutschland trotz aller Anstrengungen verfinstern würde.

Was in zehn Jahren sein wird

Gegründet von dem verstorbenen früheren Präsidenten des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, Ex-Regierungssprecher Uwe Karsten Heye und dem Publizisten Michel Friedman, ging es darum, die Demokratie wehrhafter zu machen gegen Rechtsradikale.

Handelsvertreter mit Grundgesetz im Koffer

Ein Vierteljahrhundert später fragt Friedman bei der Geburtstagsfeier in der saarländischen Landesvertretung: „Können wir garantieren, dass wir in fünf bis zehn Jahren noch in einer Demokratie leben?“ Und die Antwort lautet keineswegs glasklar: Ja!

Sein Leben lang habe er gegen jede Art von Nazis und ihre Parteien gekämpft. Inzwischen sieht der Philosoph sich als „Handelsvertreter, der in seinem Koffer eine Miniversion des Grundgesetzes herumträgt“ und darum wirbt, sich dessen Kostbarkeit zu vergegenwärtigen.

Wenn aus der Demokratie eine Diktatur wird

Den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und seine unantastbare Würde sei doch die genialste Idee, die je erdacht wurde. „Weiterbringen wird es uns nur, wenn wir anfangen, selbstbewusste Demokraten zu werden“, sagt er.

Und appelliert an die Nörgler, dafür zu beten, dass sie morgen weiter nörgeln können und nicht, wenn erst aus der Demokratie eine Diktatur geworden ist, im Gefängnis oder auf dem Friedhof landen. Eine ganze Stunde lang lauscht die kleine Festgemeinde, die selbst nicht überzeugt werden muss, ihm gebannt.

Ich brauche die Demokratie, weil ich die Klappe aufreißen will.

Publizist Michel Friedman

„Hass ist keine Meinung, sondern ein destruktives Gefühl, das mit Gewalt aufgeladen ist“, sagt Friedman und beschreibt, wie den Demokratiefeinden der Weg durch die Institutionen in den letzten 25 Jahren gelungen ist, wie die 68er zwar in Bibliotheken auf Spurensuche gegangen sind, aber nicht in den eigenen Familien.

„Ich brauche die Demokratie, weil ich die Klappe aufreißen will“, ruft er am Schluss. „Weil ich es genieße, zu streiten.“ Und fragt suggestiv das Publikum: „Wollen Sie sich streiten? Das geht nur in der Demokratie!“

45.000
Schüler und Jugendliche haben die Workshops besucht.

Seit der Gründung im August 2000 ermutigt „Gesicht zeigen!“ Menschen, aktiv zu werden für die Demokratie. Seitdem gab es 60 Kampagnen für Zivilcourage, 34 Modellprojekte und 4000 Workshops für 45.000 Kinder und Jugendliche.

Sebastian Krumbiegel, Sänger der Band Die Prinzen

© Gesicht Zeigen!/Jörg Farys

Rassistischen Parolen widersprechen

„Sie waren erfolgreich“, gratuliert die saarländische Ministerpräsidentin und Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger (SPD). „Wir als Gesellschaft waren nicht erfolgreich.“

Wie ein roter Faden zieht sich durch den Abend ihre Einsicht, dass es längst nicht mehr fünf vor zwölf ist, sondern schon später. Dass auch „Wehret den Anfängen“ nicht mehr aktuell ist, weil es ja nur einen Anfang geben kann und die Entwicklung längst darüber hinaus gegangen ist. Der sehr behutsam formulierten Einsicht Rehlingers, dass man sich bemühen müsse, auf TikTok präsent zu sein, folgt der dezidierte Aufruf, lauter zu werden und klarer. Es geht „Gesicht zeigen!“ auch darum, rassistischen Parolen zu widersprechen.

Der Vorstandsvorsitzende des Vereins, Peter Ruhenstroth-Bauer, hat nach über zwei Stunden Programm seine Rede auf das Allerwesentlichste zusammengestrichen. Es mache ihm große Sorge, dass die demokratischen Parteien sich von den Rechtsextremen treiben ließen.

Noch mehr Sorge bereiten ihm wohl die finanziellen Kürzungen ausgerechnet bei Demokratieprojekten, ausgerechnet in dieser Zeit. Sebastian Krumbiegel von den Prinzen schafft schließlich den vorsichtig optimistischen Schluss, der einem 25. Geburtstag eigentlich anstünde.

Er singt davon, dass Demokratie weiblich ist, dass Liebe und Hoffnung ihre Schwestern sind. Er weiß, dass er kitschig klingen könnte und sagt es trotzdem: „Wir sollten uns immer klarmachen, dass Liebe stärker ist als Hass.“  Ganz am Ende mahnt Krumbiegel: „Wir dürfen uns nie auf das Niveau der Hater herunterbegeben.“ Darauf darf dann auch endlich angestoßen werden.

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