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Abnehmpille hilft nicht bei Alzheimer: „Semaglutid vermag nicht, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden“
Frühere Studien lieferten Hinweise darauf, dass der Antiadipositas-Wirkstoff das Fortschreiten von Alzheimer verlangsamen kann. Doch neue Untersuchungen bestätigen das nicht. Hersteller bricht Studien vorzeitig ab.
Stand:
Die Hoffnungen des Herstellers Novo Nordisk, eine weitere positive Wirkung seines Anti-Adipositaswirkstoffes Semaglutid – gemeinhin Abnehmspritze genannt – gefunden zu haben, waren groß. Untersuchungen mit Tieren und an Zellkulturen sowie nachträgliche Datenauswertungen bei Studien zu Diabetes und Adipositas hatten darauf hingedeutet, dass der Wirkstoff möglicherweise auch das Fortschreiten von Alzheimer bremst.
Um diese Hinweise zu überprüfen, startete das Unternehmen zwei aufwendige Studien, die es evoke und evoke+ taufte. Über zwei Jahre beobachtete man mehr als 3800 Teilnehmer im Alter von 55 bis 85 Jahren, die an einer leichten kognitiven Beeinträchtigung oder einer leichten Demenz aufgrund der Alzheimer-Krankheit litten. Eine Gruppe wurde mit Semaglutid behandelt, die andere mit einem Placebo. Dafür wurde das Medikament nicht per Infusion zugeführt, sondern oral, also als Tablette.
Obwohl die Behandlung zu einer Verbesserung der Alzheimer-Biomarker führte, resultierte dies nicht in einer Verzögerung des Krankheitsverlaufs.
Semaglutid-Hersteller Novo Nordisk in einer Pressemitteilung
Das jetzt von dem Unternehmen vorgelegte Ergebnis ist eine große Enttäuschung: Semaglutid kann das Fortschreiten von Alzheimer nicht verlangsamen. „Die Studien evoke und evoke+ konnten die Überlegenheit von Semaglutid gegenüber Placebo hinsichtlich der Verlangsamung des Fortschreitens der Alzheimer-Krankheit nicht bestätigen“, teilte Novo Nordisk vor wenigen Tagen mit. „Obwohl die Behandlung mit Semaglutid in beiden Studien zu einer Verbesserung der Alzheimer-Biomarker führte, resultierte dies nicht in einer Verzögerung des Krankheitsverlaufs.“ Solche Biomarker sind Blutwerte, die auf Proteinablagerungen und Entzündungsprozesse im Gehirn hindeuten.
Die einjährige Verlängerungsphase der Untersuchungszeit werde aufgrund der fehlenden Wirksamkeit beendet, teilte das Unternehmen mit. Die vollständigen Daten plant das Unternehmen im März 2026 auf der Alzheimer’s and Parkinson’s Disease Conference Diseases (AD/PD) in Kopenhagen zu präsentieren.
Die Wirkmechanismen der Substanz zielen nicht primär auf die Prozesse ab, welche bei Alzheimer eine Rolle spielen.
Peter Berlit, Neurologe
Das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit wurde anhand der Veränderung des sogenannten CDR-SB-Scores gemessen. Die Abkürzung steht für englisch: Clinical Dementia Rating – Sum of Boxes. Der CDR-Score ermöglicht es, den Schweregrad einer Demenzerkrankung zu bestimmen. Dazu werden der Betroffene selbst und Angehörige befragt, um ein Bild zu bekommen, zum Beispiel davon, wie gut das Gedächtnis ist, die Orientierung, die Fähigkeit, im Alltag zurechtzukommen, wie das Urteils- und Problemlösungsvermögen aussieht.
Dass die Studien ein enttäuschendes Ende fanden, überrascht den Experten Timo Müller nicht. „Es verwundert mich gar nicht, dass Semaglutid hier keine positiven Effekte auf Alzheimer zeigt, denn Semaglutid vermag nicht, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden“, sagte der Direktor des Instituts für Diabetesforschung am Helmholtz-Zentrum München dem Science Media Center (SMC). „Es gelangt also gar nicht richtig tief in das Hirn hinein.“ Die Blut-Hirn-Schranke schützt das zentrale Nervensystem vor Giften und Krankheitserregern, die im Blut kursieren könnten. Diese Barriere ist aber allzu oft auch ein Hindernis für Medikamente, die über den Blutkreislauf verteilt werden.
Auch Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und niedergelassener Neurologe, findet das Ergebnis wenig überraschend. „Die Wirkmechanismen der Substanz Semaglutid zielen nicht primär auf die Prozesse ab, welche bei Alzheimer eine Rolle spielen.“ Bislang gebe es nur die Pressemeldung der Firma und man kenne die Details der Studienergebnisse noch nicht. „Interessant ist aber, dass es offensichtlich einen Effekt auf die Biomarker der Alzheimer-Erkrankung gegeben hat, auch wenn sich kein klinischer Effekt gezeigt hat.“
Berlit moniert, dass bei der Auswahl der Studienteilnehmer ein wichtiger Risikofaktor für Demenz unberücksichtigt blieb: „Gefäßrisikofaktoren wurden dabei nicht berücksichtigt. Wir wissen aber, dass die konsequente Korrektur von Gefäßrisikofaktoren das Alzheimer-Risiko senkt.“ Es sei daher nicht überraschend, „wenn die Substanz bei normgewichtigen Personen ohne Diabetes mellitus nicht wirkt. Interessant wird es sein, sich die Subgruppen in diesen beiden Studien anzusehen.“
Zudem bestehe eine mittelbare Wirkung des Medikamentes auf das Alzheimer-Risiko. „Semaglutid ist ein GLP-1-Rezeptoragonist mit guter Wirksamkeit bei Diabetes mellitus Typ 2 und Adipositas“, sagt Berlit. „Beides sind Risikofaktoren für die Entwicklung einer Demenz, sodass eine Korrektur dieser Parameter präventiv wirksam sein kann.“
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