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Gesundheit: Antike Thermen vor der Flutung

Der Ausgrabungsort Allianoi in der Türkei ist durch einen Staudamm bedroht

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Seit Tausenden von Jahren sprudelt im westanatolischen Allianoi heißes Wasser aus der Erde. Schon die alten Römer wussten die gesundheitlichen Vorzüge des bis zu 50 Grad heißen Thermalwassers zu schätzen und errichteten im zweiten Jahrhundert nach Christus in Allianoi einen prunkvollen Kurort mit Thermen aus Marmor und Hauptgebäuden auf fast 10 000 Quadratmetern.

Der Archäologe Ahmet Yaras, der die Ausgrabungen in Allianoi leitet, schlägt Alarm: Die türkischen Behörden haben jetzt nach jahrelangen Auseinandersetzungen entschieden, einen unweit von Allianoi gebauten Staudamm in Betrieb zu nehmen. Schon bald könnte die antike Stadt im Stausee versinken, befürchtet Yasar. Das Europa-Parlament fordert die türkische Regierung auf, Allianoi zu retten.

Überreste antiker Badeorte sind in der Türkei nicht selten, doch das rund 20 Kilometer nordöstlich von Pergamon liegende Allianoi ist aus mehreren Gründen außergewöhnlich. Der Ausgrabungsleiter von Pergamon, der Archäologe Felix Pirson vom Deutschen Archäologischen Institut in Istanbul, nennt Allianoi ein „antikes Baden-Baden“: ein überregional bedeutendes Kurzentrum, das von einer Siedlung umgeben war. Zudem sei Allianoi außergewöhnlich gut erhalten, weil Teile der Thermen von Sedimenten eines nahen Flusses überschwemmt und so vor Zerstörung geschützt wurden. Für die Erforschung der Umgebung von Pergamon sei Allianoi ebenfalls wichtig, sagt Pirson: „Hochbedeutend“, lautet sein Fazit.

Nur etwa 30 Prozent der gesamten Anlage sind bisher ans Tageslicht gekommen, sagt Grabungsleiter Yaras. Unter den bisherigen Funden ist unter anderem eine fast vollständig erhaltene Statue der Liebesgöttin Aphrodite. „Wir graben seit neun Jahren“, sagt der türkische Wissenschaftler. „Und wir brauchen noch mindestens fünf weitere Jahre.“ Der Beschluss zur Inbetriebnahme des unweit von Allianoi errichteten Yortanli-Damms sei deshalb „eine fürchterliche Entscheidung“. Der Damm wird schon seit den sechziger Jahren geplant und soll die Felder der Umgebung bewässern. Yaras und andere bekämpften das Projekt lange mit Erfolg; Allianoi wurde zur Schutzzone erklärt. Doch dann revidierten die Behörden ihre Haltung und gaben den staatlichen Wasserwerken grünes Licht für den Damm. Schätzungsweise 17 Meter tief werde das Wasser in der Gegend von Allianoi sein, glaubt Yaras. Mit neuen Klagen vor Gericht wollen die Dammgegner die Flutung verhindern.

Hinter der plötzlichen Eile bei der Flutung des Staudamms vermuten die Allianoi-Anhänger politische Motive. Vor der türkischen Parlamentswahl im November wolle die Regierung den Wählern im ländlichen Raum gegenüber Tatkraft zeigen, sagt Yaras. „Für die Wissenschaft aber wäre es ein schwerer Verlust.“ Von Lokalpolitikern in der Gegend um Allianoi sei er schon zum Vaterlandsverräter erklärt worden.

Es wäre nicht das erste Mal, dass in der Türkei ein Staudammprojekt über einen Kulturschatz siegt. Vor einigen Jahren versank das antike Zeugma in Südostanatolien in den Fluten eines Stausees; nur mit knapper Not und in letzter Minute konnten damals Mosaiken und Statuen gerettet werden. Die ebenfalls im türkischen Südosten gelegene uralte Stadt Hasankeyf soll bald im Stausee des Ilisu-Damms versinken, der mit Kreditgarantien von Deutschland, Österreich und der Schweiz ermöglicht werden soll.

In Allianoi gibt es nun aber einen Hoffnungsschimmer. Ein Gericht im westtürkischen Izmir ordnete an, dass die Tore des Damms vorerst nicht geschlossen werden dürfen. Grabungsleiter Yaras ist sich aber nicht sicher, ob die Entscheidung aufschiebende Wirkung haben wird. „Das genügt leider nicht.“ Auch in anderen Fällen sei es schon vorgekommen, dass Gerichtsentscheidungen einfach ignoriert wurden.

Schon seit Jahren richten europäische Institutionen Appelle an die Türkei. Der Präsident des Europa-Parlaments, Hans-Gert Pöttering, schrieb Anfang März in einem Brief an den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, Europa wolle nicht die wirtschaftliche Entwicklung der Türkei behindern, betonte Pöttering. Im Fall von Allianoi gehe es jedoch um einen Teil des europäischen Kulturerbes, das von „unmittelbar bevorstehender Zerstörung“ bedroht sei.

In einem gemeinsamen Aufruf an die türkische Regierung forderten auch sieben internationale Verbände, darunter der Internationale Rat für Denkmalpflege und der Archäologische Weltkongress, die Türkei solle vorerst auf die Flutung des Gebiets verzichten. Stattdessen solle die türkische Regierung prüfen, wie Allianoi zu einem modernen Wellnesszentrum gemacht werden könne. Die Verbände boten ihre Hilfe bei der Suche nach finanzieller Unterstützung für eine entsprechende Machbarkeitsstudie an.

Auch Grabungsleiter Yaras schwärmt von der Möglichkeit, in Allianoi den Schutz des antiken Erbes mit modernem Kurtourismus zu verbinden. Er verweist auf das Beispiel Badenweiler in Baden-Württemberg. Auch Badenweiler blickt auf eine lange Geschichte und auf eine Gründung durch die Römer zurück – heute ist die Stadt bei Freiburg ein hochmoderner Kurort.

Davon ist Allianoi weit entfernt. Yaras sieht jedoch ein großes Potenzial. Schon jetzt besuchen jedes Jahr mehrere hunderttausend Urlauber das nahe Pergamon; in Allianoi sind es bisher nur eine Handvoll Busse pro Tag in der Sommersaison. Das werde sich ändern, wenn der antike Kurort vollständig erschlossen und hergerichtet werden könne, sagt der Grabungsleiter. In diesem Fall würden viele Pergamon-Touristen nicht nur wenige Stunden in der Gegend bleiben wie bisher, sondern einen ganzen Tag oder noch länger: „Und dann bringt der Tourismus für die Gegend mehr Geld, als mit dem Staudamm verdient werden kann.“

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