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Gesundheit: Das Virus schlägt zurück

Der Trick mit dem Gen: Forscher entdecken, wie gefährliche Grippe-Erreger die Körperabwehr ausschalten

Es ist exakt fünf Jahre her, da sorgten die Gesundheitsbehörden von Hongkong für Schlagzeilen. Ein Influenza-Virus, das ursprünglich von Hühnern stammte, hatte 18 Menschen infiziert, von denen nach wenigen Tagen sechs starben. Basierend auf der Vermutung, dass sich in der Hühnerpopulation der Ex-Kolonie ein potenzielles Killervirus entwickelt hatte, entschied man, sämtliches Federvieh (1,4 Millionen Hühner) binnen einer Woche zu schlachten.

Eine jetzt erschienene Untersuchung amerikanischer Virusforscher zeigt, dass die Gesundheitsbehörden von Hongkong damals richtig gehandelt hatten: das H5N1-Virus von 1997 war zu einem ausgesprochen gefährlichen Erreger mutiert und hätte möglicherweise eine weltumspannende Epidemie ausgelöst. Wie die Forscher vom St. Jude’s Children Research Hospital in Memphis, Tennessee, durch eine Serie bemerkenswerter Experimente zeigen konnten, legt das Geflügel-Virus aus Hongkong zwei wichtige Arme der körpereigenen Abwehrkräfte lahm, die Produktion von Interferon-gamma (IFN) und Tumor-Nekrose-Faktor (TNF).

Wenn Influenza-Viren über die Atemwege in die Lunge gelangen, kennen sie nur ein Ziel: sich in Zellen einzunisten, die die feinen Verästelungen der Bronchien wie ein dichtgewebter Teppich auskleiden. Einmal eingedrungen, nutzen sie den zelleigenen Syntheseapparat, um Viruskopien anfertigen zu lassen: ohne dass der Patient es weiß, hat die Vermehrungsphase der Erreger begonnen. Dem versucht der Organismus einen Riegel vorzuschieben, indem er die Produktion von Interferon und Tumornekrosefaktor auf ein Maximum hochfährt.

Dass die beiden Abwehrstoffe effiziente Waffen im Kampf gegen die Eindringlinge sind, haben frühere Untersuchungen gezeigt. Die Vermehrung von Influenza-Viren geht in dem Maße zurück, wie die Konzentration von Interferon und TNF ansteigt.

Da diese Art der Antwort auf eine akute Bedrohung durch nahezu alle Arten von Viren hervorgerufen wird, es sich also – im Gegensatz zur Bildung von Antikörpern – um eine allgemeine („unspezifische“) Abwehrreaktion handelt, bezeichnet man den Mechanismus als angeborene Immunantwort. Angeborene Immunmechanismen sind sozusagen Kriseneinsatzkräfte, die überall und jederzeit parat stehen. Doch das Influenza-Virus aus Hongkong lässt just diese „Truppe“ ins Leere laufen.

Gefährliche Mutation

Zuständig für die Gegenattacke des Virus ist ein NS-1 genanntes Protein, genauer gesagt eine Mutation des Gens, das den Bauplan für dieses Eiweiß kodiert. Der Tausch von Asparaginsäure gegen Glutamin an Position 92 des Eiweißes macht aus dem gängigen NS-1-Protein einen potenten Hemmstoff der angeborenen Immunantwort.

Um dies zu beweisen, griffen die Forscher vom St. Jude’s Hospital tief in die molekularbiologische Trickkiste. Als Erstes kultivierten sie unterschiedliche, gentechnisch veränderte Influenza-Viren in Schweinelungenepithelzellen, die mit einer Standardkonzentration von Interferon oder Tumornekrosefaktor „scharf gemacht“ worden waren. Während alle anderen Influenzastämme in diesem feindlichen Umfeld schnell die Waffen streckten, vermehrte sich der Hongkong-Stamm in der Pseudolunge nach Belieben. Selbst die Erhöhung der Interferon- oder Tumornekrosefaktor-Konzentration blieb ohne Effekt, während normale Influenza-Viren mit zunehmender Dosis in den Schweinelungenepithelzellen erst schlecht und dann gar nicht mehr wuchsen. In einem weiteren Versuch wurde ungefährlichen Influenza-Varianten das NS-1-Gen des Hongkong-Virus eingepflanzt. Diese Gentransplantation machte aus allen getesteten Influenza-Viren einen tödlichen Killer.

Der letzte Beweis

In einem letzten Schritt wurde einem Infuenza-Virus, das 2001 in Hongkong isoliert worden war, und das in Bezug auf einige Merkmale mit dem Killer-Virus von 1997 identisch war, das NS-1-Gen eingebaut. Wie zu erwarten, waren die schwachen „Vettern“ von 2001 mit einem Schlag gegen INF und TNF resistent. Damit ist eindeutig bewiesen, dass das NS-1-Gen die Ursache für die Resistenz gegen die angeborenen Abwehrmechanismen ist.

Unklar bleibt allerdings, wie das durch das NS-1-Gen codierte Protein die Kriseneinsatzkräfte des Körpers lahmlegt. Auch hier haben die amerikanischen Forscher eine Erklärung parat. Damit Interferon in einer Zelle gebildet werden kann, müssen vorab bestimmte Transkriptionsfaktoren gebildet werden, die dafür sorgen, dass der Genabschnitt abgeschrieben und übersetzt wird, in dem die Information für IFN abgelegt ist. Offensichtlich bindet sich das NS-1-Eiweiß an die dafür notwendigen Regulatorproteine, so dass der Genabschnitt für die Synthese von Interferon erst gar nicht aktiviert werden kann. Ein derartiger Trick, die Abwehrkräfte gleich an ihrer Basis lahmzulegen, ist auch von anderen gefährlichen Erregern wie dem Ebola-Virus und dem Pockenvirus bekannt.

Bleibt als Frage, ob denn das Influenza-Virus, das 1918 zur schlimmsten aller bislang bekannten Grippeepidemien geführt hat, ebenfalls durch eine Mutation im NS-1-Gen charakterisiert war. Untersuchungen einer anderen Forschergruppe haben das zwischenzeitlich bestätigt.

Die Geflügelpopulation Chinas, die so etwas wie ein ideales ökologischen Umfeld für das Entstehen immer neuer Influenza-Varianten darstellt, könnte also jeder Zeit wieder einen Stamm erschaffen, der genauso gefährlich wie die Erreger von 1918 und 1997 ist.

Die Gesundheitsbehörden Hongkongs jedenfalls sehen diese Möglichkeit voraus und sind entsprechend auf der Hut. Als Ende 2002 die ersten Hühner auf Lantau (einer kleinen Insel mit ländlichen Charakter) positiv auf Influenza-Virus getestet wurden, schlossen die Behörden den Geflügelmarkt. Sämtliches Federvieh wurde geschlachtet. Und die Teiche in dem viel besuchten Park von Kowloon wurden abgeriegelt, als vor einigen Tagen vier tote Enten und ein toter Schwan aufgefunden worden waren.

Hermann Feldmeier

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