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Ein Zeichen von Langeweile? : Das schlechte Image hat das Gähnen zu Unrecht
Wer herzhaft gähnt, wirkt gelangweilt und desinteressiert. Dabei deutet einiges darauf hin, dass das Gähnen das Gehirn kühlt, sagt unser Autor.

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Gähnen gilt als Zeichen dafür, gelangweilt zu sein. Entsprechend unverschämt ist es, im Kreis von Freunden und Verwandten zu gähnen. Schlimmer noch, in das Gähnen anderer einzustimmen. Denn dies ist das zweite Problem: Gähnen steckt an. Und es ist schwer kontrollierbar.
Dabei ist es sehr zweifelhaft, ob Gähnen tatsächlich eine Art Übersprungshandlung gelangweilter Menschen ist. Und gelangweilter Tiere: Denn auch im Tierreich wird gegähnt – von Pferden bis zu Igeln, von Eulen bis zu Mäusen. Bei Menschenaffen sowieso.
Wobei die Unterschiede bei der Gähndauer im Tierreich erheblich sind: Der Mensch bringt es auf durchschnittlich sechs Sekunden (die Länge unterscheidet sich aber auch von Mensch zu Mensch deutlich). Mäuse gähnen im Schnitt nur eine Sekunde. Primaten 4,5 Sekunden, andere Säugetiere kürzer. Nur Elefanten gähnen fast so lang wie Menschen. Je größer das Gehirn, je mehr Nervenzellen in seiner Großhirnrinde, desto länger wird (im Durchschnitt) gegähnt. Das kann eigentlich kein Zufall sein.
Je größer das Gehirn, desto länger wird gegähnt. Das kann eigentlich kein Zufall sein.
Magnus Heier, Kolumnist
Es wird vermutet, dass Gähnen die Durchblutung des Gehirns fördert. Möglicherweise ist es damit ein Vorgang zum Kühlen des Gehirns, damit überschüssige Wärme mit dem Blut abtransportiert wird. Denn das Denkorgan ist einerseits sehr temperaturempfindlich, sehr viel mehr als andere Organe.
Andererseits ist es sehr stoffwechselaktiv: Es macht beim Menschen zwar nur zwei Prozent des Körpergewichts aus, verbraucht aber 20 Prozent der Energie – zehnmal mehr, als man erwarten könnte. Das erzeugt Wärme, und die könnte durch eine beim Gähnen kurz gesteigerte Durchblutung abgeführt werden. Außerdem fällt auf, dass Menschen in warmen Räumen häufiger gähnen als in kalten.
Und genau damit könnte sich auch erklären, dass Gähnen ansteckend ist. Wahrscheinlich reagieren Menschen einfach gleichzeitig auf ein gemeinsames „Problem“: einen zu warmen Raum beispielsweise. Damit wäre Gähnen kein Zeichen von Langeweile – sondern eine sinnvolle Körperreaktion. Und alles andere als peinlich. Der Zusammenhang zwischen Gähnen und Müdigkeit ist damit allerdings noch nicht geklärt.
Alle bisher erschienenen Folgen der Kolumne „Im weißen Kittel“ finden Sie auf der Übersichtsseite.
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