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Ein junger Mann sitzt im Gespräch neben seiner Mutter auf einem Sofa.

© Getty Images/Maskot/Maskot

„Eine depressive Umgebung kann krank machen“: So bleiben Angehörige von psychisch Erkrankten selbst gesund

Diagnose Depression: Wenn ein geliebter Mensch krank wird, kann das auch für Angehörige zur Belastungsprobe werden. Wie kann man helfen und trotzdem auf sich selbst achten?

Von Evelyn Steinbach

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Eine akut auftretende psychische Erkrankung wie etwa eine Depression kann einen Menschen stark verändern. Ein zuvor lebensfrohes Familienmitglied wirkt womöglich plötzlich antriebslos, zieht sich zurück und meidet soziale Kontakte. Wie können Angehörige damit umgehen, ohne selbst auszubrennen? Eine Angehörigen-Beraterin, der Leiter einer Selbsthilfegruppe und eine Familientherapeutin geben Tipps.

1. Eine Behandlung beginnen

„Wenn ein geliebter Mensch in eine psychische Krise gerät, ist vieles, was man jahrelang kannte und Bestand hatte, aufgehoben“, sagt Gudrun Weißenborn vom Landesverband für Angehörige psychisch erkrankter Menschen in Berlin. Sie ist seit 25 Jahren in der Angehörigenberatung tätig und weiß, dass auch Nicht-Erkrankte in eine Krise geraten können. „Das Verhältnis von Nähe und Distanz verändert sich. Die Möglichkeiten und Grenzen des Miteinanders müssen neu ausbalanciert werden.“

„In der Anfangsphase einer psychischen Erkrankung fühlen sich Angehörige oft hilflos“, berichtet Rolf Fischer, der im Kölner Verein Rat und Tat mehrere Gesprächskreise für Angehörige leitet. Das gelte vor allem dann, wenn der Betroffene keine Krankheitseinsicht zeige. Der erste Schritt zur Entlastung sei daher, dass der oder die Erkrankte eine Behandlung beginnt. Wenn das trotz Bittens nicht geschieht, könne man sich an einen sozialpsychologischen Dienst wenden. „Ein Sozialarbeiter oder Sozialpsychologe besucht dann den Erkrankten zu Hause“, sagt Fischer.

2. Informieren und akzeptieren

Angehörige sollten gut über die Erkrankung ihres Familienmitglieds informiert sein. Je mehr sie über die Symptome, den Verlauf und die Behandlung wissen, desto sicherer können sie mit ihr umgehen. „Es hilft, zu akzeptieren, dass es schwierig ist“, sagt Angehörigen-Beraterin Weißenborn. „Gleichzeitig sollte man schauen, wie man sich selbst stärken kann.“

Das Schwierigste für die Angehörigen ist, wenn sie sich persönlich dafür verantwortlich fühlen, dass es dem Erkrankten wieder besser gehen soll.

Angelika Völkel, Paar- und Familientherapeutin

„Das Schwierigste für die Angehörigen ist, wenn sie sich persönlich dafür verantwortlich fühlen, dass es dem Erkrankten wieder besser gehen soll“, sagt die systemische Paar- und Familientherapeutin Angelika Völkel aus Berg am Starnberger See. Das kann aber nicht funktionieren: Der Erkrankte muss den Willen zur Therapie selbst aufbringen.

3. Grenzen anerkennen und Grenzen setzen

Entscheidend für Angehörige ist der Umgang mit den eigenen Bedürfnissen. Wer nicht auf sie achtet, geht über seine Grenzen. Zumal Erkrankte diese Grenzen auch oft nicht (mehr) wahrnehmen und sie überschreiten.

Grenzen setzen hilft Angehörigen, nicht in den Strudel der Krankheit zu geraten. Aber: „Wie viel Nähe und Distanz die einzelne Person benötigt, ist höchst individuell“, sagt Gudrun Weißenborn. Ein klares Mittel zur Abgrenzung ist die räumliche Trennung. „Das ist für viele erst einmal eine Herausforderung, aber man schützt sich damit“, sagt Rolf Fischer. Lebt die erkrankte Person nicht im selben Haushalt, empfiehlt der Selbsthilfe-Leiter Angehörigen, höchstens ein- bis zweimal pro Woche mit ihr zu telefonieren oder sie zu besuchen. Denn häufigere Kontakte führen oft dazu, dass die Gedanken fast nur noch um den psychisch Kranken kreisen. Das ist ungesund.

Im Alltag kann ein psychiatrischer Pflegedienst helfen. Dieser kann zum Beispiel morgens und abends vorbeikommen und die Medikamente verabreichen, erklärt Fischer. Möglich ist außerdem, eine gesetzliche Betreuung zu beantragen. Bei schweren psychischen Erkrankungen kann dies die Familie entlasten, so der Experte.

4. Das eigene Leben leben

Psychische Erkrankungen sind oft langwierig, Rückschläge gehören dazu. Es ist deshalb wichtig, sich während dieser Zeit auch als Angehöriger mental zu schützen. Denn: „In einer depressiven Umgebung zu leben, kann selbst krank machen“, so Familientherapeutin Völkel. Angehörige brauchen einen Ausgleich.

In der Selbsthilfe treffen Sie Menschen in ähnlichen Situationen und lernen, sich nicht als Opfer des Schicksals zu sehen.

Rolf Fischer, Leiter einer Selbsthilfegruppe

„Freundschaftliche Kontakte, die mit einem über die Krise sprechen, ohne zu stigmatisieren, können helfen“, empfiehlt Angehörigenberaterin Gudrun Weißenborn. Auch eine Selbsthilfegruppe kann stärken, schließlich ist sie ein Ort, an dem man anonym und frei sprechen kann, und wo man Anregungen erhält, wie man mit der Krise umgehen kann. „Sie treffen dort Menschen in ähnlichen Situationen und lernen, sich nicht als Opfer des Schicksals zu sehen“, so Rolf Fischer, der jede Woche mit Angehörigen spricht.

Und Angehörige sollten an den Dingen festhalten, die ihnen Freude bereiten. „Das kann zum Beispiel regelmäßiger Sport sein“, sagt Völkel. Ebenso können Entspannungstechniken wie Autogenes Training oder Progressive Muskelentspannung helfen, sofern man sich nach Ruhe und Erholung sehnt.

„Am besten ist es, wenn man sich feste Termine in der Woche setzt“, rät Rolf Fischer. In dieser Zeit sollte man sich bewusst um sich kümmern und sagen: „Da gehe ich jetzt hin, egal, was zu Hause los ist.“

5. Sprechen – miteinander und mit Profis

Ist der Leidensdruck sehr groß, könnten Angehörige selbst das psychotherapeutische Gespräch suchen, um Abstand zu gewinnen und ihre Lebenssituation zu reflektieren, sagt Angelika Völkel. Begleitend zur Behandlung des Erkrankten könne auch eine Paar- oder Familientherapie sinnvoll sein. Mit dieser lernten alle Beteiligten, an ihrer Beziehung zu arbeiten und Vereinbarungen zu treffen, wie das Zusammenleben trotz der Belastung durch die Krankheit gut gestaltet werden kann.

Wichtig ist, mit psychisch erkrankten Menschen offen und ehrlich zu reden. Familientherapeutin Völkel empfiehlt eine klare, freundliche Sprache: „Angehörige sollten die Dinge so ansprechen, wie sie sind“, sagt sie. Dazu gehöre auch, über Gefühle zu sprechen.

„Wenn ich dem anderen etwas über mich mitteile, auch meine Gefühle, gehe ich in Kontakt mit ihm. Dann traue ich ihm etwas zu“, sagt Angehörigenberaterin Weißenborn. Das könne sich positiv auf die Beziehung auswirken. Weißenborn rät, bewusst zu formulieren. Eine Formulierung wie „Ich frage mich, wie es dir geht“ sei zum Beispiel besser geeignet, um miteinander ins Gespräch zu kommen, als ein Satz wie „Ich habe Angst um dich“. (dpa)

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