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Dr. Magnus Heier

© Stefan Braun

La-Ola im Gehirn: Von der Aura ohne Migräne

Nicht immer folgt auf eine Aura eine Migräne – unser Kolumnist gehört zu den wenigen Glücklichen, die das Farbenspiel ohne Schmerzen erleben dürfen.

Eine Kolumne von Dr. Magnus Heier

Ich bin eine seltene Ausnahme: ein Migräniker ohne Migräne! Nur etwa 20 Prozent aller Patienten mit einer Migräne haben vor der Attacke eine Aura. Das heißt, sie erleben eine Art von Wahrnehmungsverzerrung, die etwa zwischen 20 und 40 Minuten anhält und ungewöhnlich vielfältig ist: Es gibt Seh- oder Sprechstörungen, Taubheit oder Ameisenlaufen auf der Haut, selten Riechstörungen.

Diese Verzerrungen entstehen nicht im Auge oder auf der Haut, sondern im Gehirn. Die Nervenzellen dort werden aus unbekannten Gründen plötzlich übererregt – sie feuern sinnlose Signale. Dieses Erregungsmuster läuft wie eine La-Ola-Welle über Teile der Hirnrinde, etwa das Sehzentrum. Und dort wird dann etwa eine visuelle Aura, die häufigste Form, erzeugt.

Die beginnt mit einem kleinen, flirrenden Punkt links oder rechts im Gesichtsfeld. Allerdings flirrt dieser Punkt nicht im linken oder rechten Auge – er flirrt in beiden Augen, jeweils auf der linken oder rechten Seite. Der Punkt hat einen bunten, gezackten, flirrenden Rand, wird immer größer und nimmt schließlich eine Gesichtshälfte ein: Die Betroffenen sind vorübergehend einseitig blind. Dann bildet sich die Sehstörung langsam wieder zurück – und die Aura ist vorbei.

Nun beginnt bei den Meisten der zweite Teil der Migräneattacke: die Schmerzen. Für diese Patienten haben die Auren den Vorteil einer frühen Warnung: Sie können sich auf die Attacke einstellen – und sie können die Medikamente schnell und damit wirksamer einnehmen. Das gilt allerdings nicht für die Medikamentengruppe der Triptane. Das sind gefäßverengende, entzündungshemmende und schmerzlindernde Wirkstoffe, die häufig in der Akut-Therapie eingesetzt werden.

Nun kommt der Schmerz – oder auch nicht. In seltenen Fällen, bei wenigen Patienten, folgt auf die Aura schlicht nichts mehr. Neurologen sprechen elegant auch von einer „Migraine sans Migraine“, von einer Migräne ohne Migräne. Zu dieser beneidenswerten Gruppe gehöre ich selbst. Beneidenswert, weil die Aura durchaus schön anzusehen ist, daher auch als „Alice-im-Wunderland-Syndrom“ bezeichnet wird – und früher oft als überirdische Offenbarung gedeutet wurde.

Alle bisher erschienen Folgen der wöchentlichen Kolumne finden Sie auf der Übersichtsseite.

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