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Polioviren im Klärwerk: Abwasser sind ein effektives Frühwarnsystem
Durch die Analyse einzelner Klärwerke lassen sich infektiöse Ausbrüche in Echtzeit zuordnen. Ein System, das sich auszubauen lohnt, findet unser Autor.

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Normalerweise wird Blut auf Infektionen untersucht, Speichel oder Urin. Aber Abwasser geht auch. Analysetechniken werden immer feiner, moderne Molekular- und Mikrobiologie entdecken unfassbar kleine Substanzmengen. Kläranlagen liefern Informationen zu Krankheitsausbrüchen, oft lange bevor die Infizierten überhaupt Symptome entwickeln und in Praxis oder Klinik identifiziert werden können.
So können im Klärwerk Viren – wie SARS-CoV-2, also Corona – identifiziert werden und Bakterien wie Tuberkulose. Oder auch antibiotikaresistente Problemkeime. Durch die Abwasseranalyse einzelner Klärwerke lassen sich infektiöse Ausbrüche lokal präzise und in Echtzeit zuordnen. Allerdings steht in Deutschland die Abwasserüberwachung noch am Anfang, andere Länder sind weiter.
Nun wurden im Abwasser einiger – auch deutscher – Städte Poliviren gefunden. Nicht das ganze Virus, sondern Spuren davon, kleine Genschnipsel. Diese Fragmente sind in sich ungefährlich, aber ein interessanter Hinweis. Nicht auf das alte Virus, das taucht in seiner Wildform nur noch in wenigen Ländern auf. Was im Abwasser gefunden wurde, sind Reste von Impfungen! Also eher ein Erfolgszeichen.
Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist grausam.
Mit diesem Spruch wurde in den 60er Jahren für die Impfung gegen Polio geworben.
Die Fragmente sind Reste der älteren Schluckimpfung, wie sie früher auch in Deutschland verimpft wurden. „Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist grausam“ hieß es damals, die Impfung war selbstverständlich. In Deutschland werden mittlerweile andere Impfstoffe verwendet, für die die Säuglinge einen Pieks in den Oberschenkel bekommen.
Die entdeckten Fragmente stammen deshalb vermutlich von geimpften Reisenden. Ein guter Warnhinweis: Denn die Impfquoten hierzulande sinken. Und auch Geflüchtete könnten einen unzureichenden oder keinen Impfschutz haben. Angestrebt wird eine Quote von 95 Prozent. Damit findet das Virus keine Lebensräume mehr.
Ist die Quote dagegen deutlich geringer, kann es zirkulieren. Die Impfung ist sicher. Ist nicht sicher, ob Sie geimpft sind, lassen sich die Grundimmunisierung, die Auffrischungsimpfung oder beide nachholen. Auch wenn die Impfung heute nicht mehr süß ist: Die Kinderlähmung kann noch immer grausam sein!
Alle bisher erschienenen Folgen der Kolumne „Im weißen Kittel“ finden Sie auf der Übersichtsseite.
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