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Verursacht mitunter grauenhafte Geräusche: Kreide auf einer Tafel.

© IMAGO/SNA/Igor Zarembo

Schrill und extrem unangenehm: Warum bekommt man eine Gänsehaut, wenn Kreide an der Tafel kratzt?

Wer kennt sie nicht, die schaurige Kindheitserinnerung an das Kratzen der Kreide an der Tafel im Klassenzimmer?! Ein Neurobiologe erklärt, warum ausgerechnet dieses Geräusch bei so vielen Menschen ein Schaudern auslöst.

Eine Kolumne von Claudia Füßler

Stand:

Wenn man nicht gerade im Herbst vor die Tür geht und die Jacke vergessen hat, bekommt man Gänsehaut vor allem in zwei Situationen: Wenn einem etwas angenehm ist, wie beispielsweise ein geliebtes Musikstück, verspürt man mitunter den wohligen Schauer, der über den Rücken läuft und die Härchen auf den Armen aufstellt.

Aber auch ein unangenehmer Reiz wie das Kratzen von Kreide oder Fingernägeln auf einer Tafel kann Gänsehaut auslösen – dann spricht man aber eher von einem Schaudern, und die Gesichtszüge verzerren sich. Wieso ist das so?

„Treffen äußere Reize auf unsere Sinnesorgane, werden die eingehenden Informationen im Gehirn parallel auf verschiedenen Ebenen und mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten verarbeitet“, sagt Neurobiologe Johann Bollmann – Professor an der Fakultät für Biologie der Universität Freiburg. Dabei werden auf einem schnellen Verarbeitungspfad – je nachdem, wie relevant ein Reiz für unser Wohlergehen ist – unwillkürliche Körperreaktionen ausgelöst: Die Herzfrequenz oder die Schweißbildung verändern sich beispielsweise, oder es stellen sich eben die Härchen auf der Haut auf.

Die Reize werden in der Großhirnrinde emotional bewertet, zum Beispiel als angenehm, unangenehm, erregend oder beruhigend.

Johann Bollmann, Neurobiologe

„Diese Reiz-Reaktions-Abfolgen werden durch den autonomen Anteil unseres Nervensystems unbewusst gesteuert, während sie etwas verzögert auf höherer Ebene in der Großhirnrinde auch bewusst wahrgenommen und emotional bewertet werden, zum Beispiel als angenehm, unangenehm, erregend oder beruhigend“, sagt Bollmann. Die Gänsehaut beim Menschen lasse sich daher als ein Mechanismus des autonomen Nervensystems deuten. Ein Mechanismus, der sich ursprünglich bei Säugetieren unter anderem zur Abwehr von Gefahren entwickelt hat und dort zum Beispiel als Sträuben des Nackenfells beobachtet wird.

Schrille, hochfrequente akustische Reize wie das Quietschen von Kreide auf der Tafel könnten Bollmann zufolge kommunikativen Alarmrufen im Tierreich ähneln, mit denen beispielsweise Primaten ihre Artgenossen vor unmittelbaren Gefahren warnen. „Auch wenn die Details solcher Erklärungsansätze kontrovers bleiben, so ist die körperlich-emotionale Reaktion, die wir mit derlei Geräuschen verbinden, wahrscheinlich ein Relikt aus unserer Evolutionsgeschichte“, so der Neurobiologe.

Dazu, dass das Berühren bestimmter Oberflächen ebenfalls solche eher unangenehmen Gänsehaut-Momente bereitet, sei weniger bekannt, wenn auch in Studien gelegentlich davon berichtet werde. Bollmann betont zudem, dass es sich nicht um einen einfachen, unabänderlichen Reflex handele. Vielmehr könnten Faktoren wie Erfahrung, erlerntes Verhalten oder Erwartungshaltung das empfundene „Schaudern“ dämpfen oder steigern.

Alle bisher erschienenen Folgen von „Die gute Frage“ finden Sie auf der Übersichtsseite der Kolumne.

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